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Das Pestlied Ulrich Zwinglis

Ulrich Zwingli gehört zur Gruppe der Reformatoren, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein Erdbeben in der kirchlichen Landschaft auslösten. Ihr Wirken war zwar ursprünglich religiöser Natur, doch die Gegebenheiten der damaligen Zeit sorgten dafür, dass aus der Reformation bzw. den unterschiedlichen Reformationen politische Grabenkämpfe entstanden. Zwingli wirkte vor allen Dingen in Zürich, wo er 1519 von der ausgebrochenen Pest heimgesucht wurde. Nach seiner überraschenden Genesung verfasste er ein Lied über seine Zeit der Krankheit. Dieses Lied ist heute erhalten und stellt ein eindrückliches Zeugnis über die Gefühlswelt eines Pesterkrankten und die religiöse Verarbeitung dieses Unheils dar.  

Kurzbiographie Ulrich Zwinglis

Zwingli wurde am 1. Januar 1484 als Sohn eines wohlhabenden Bauern in Wildhaus im Toggenburger Hochtal geboren. Er erlebte eine für die damalige Zeit typische Gelehrtenlaufbahn. Schon als Kind besuchte er verschiedene Lateinschulen, in denen er sich auch mit der klassischen Antike befasste. Nach einem kurzen Intermezzo in einem Dominikanerkloster studierte er in Wien und absolvierte anschließend seinen Bakkalaureus und Magister artium, sodass er die sieben freien Künste (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Astronomie, Arithmetik, Geometrie und Musik) und Metaphysik, Ethik und Politik lehren konnte. Mit 22 Jahren wurde er Pfarrer in Glarus und von 1516-1518 Leutpriester (ein Priester für die „Leute“) in Einsiedeln, was vor allem seelsorgerliche Tätigkeiten umfasste. Am 01. Januar 1518 schließlich hielt er seine erste Predigt als Leutpriester in Zürich.

Zwingli-Statue an der Zwinglikirche in Berlin.

Zwingli wurde vor allem durch die aristotelische Philosophie und den Humanismus geprägt, ab 1514 etwa war er von Erasmus von Rotterdam, dem berühmten Universalgelehrten, fasziniert. Dieser stellte Jesus Christus in das Zentrum einer Moraltheologie, die an den freien Willen des Menschen appelliert, das Gute zu tun, zu dem er grundsätzlich befähigt sei. Der Kern des christlichen Evangeliums und der Reformation(en), also die Lehre der befreienden und Sündenvergebung bewirkenden Gnade Gottes (siehe Luthers Rechtfertigungslehre), ist bei ihm in dieser Zeit noch wenig vorhanden. Erst ab 1520 taucht diese Position vermehrt auf. In diesen Übergangsprozess fällt seine Pesterkrankung.

Er war zwar zum Ausbruch nicht in der Stadt, kam jedoch als Seelsorger direkt wieder, um die Menschen zu unterstützen. Ein Drittel der Zürcher Bürger wurde dahingerafft. Im Oktober 1519 steckte auch er sich mit der unheilvollen Krankheit an, die in der Regel heftiges Fieber und eitrige Beulen hervorrief und in den meisten Fällen zum Tod führte. Der Prozess dahin war durch soziale Isolation und quälende Symptome der Pesterkrankung geprägt. Doch Zwingli wurde wieder gesund und verfasste im Anschluss an seine Heilung das „Pestlied“.

Das Pestlied

Das Lied, welches drei Strophen besitzt, soll zuerst einmal zitiert werden1:

[1.] Im Anfang der Krankheit.

Hilf, Herr Gott, hilf in dieser Not! Ich mein, der Tod sei an der Tür; stand, Christe, für, dann du ihn überwunden hast! Zu dir ich ruf. Ist es Dein Will, zieh aus den Pfeil, der mich verwundt, nicht läßt ein Stund mich haben weder Ruh noch Rast! Willst Du dann gleich Tod haben mich inmitten der Tagen mein, so soll es willig sein. Tu, wie du willst; nichts ist mir zu viel. Dein Gefäß bin ich; mach ganz oder brich! Denn nimmst Du hin den Geist mein von dieser Erd, tust Du’s, daß er nicht böser wird oder andern nicht befleck ihr Leben fromm und ihre Sitte.

[2.] Inmitten der Krankheit.

Tröst, Herr Gott, tröst! Die Krankheit wächst; weh und Angst faßt meine Seele und Leib. Darum nah Dich zu mir, einiger Trost, mit Gnade, die gewiß erlöst ein jeden, der ein herzlich Begehren und Hoffnung setzt in Dich, dazu allen Nutzen und Schaden dieser Zeit gering schätzt. Nun ist es um, mein Zung ist stumm, mag sprechen nicht ein Wort, meine Sinne sind alle verdorrt. Darum ist Zeit, dass Du mein Streit fürest fürhin, so ich nicht bin so stark, daß ich mög tapferlich tun Widerstand des Teufels Schlinge und frevler Hand. Doch wird mein Gemüt stets bleiben Dir, wie er auch wüt.

[3.] In der Besserung.

Gesund, Herr Gott gesund! Ich mein, ich kehr schon wieder um her. Ja, wenn dich dünkt, der Sünden Funk wird nicht mehr beherrschen mich auf Erd, so muß mein Mund, dein Lob und Lehr aussprechen mehr, denn vormals je, wie es auch geh, einfältiglich ohn alle Gefahr, wiewohl ich muß des Todes Buß erleiden zwar einmal, vielleicht mit größerer Qual, denn jetztund wär geschehen, Herr, so ich sonst bin, beinah gefahren hin, so will ich doch trotzig Gepoch in dieser Welt tragen fröhlich um Lohn mit Hilfe Dein, ohne den nichts mag vollkommen sein.

Die erste Strophe handelt von der Erkrankung und der damit einhergehenden Todesangst Zwinglis. Er fleht Gott um Hilfe an. Dies begründet er damit, dass Jesus Christus selber den Tod überwunden hat. Bemerkenswert ist, dass er sowohl die Option des Lebens als auch die des Sterbens in Gottes Hand legt und ihm die Entscheidungsgewalt über sein „Gefäß“ überlässt. Falls er sterben sollte, würde sein durch die Erkrankung beeinflusstes Gemüt keinen Schaden mehr anrichten.  

In der zweiten Strophe fordert Zwingli Gott auf, ihn zu trösten. Zwingli ist mental am Boden zerstört und hofft auf Gottes Erbarmen. Er überlässt Gott sein Schicksal, da er seine eigene Schwäche im Angesicht von Satans Wüten anerkennen muss. Doch er verspricht auch, sein Vertrauen und seine Zuversicht weiterhin auf Gott zu setzen.

Die dritte Strophe handelt von der Dankbarkeit aufgrund seiner Genesung. Nach Gottes Ansicht würde die Sünde Zwingli nun nicht mehr beherrschen, was ihn zum Lob Gottes führt. Ihm ist bewusst, dass der Tod und der damit einhergehende Akt der Buße möglicherweise schlimmer werden als die Erfahrung seiner Pesterkrankung. Dennoch möchte er weiterhin alle Widrigkeiten der Welt fröhlich ertragen wegen der zukünftigen Hilfe und Belohnung Gottes.

Ausblick und Fazit

Man kann nicht eindeutig einen Zusammenhang zwischen Zwinglis Pesterkrankung und seinem reformatorischen Wirken herstellen. Dennoch liegt es nahe, dass diese Zeit ihn vor allem in Bezug auf seine Beziehung zu Gott mitbeeinflusste. Er tauchte in der Folgezeit immer tiefer in das Evangelium Gottes ein, wozu ihn maßgeblich die Bibel und die Schriften von Augustin leiteten. Das Evangelium sollte ein zentraler Pfeiler in seinem reformatorischen Wirken sein, welches spätestens in der Fastenzeit des Jahres 1522 begann.

Zwinglis dramatische Erfahrungen der Pesterkrankung spiegeln sich in seinem Pestlied wider. Es kann auch heute immer noch als ein Zeugnis dienen für das, was letztlich wirklich zählt: Dass wir als Menschen abhängig sind von einem gnädigen Gott und ihm vertrauen dürfen, dass Jesus Christus den Tod überwunden hat, unsere Sünden vergibt und dass ihm somit all unser Dank gebührt.


Literatur:

Hasselhoff, Görge: Huldrych Zwinglis Pestlied. Die Pest als Wendepunkt der Reformation?, in: LWL-Museum für Archäologie; Westfälisches Landesmuseum Herne; Leenen, Stefan u.a. (Hg.): Pest! Eine Spurensuche, Darmstadt 2019, S.198-205.

Köhler, Walter: Huldrych Zwingli, Leipzig 1954.

Sierszyn, Armin: 2000 Jahre Kirchengeschichte, Holzgerlingen 2019 (Mit einem Abschnitt über Zwingli auf S.477-517).


Fußnoten:

  1. Die Zitierung erfolgt nach Hasselhoff, S.204 und Köhler, S.76f. Zwecks Lesbarkeit habe ich die modernere Wortwahl von Köhler mit der Verseinteilung und Satzzeichenverwendung von Hasselhoff kombiniert. Die bei Hasselhoff vorgefundenen Überschriften der drei Verse habe ich selbst marginal verändert, um sie in die modernere Schreibweise zu überführen. Durch die modernere Schreibweise sind einige usprüngliche Reime nicht mehr da. ↩︎

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