In ihren nun erschienenen Memoiren „Freiheit. Erinnerungen 1954-2021“ gibt die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Einblicke in ihr persönliches Verhältnis zu Gott und zum christlichen Glauben. Die Altkanzlerin beschreibt den Glauben als eine wertvolle Unterstützung während ihrer 16-jährigen Amtszeit und als Quelle der Kraft bei schwierigen Entscheidungen.
Glaube als Rückhalt in der Politik
Merkel bekennt in ihrem Buch: „Ich glaube daran, dass es Gott gibt, auch wenn ich ihn oft nicht direkt erfassen oder erfühlen kann.“ Ihr christlicher Glaube habe sie in ihrer politischen Arbeit begleitet und ihr insbesondere in herausfordernden Momenten Sicherheit gegeben. Sie betont zudem die Bedeutung der Formel „So wahr mir Gott helfe“ in ihrem Amtseid. Diese Worte hätten ihr geholfen, sich bei schweren Entscheidungen „behütet zu fühlen“.
Eintreten für den Glauben in der Öffentlichkeit
Bereits während ihrer Amtszeit forderte Merkel Christen auf, sich stärker zu ihrem Glauben zu bekennen. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Focus kritisierte sie eine zunehmende Zurückhaltung in Glaubensfragen: „Wir haben aber aus lauter Angst, wir könnten durch unser Bekenntnis andere ausgrenzen, darauf verzichtet, für unsere Überzeugungen zu werben.“ Sie betonte, dass das Christentum Europa nachhaltig geprägt habe und dass klare Glaubensbekenntnisse keine Ausgrenzung bedeuteten. „Das eigene Bekenntnis fröhlich auszusprechen, ist die Voraussetzung, tolerant zu sein“, erklärte Merkel.
Auch in der Debatte um die Verfassung der Europäischen Union hätte sie sich ein deutlicheres Bekenntnis zu den christlichen Wurzeln gewünscht: „Ich frage mich: Kann man das Prägende des Christentums für die alltägliche Politik aufrechterhalten, wenn Politik sich nicht dazu bekennt?“ Sie warnte davor, dass Politik und Kirche ihre Rollen vermischen: „Es hat vielleicht eine Entwicklung gegeben, in der sich manche Predigt zu viel mit Politik beschäftigt hat und mancher Politiker zu viel mit Sinnstiftung.“ Politik könne die Kirche nicht ersetzen.
Wiederbesinnung auf christliche Traditionen
Merkel äußerte zudem, dass es in Deutschland nicht an der Freiheit fehle, seinen Glauben zu bekennen, sondern oft an der Bereitschaft der Menschen, sich zu ihren christlichen Wurzeln zu bekennen. „Wir haben alle Möglichkeiten und alle Freiheiten, unseren Glauben zu bekennen, solange wir ihn praktizieren und an ihn glauben“, erklärte sie. Sie betonte, dass sie niemanden kritisiere, der seinen muslimischen Glauben offen lebe, sondern vielmehr dazu ermutige, dass Christen denselben Mut aufbringen sollten. „Wir sollten den Mut haben zu sagen: Wir sind Christen. Wir sollten den Mut haben zu sagen, dass wir in einen Dialog treten.“
Merkel forderte zudem eine stärkere Auseinandersetzung mit christlichen Traditionen. Sie kritisierte, dass viele Menschen kaum noch Wissen über christliche Feste oder kirchliche Symbole hätten. „Wenn in Deutschland Essays darüber geschrieben werden, was Pfingsten bedeutet, dann würde ich sagen, dass das Wissen über das christliche Abendland nicht mehr besonders groß ist“, so Merkel. Sie verwies darauf, dass es widersprüchlich sei, sich darüber zu beschweren, dass Muslime den Koran besser kennen, wenn gleichzeitig viele Christen ihre eigene religiöse Basis nicht mehr ausreichend verstehen. „Vielleicht kann diese Debatte dazu führen, dass wir uns wieder stärker mit unseren eigenen Wurzeln befassen und mehr über sie lernen.“
Demut vor der Verantwortung
Als Tochter eines evangelischen Pfarrers aufgewachsen, reflektiert Merkel in ihren Erinnerungen auch darüber, wie ihr Glaube sie davor bewahrt habe, sich selbst zu überhöhen oder in schwierigen Zeiten zu resignieren. „Da ich weiß, dass ich nicht vollkommen bin und Fehler mache, hat der Glaube mir das Leben und auch meinen Auftrag leichter gemacht, mit der mir zeitweise gegebenen Macht Verantwortung für meine Mitmenschen und die Schöpfung zu übernehmen,“ schreibt sie.
Kirchenlied als Abschiedswunsch
Ein weiteres Detail aus dem Buch sorgt für Aufmerksamkeit: Merkel erklärt, warum sie sich bei ihrem feierlichen Abschied durch den Großen Zapfenstreich im Jahr 2021 für das Kirchenlied „Großer Gott, wir loben dich“ entschieden hat. Im Wettstreit mit Martin Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott“ fiel ihre Wahl auf dieses Lied, da es „die Demut vor Gottes Schöpfung wunderbar ausdrückt“.
Buchveröffentlichung sorgt für Diskussionen
Seit der Veröffentlichung ihrer Memoiren wird intensiv über Merkels Offenheit bezüglich ihres Glaubens diskutiert. Während einige ihre reflektierte Haltung würdigen, betrachten andere ihren offenen Umgang mit Religion in der Politik mit Skepsis.
Merkels Buch „Freiheit. Erinnerungen 1954-2021“ bietet nicht nur politische Analysen, sondern auch sehr persönliche Einblicke – und wirft die Frage auf, welche Rolle der Glaube in der modernen Politik spielen kann.