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Bonhoeffer: Die Nachfolge und der Einzelne

Bonhoeffer überschreibt das fünfte Kapitel seines Buches „Nachfolge“ mit dem Titel „Die Nachfolge und der Einzelne“. Dieser Artikel ist eine Kurzzusammenfassung dieses fünften Kapitels. Um das Anliegen Bonhoeffers in diesem Kapitel besser zu verstehen, ist zuvor allerdings eine historische Einordnung notwendig.

Historische Einordnung

Die deutsche evangelische Kirche war zur Zeit des Nationalsozialismus zweigeteilt. Es gab die „Deutschen Christen“ und die „Bekennende Kirche“. Während die Deutschen Christen die Nationalsozialisten proaktiv unterstützten, blieb die Bekennende Kirche dem dritten Reich gegenüber neutral bis kritisch eingestellt. Dietrich Bonhoeffer gehörte dem kritischen Flügel der Bekennenden Kirche an.

Das Kapitel „Die Nachfolge und der Einzelne“ richtet sich gegen ein bestimmtes Schöpfungsverständnis der Deutschen Christen, welches diese wiederum aus dem sog. Kulturprotestantismus hatten. Der Kulturprotestantismus war eine Denkrichtung, in der Gott und Kultur miteinander verschmolzen wurden. Die vorfindlichen Dinge (bspw. Volk, Staat, Familie, „Rasse“ etc.) wurde als eine von Gott gewollte Schöpfungsordnung betrachtet. Die Deutschen Christen nahmen dieses Denken und legitimierten so die Herrschaft der Nazis und ihre Rassentheorie: Wenn Gott diese kulturell-politischen Gegebenheiten schenkt, müssen sie auch gut sein.

Die Erstadressaten des Buches „Nachfolge“ von Bonhoeffer waren Pfarrvikare in einem Predigerseminar. Bonhoeffer forderte diese angehenden Pfarrer in der „Nachfolge“ letztlich dazu auf, sich der Bekennenden Kirche anzuschließen. Das bedeutete aber auch, dass sie sich von der kulturprotestantischen Schöpfungsethik abwenden und sich unter Umständen sogar von der eigenen Familie trennen mussten. Soviel zur historischen Situation, kommen wir nun zum Inhalt.

„Unmittelbarkeiten“: Es geht um Trennung

Bonhoeffer nimmt Lukas 14,26 als Ausgangspunkt der Argumentation: „So jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein.“ Der Ruf Jesu Christi in die Nachfolge macht den Jünger zum Einzelnen. Dieses Alleinsein versucht der Mensch zu verschleiern, indem er sich an allen möglichen Dingen (Staat, Bildung, Volk, Familie, Beruf etc.) und Menschen festhält.

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Aber mit dem Ruf Jesu kommt der Bruch mit diesen natürlichen Gegebenheiten, in denen der Mensch lebt. Es geht um Trennung. Bonhoeffer spricht davon, dass Jesus Christus den Menschen aus seiner „Unmittelbarkeit“ (oder Bindung) zur Welt befreit und ihn in die „Unmittelbarkeit“ zu sich selbst stellt. Jesus Christus wird zum Mittler zwischen allem. Er vermittelt zwischen Gott und Mensch, zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mensch und Wirklichkeit. Ohne Christus gibt es für den Christen zu nichts und niemandem eine Beziehung. Er liegt wie eine Folie zwischen uns und allem. „Dank für die Gaben der Schöpfung gibt es nur durch Christus hindurch und ohne Christus gibt es keinen Dank für Volk, Familie, Geschichte und Natur.“

Bonhoeffer richtet sich hier deutlich gegen das Schöpfungsverständnis der Deutschen Christen. „Gottgegebene Wirklichkeiten“ – wie sie es genannt hätten – kann und darf es ohne Christus nicht geben. Jede Unmittelbarkeit zu den weltlichen Dingen wäre Hass gegen Christus. Nur dann, wenn der Jünger Christus als Folie zwischen sich und allem anderen hat, sind Glauben und Gehorsam möglich. Bonhoeffer fordert also die Trennung von allen „Unmittelbarkeiten“ des Lebens.

Der Lohn der Trennung: Neue Gemeinschaft

Bei aller Trennung, die der Ruf in die Nachfolge verursacht, hat Bonhoeffer seinen Vikaren (und uns) aber auch etwas Tröstliches zu sagen: Christus trennt einerseits seinen Nachfolger von allem anderen, aber er führt andererseits auch zu neuer Gemeinschaft. Zwar muss jeder allein in die Nachfolge treten, aber keiner bleibt allein in der Nachfolge. In Mk 10,28-31 sagt Jesus zu seinen Jüngern, dass sie wegen des Evangeliums hundertfältig belohnt werden für das, was sie aufgegeben haben. Er meint hier die Gemeinde, die sich in ihm – Jesus Christus – zusammenfindet.

Das ist eine gute Nachricht: Selbst wenn jemand wegen Christus alles aufgibt, was er hat – Familie, Freunde, Beruf, Bildung, Ruf, Land, Geld –, wird er um Welten reicher belohnt werden.

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Fazit

Bonhoeffer denkt durch und durch christologisch, das wird auch in seinem Verständnis von Nachfolge deutlich. Wer Jesus Christus nachfolgt, darf nicht unmittelbar gebunden sein an andere Dinge dieser Welt (die übrigens nicht schlecht sein müssen). Stattdessen muss jede Beziehung zu Menschen und Dingen immer durch Jesus Christus hindurch gehen. Das war in den 1930ern eine harte Abfuhr für die kulturprotestantische Schöpfungsordnung der Deutschen Christen und es ist heute immer noch herausfordernd. Nachfolge trennt uns von allem, worüber wir uns ohne Jesus Christus definieren wollen.

Bonhoeffer will in seinem Buch „Nachfolge“ zeigen, dass radikale Nachfolge die Trennung von allem bedeutet, was nicht an Jesus Christus allein geknüpft ist. Das Buch lohnt sich für jeden, der nicht nur einen theologischen Klassiker des 20. Jahrhunderts lesen will, sondern auch ein Buch, dass den eigenen Glauben herausfordert.

Die ersten vier Kapitel der „Nachfolge“ von Bonhoeffer werden hier zusammengefasst:

  1. Billige Gnade
  2. Der Ruf in die Nachfolge
  3. Einfältiger Gehorsam
  4. Die Nachfolge und das Kreuz

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