Die Entrückung

Einleitung

Das Konzept der „Entrückung“ bezeichnet ein endzeitliches Ereignis, bei dem sowohl verstorbene als auch lebende Gläubige „entrückt“ werden (1Thess 4:17), und zwar in einem einzigen Augenblick, „in einem Nu, in einem Augenblick“ (1Kor 15:52), um Jesus in der Luft zu begegnen. Der Begriff „Entrückung“ stammt aus der lateinischen Vulgata, wo das Wort rapio verwendet wird, was so viel bedeutet wie „ergreifen“ oder „wegreißen“. Dieses entspricht dem griechischen Wort harpazō in 1. Thessalonicher 4:17 („entrückt“). Die Entrückung bezieht sich also auf die Hoffnung der Auferstehung aller verstorbenen Gläubigen sowie auf die gleichzeitige Verwandlung der noch lebenden Gläubigen in einen verherrlichten Leib bei der Wiederkunft Jesu. Während die Auferstehung der Gläubigen ein lange bezeugter Bestandteil des christlichen Glaubens ist und fest in der Heiligen Schrift verankert ist, kam der spezifische Begriff „Entrückung“ erst im 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen des Prämillennialismus und der dispensationalistischen Theologie in den allgemeinen Sprachgebrauch.

Die häufigste Streitfrage im Zusammenhang mit der Entrückung betrifft deren Zeitpunkt. Es gibt vier Hauptpositionen:

  • Entrückung vor der Trübsal (prätribulationistisch): Diese Sicht geht davon aus, dass Jesus die Gemeinde heimlich zu sich holt, bevor eine siebenjährige „große Trübsal“ beginnt, die seiner sichtbaren Wiederkunft vorausgeht.
  • Entrückung in der Mitte der Trübsal: Diese Position ähnelt der vorherigen, verortet die Entrückung jedoch nach den ersten dreieinhalb Jahren der Trübsal, zu dem Zeitpunkt, an dem der Antichrist Macht über die Welt gewinnt.
  • Entrückung vor dem Zorn: Diese Sicht vertritt die Auffassung, dass die Entrückung gegen Ende der Trübsalszeit stattfindet, noch bevor der Zorn Gottes in den sogenannten Schalengerichten (Offb 16) ausgegossen wird – und somit vor der sichtbaren Wiederkunft Christi.
  • Entrückung nach der Trübsal (posttribulationistisch): Nach dieser Auffassung geschieht die Entrückung gleichzeitig mit der Wiederkunft Christi am Ende der Trübsal.

Obwohl es ernsthafte Unterschiede zwischen den ersten drei Positionen gibt, haben sie eines gemeinsam: Sie gehen davon aus, dass die Entrückung ein vom zweiten Kommen Christi getrenntes Ereignis ist. Im Mittelpunkt dieses Artikels steht daher vor allem die Frage, ob die Entrückung tatsächlich ein separates und eigenständiges Ereignis ist – oder ob sie gleichzeitig mit der Wiederkunft Jesu am Ende der Trübsal geschieht.

Position 1: Die Entrückung und die Wiederkunft Christi sind zwei getrennte und unterschiedliche endzeitliche Ereignisse

Die prämillennialistische Eschatologie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine wörtliche Auslegung biblischer Prophetie betont, an eine zukünftige Rolle für das nationale Israel glaubt, eine kommende Trübsalszeit vor der Rückkehr Christi zur Erde annimmt – mit dem Ziel, sein tausendjähriges Reich aufzurichten –, sowie ein abschließendes Endgericht erwartet. Der Prämillennialismus versucht, sämtliche biblische Prophetie zu einem umfassenden eschatologischen Gesamtbild zu verbinden, das sich vor allem auf die Bücher Daniel, Hesekiel und die Offenbarung stützt. Innerhalb des Prämillennialismus entwickelten sich auch die Lehren von der Entrückung, einer Wiederkunft Christi in zwei Etappen, und einer strikten Unterscheidung zwischen Israel und der Gemeinde. Diese Sichtweisen sind integrale Bestandteile einer theologischen Schule, die als Dispensationalismus bekannt ist. Sie ging aus der Brüderbewegung hervor und wurde insbesondere durch die Schriften von John Nelson Darby geprägt sowie durch Persönlichkeiten wie C. Larkin, D.L. Moody, C.I. Scofield und L.S. Chafer in den USA verbreitet.

Obwohl nicht alle, die eine prämillennialistische Eschatologie vertreten, Dispensationalisten sind, sind doch alle Dispensationalisten Prämillennialisten. Sie lehren, dass die Gemeinde ein „Einschub“ in Gottes Heilsplan mit Israel sei. Dementsprechend beziehen sich Trübsal und Millennium vornehmlich auf die Zukunft des ethnischen und nationalen Israel. In der Offenbarung taucht der Begriff „Gemeinde“ (ekklēsia) nach Offenbarung 4:1 bis Offenbarung 22:15 nicht mehr auf. Klassische Dispensationalisten schließen daraus, dass Gott die Gemeinde zu Beginn der Trübsal entrückt, um anschließend seinen Heilsplan mit Israel fortzusetzen. Diese Sichtweise steht im Zentrum der Lehre von einer Entrückung vor der Trübsal.

Die dispensationalistische Lehre von der Entrückung vor der Trübsal ist eingebettet in eine endzeitliche Abfolge von Ereignissen, in der Christus in zwei getrennten Etappen wiederkommt. Zuerst kommt Christus in den Wolken, um alle wahren Gläubigen zu entrücken. Dieses Ereignis wird oft als das „heimliche Kommen“ Christi für seine Gemeinde beschrieben. Es soll plötzlich und unerwartet geschehen – „wie ein Dieb in der Nacht“ – sodass Gläubige ohne Vorwarnung verschwinden und die Zurückgebliebenen nicht verstehen, was geschehen ist. Die Entrückung markiert den Beginn einer siebenjährigen „großen Trübsal“, die sich um Israel dreht und von zahlreichen Gerichten gekennzeichnet ist. Nach der Trübsal wird Christus sichtbar auf die Erde zurückkehren, um sein tausendjähriges Reich zu errichten. Diese zweite Etappe wird als die „Wiederkunft“ bezeichnet, auch wenn Christus in gewissem Sinne schon vorher für seine Heiligen gekommen ist. Beide Etappen werden häufig gemeinsam unter dem Begriff „Wiederkunft Christi“ zusammengefasst.

Dispensationalisten deuten 1. Thessalonicher 4:13–18 (sowie 1. Korinther 15:51–52) als Beleg für eine Entrückung vor der Trübsal. Sie verstehen die Entrückung als die Auferstehung aller wahren Christen seit Pfingsten bis zum Zeitpunkt der Entrückung. Diese Auferstehung sei von der im Alten Testament und der in Offenbarung 20 beschriebenen Auferstehung zu unterscheiden. Darüber hinaus zeige die Begegnung mit Christus „in den Wolken“, dass es sich um ein anderes Ereignis handelt als die sichtbare Rückkehr Christi zur Erde. Dispensationalisten stellen auch einen Zusammenhang zu Johannes 14:1–3 her: Wenn die Entrückung erst am Ende der Trübsal stattfände, würden die Jünger bei Christi Wiederkunft zur Erde zurückkehren – statt, wie verheißen, in das Haus des Vaters einzugehen. In der Folge wird die Gemeinde im Himmel dem Vater vorgestellt, tritt vor den Richterstuhl Christi (bēma, vgl. 2Kor 5:10) und wird mit dem Bräutigam, Christus, vermählt. Diese Abläufe erfordern – so argumentieren Dispensationalisten – eine Entrückung vor der Trübsal.

Ein zentrales Argument für die Unterscheidung zwischen Entrückung und Wiederkunft liegt für Dispensationalisten in den Unterschieden zwischen den sogenannten Entrückungsstellen und den Stellen, die die Wiederkunft Christi beschreiben. Indem sie diese Passagen gegenüberstellen, versuchen sie, die Zwei-Phasen-Lehre der Wiederkunft zu begründen. Dispensationalisten haben umfangreiche Studien angestellt und kommen zu dem Schluss, dass mindestens 22 Bibelstellen auf die Entrückung und mindestens 20 auf die sichtbare Wiederkunft Christi hinweisen. Der Grund für diese Unterscheidung liegt aus ihrer Sicht in der Natur der jeweiligen Texte: Viele Passagen zur Wiederkunft Christi sind positiv und hoffnungsvoll für Gläubige, während andere negativ und gerichtshaft für Ungläubige sind. So beschreibt Offenbarung 6:16 die katastrophalen Gerichte der Endzeit als den „Zorn des Lammes“, während Offenbarung 19:,7–9 die Gemeinde als die Braut des Lammes schildert – und eben nicht als Gegenstand dieses Zorns, der über eine ungläubige Welt ausgegossen wird.

Dispensationalisten vertreten die Auffassung, dass die Gemeinde durch die Entrückung vor der Trübsal bewahrt wird, um dem göttlichen Zorn zu entgehen. Das Konzept der Entrückung vor der Trübsal (ebenso wie die Ansichten einer Entrückung in der Mitte der Trübsal oder vor dem Zorn) geht davon aus, dass die christliche Gemeinde physisch von der Erde entfernt wird, bevor die Ereignisse der großen Trübsal eintreten. Zudem vertreten sie die Überzeugung, dass sich die Trübsalszeit auf Gottes erneute Zuwendung zu Israel als seinem auserwählten Volk bezieht – weshalb die Gemeinde zuvor aus dem Weg genommen werden müsse.

Nach dieser Sicht ist die große Trübsal identisch mit dem Zorn des Lammes (vgl. Offb 6:17; 11:18; 14:10; 15:1.7; 16:1; 19:15). Weil die Trübsal mit Gottes Zorn gleichgesetzt wird, sei sie grundsätzlich anders als alle Drangsale, die die Gemeinde im sogenannten „Gemeindezeitalter“ zuvor erlitten hat.

Allerdings ist es nicht notwendig, dass die Gemeinde entrückt wird, um vor dem Zorn Gottes bewahrt zu bleiben. In der Tat brauchen diejenigen, die in Christus sind, den Zorn Gottes nicht zu fürchten (1Thess 1:10). Christen werden den Zorn Gottes niemals treffen, denn Christus hat den Zorn Gottes stellvertretend für sie getragen. Dass Gläubige vor dem göttlichen Zorn bewahrt werden, ist zweifellos wahr – aber das bedeutet nicht, dass sie während der Trübsal von der Erde entfernt werden müssen, um vor Gottes Gerichten geschützt zu sein (vgl. 2Petr 2:5–9). Gott ist sehr wohl imstande, sein Volk zu versiegeln und zu bewahren (vgl. Offb 7), etwa so wie er einst Israel in Goschen vor den Plagen Ägyptens beschützte (vgl. 2Mo 8:22; 9:26).

Position 2: Die Entrückung und die Wiederkunft Christi geschehen gleichzeitig am Ende der Trübsal

Eine andere Sichtweise vertritt die Überzeugung, dass es nur eine einzige Wiederkunft Christi gibt. Bei dieser Rückkehr werden sowohl die verstorbenen Gläubigen als auch die noch lebenden Gläubigen Christus in der Luft entgegengerückt, während er zur Erde herabkommt. Diese Sichtweise wird als Entrückung nach der Trübsal (posttribulationistisch) bezeichnet, weil sie die Entrückung am Ende der Trübsalszeit verortet.

Vertreter dieser Position lehnen die Vorstellung einer Wiederkunft in zwei Etappen sowie die Idee eines heimlichen Kommens Christi vor der Trübsal ausdrücklich ab. Stattdessen halten sie daran fest, dass Christus nur einmal wiederkommt – und dass die Entrückung, verstanden als die Auferstehung der Heiligen, ein öffentliches Ereignis ist, das sichtbar und unübersehbar geschieht.

Bis zum Aufkommen des prämillennialistischen Dispensationalismus war diese Sichtweise die traditionelle Lehre der christlichen Kirche. In unterschiedlichen Ausprägungen wird sie auch heute noch in amillennialistischen, postmillennialistischen und historisch-prämillennialistischen eschatologischen Lesarten der Schrift vertreten.

Obwohl der Begriff „Entrückung“ auf eine Auslegung von 1. Thessalonicher 4:13–18 zurückgeht, handelt es sich bei dem, was oft als Entrückung bezeichnet wird, in Wirklichkeit um die biblische Lehre von der leiblichen Auferstehung der Heiligen. Der starke Fokus auf den Begriff „Entrückung“ hat möglicherweise die Bedeutung dieser Auferstehung verzerrt und verdrängt – indem ein zusätzliches, nicht ausdrücklich im Neuen Testament gelehrtes eschatologisches Konzept eingeführt wurde: nämlich eine zweistufige oder geheime Wiederkunft Christi. Aus diesem Grund gibt es mehrere gute Gründe, die Vorstellung einer zweifachen Wiederkunft Christi zurückzuweisen und stattdessen zu bekräftigen, dass das, was als „Entrückung“ bezeichnet wird, gleichzeitig mit der einen, sichtbaren Wiederkunft Christi am Ende der Weltzeit geschieht.

Auch wenn das „Entrücktwerden“ der Gläubigen, um dem Herrn in der Luft zu begegnen (1Thess 4:17), auf eine Art Entrückung hinzudeuten scheint, ist es entscheidend, den Kontext zu beachten: Paulus spricht hier ausdrücklich über die Auferstehung der verstorbenen Gläubigen bei der Wiederkunft Christi – und nicht über eine Entfernung der Gemeinde vor oder während der Trübsal. Paulus erklärt, dass die Gläubigen, die im Herrn entschlafen sind, bei der Wiederkunft Christi auferweckt werden, und dass diejenigen, die dann noch leben, bei Jesu Herabkunft vom Himmel verwandelt werden (1Thess 4:16). Dasselbe Ereignis greift Paulus auch in 1. Korinther 15:51–52 auf, wenn er schreibt: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden – in einem Nu, in einem Augenblick, beim letzten Posaunenschall. Denn die Posaune wird erschallen, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden.“ Auch dieser Abschnitt steht im Kontext von Paulus’ umfassender Lehre über die leibliche Auferstehung der Toten.

Der zeitliche Rahmen für die Auferstehung der Gläubigen – und damit auch das, was oft als „Entrückung“ bezeichnet wird – ist am besten so zu verstehen, dass sie bei der sichtbaren Wiederkunft Christi stattfindet, und nicht bei einem geheimen Kommen Jahre zuvor. Paulus macht dies in 1. Thessalonicher 4:15–17 deutlich. Das dort verwendete griechische Wort parousia („Ankunft“, „Gegenwart“, „Kommen“) ist im gesamten Neuen Testament ein fester Begriff für die sichtbare Wiederkunft Jesu Christi (vgl. Mt 24:27; 1Kor 15:23; Jak 5:8; 1Joh 2:28). In 1. Thessalonicher 4:15 – also genau im sogenannten „Entrückungstext“ – schreibt Paulus, dass die Lebenden, „bis zur Wiederkunft des Herrn“, nicht vor den Verstorbenen zum Herrn gelangen werden. Das Schlüsselwort hier ist parousia.

Befürworter einer zweistufigen Wiederkunft – mit einer geheimen Entrückung vor oder während der Trübsal – interpretieren diese parousia als erste, geheime Phase von Christi Rückkehr. Das Problem dieser Deutung liegt jedoch darin, dass parousia in allen anderen Vorkommen im Thessalonicherbrief unmissverständlich die sichtbare Wiederkunft Christi zur Erde bezeichnet (vgl. 1Thess 2:19; 3:13; 5:23; 2Thess 2:1.8). In 1. Thessalonicher 3:13 ist ausdrücklich von der „Wiederkunft unseres Herrn Jesus mit allen seinen Heiligen“ die Rede – ein klarer Hinweis auf die endgültige Wiederkunft. Ebenso spricht Paulus in 2. Thessalonicher 2:8 davon, dass der Herr Jesus den „Menschen der Gesetzlosigkeit“ durch den Hauch seines Mundes vernichten wird – „durch die Erscheinung seiner Wiederkunft (parousia)“.

Wenn diese beiden Stellen sich eindeutig auf die sichtbare Rückkehr Christi zur Erde beziehen, gibt es keinen stichhaltigen Grund, warum 1. Thessalonicher 4:16–17 als etwas anderes gedeutet werden sollte. Paulus scheint vielmehr deutlich zu machen, dass die Auferstehung der Heiligen und das Hinweggenommenwerden der lebenden Gläubigen zeitgleich mit der sichtbaren Wiederkunft Jesu geschehen – und nicht als geheimes „Wegstehlen“ der Gemeinde Jahre vor dem eigentlichen Ende.

Ein drittes Argument für die Gleichzeitigkeit von Entrückung und Wiederkunft Christi ist die sogenannte Ölbergrede Jesu (Mt 24), in der er deutlich macht, dass Gläubige die Zeit der großen Trübsal durchleben werden und bei seiner Wiederkunft gesammelt werden. In Matthäus 24:21–22 spricht Jesus von einer „großen Trübsal“, wie es sie „seit Anfang der Welt bis jetzt nicht gegeben hat und auch nicht wieder geben wird“. Dass Gläubige zu dieser Zeit noch auf der Erde sind, zeigt seine Aussage, dass diese Tage „um der Auserwählten willen“ verkürzt werden (V. 22).

Von einer „Entrückung“ oder einem ähnlichen Vorgang ist zunächst keine Rede – bis Jesus in Vers 31 sagt: „Und er wird seine Engel senden mit starkem Posaunenschall, und sie werden seine Auserwählten sammeln von den vier Winden, von einem Ende des Himmels bis zum andern“ (Mt 24:31). Diese Sammlung der Auserwählten geschieht nachdem das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erschienen ist und er „mit großer Kraft und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels“ wiederkommt (V. 30). Es ist also klar: Diese Sammlung – die oft mit der Entrückung gleichgesetzt wird – geschieht bei der sichtbaren Wiederkunft Christi in Herrlichkeit, nicht vor der Trübsal. Jesus selbst sagt in Vers 29: „Sogleich aber nach der Trübsal jener Tage … wird der Menschensohn kommen“ (vgl. V. 30–31). Seine Wiederkunft wird öffentlich, machtvoll und für alle sichtbar sein – „wie der Blitz, der vom Osten ausgeht und bis zum Westen leuchtet“ (V. 27) – und nicht im Verborgenen.

Bemerkenswert ist, dass Jesus seine Wiederkunft und die Sammlung der Auserwählten in ähnlichen Begriffen beschreibt wie Paulus in 1. Thessalonicher 4:16–17: In beiden Texten ist von einer Posaune und von einer Wiederkunft in den Wolken die Rede (vgl. auch 1Kor 15:52). Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass Paulus seine Aussagen in 1. Thessalonicher 4 auf Jesu eigene Lehre in der Ölbergrede stützt.

Einige verweisen auf Matthäus 24:40–41 („Dann werden zwei Männer auf dem Feld sein; einer wird genommen und der andere zurückgelassen“) als Beleg für eine Entrückung. Doch bei näherer Betrachtung spricht diese Stelle nicht von einer Errettung, sondern vom Gericht: Wer „genommen“ wird, wird dem Gericht preisgegeben – ähnlich wie in den Tagen Noahs (V. 38–39), wo die „Weggenommenen“ diejenigen waren, die im Gericht umkamen. Diejenigen hingegen, die „zurückgelassen“ werden, sind diejenigen, die verschont bleiben. Diese Bildsprache ist im Alten Testament mehrfach belegt (z. B. Jes 4:2–4; Zef 3:11–12) und wird auch im Gleichnis vom Unkraut (Mt 13:41–43) verwendet. Die Lehre Jesu in der Ölbergrede unterstützt daher nicht die Vorstellung von einer geheimen Entrückung der Gemeinde vor oder während der Trübsal.

Schließlich wird oft angenommen, dass die auferstandenen und entrückten Heiligen nach der Begegnung mit Christus mit ihm in den Himmel zurückkehren. Doch das Neue Testament legt näher, dass sie mit Christus auf die Erde zurückkehren. In 1. Thessalonicher 4:17 heißt es, dass die Gläubigen dem Herrn „entgegengehen“ (apantēsis) in die Luft. Das griechische Wort apantēsis bezeichnet im antiken Kontext die Begrüßung eines Würdenträgers, der zu einem offiziellen Besuch (parousia) kommt. Die Bewohner gingen ihm entgegen, um ihn feierlich in die Stadt zu begleiten. Dies ist dasselbe Wort, das in Matthäus 25:6 verwendet wird, wenn die Jungfrauen dem Bräutigam „entgegengehen“, um ihn in den Hochzeitssaal zu führen. Auch in Apostelgeschichte 28:15 gehen die Christen aus Rom Paulus „entgegen“ (apantēsis), um ihn auf seinem Weg in die Stadt zu begleiten.

Daraus ergibt sich: 1. Thessalonicher 4:13–18 beschreibt nicht eine heimliche Entrückung der Gemeinde in den Himmel, sondern eine öffentliche Wiederkunft des Menschensohnes in Herrlichkeit. Die Gemeinde – getreu dem Muster biblischer Leidensgemeinschaft – wird auch durch die Trübsal hindurch treu bleiben. Und wenn Christus erscheint, werden die Gläubigen ihm entgegengerückt, um ihn bei seiner triumphalen Rückkehr auf die Erde zu begleiten – als ihr König in Herrlichkeit.

Schlussfolgerung

Lehrt die Bibel eindeutig das Konzept einer Entrückung vor der Trübsal oder einer zweistufigen Wiederkunft Christi? Die wohl treffendste Antwort auf diese Frage lautet: nicht wirklich. Dennoch vertreten viele bibeltreue Christen die Überzeugung, dass die Gemeinde vor oder während der Trübsal entrückt wird, um dem kommenden Zorn Gottes zu entgehen. Diese Sichtweise stützt sich auf verschiedene biblische und theologische Argumente, die durchaus Gewicht haben.

Doch wenn sich die Lehre von einer zweistufigen Wiederkunft Christi und einer vortrübsaalischen Entrückung ausschließlich aus dem theologischen System und der Auslegungsmethodik des klassischen Dispensationalismus ableiten lässt, besteht durchaus berechtigter Grund zu einer gewissen Zurückhaltung.

Demgegenüber gibt es umfangreiche historische, theologische und biblische Gründe, die Wiederkunft Christi als ein einziges, zusammenhängendes Ereignis zu verstehen – und nicht als zweiphasigen Vorgang. Die Vorstellung einer zweistufigen Wiederkunft findet keine ausdrückliche Bestätigung in der Schrift und stellt zudem eine vergleichsweise junge Entwicklung innerhalb der christlichen Theologie dar.

Die biblische Lehre von der Auferstehung der Gläubigen und ihrer Verwandlung in einen verherrlichten Leib ist hingegen fest in der christlichen Theologie verankert. Diese große Hoffnung droht jedoch durch eine rapture-orientierte Endzeiterwartung überschattet oder gar verdrängt zu werden.

Unabhängig davon, welche Ansicht man hinsichtlich der Entrückung oder ihres zeitlichen Ablaufs vertritt: Es handelt sich hierbei nicht um eine Frage von Rechtgläubigkeit oder Irrlehre. Die Treue eines Christen zu Christus und zur gesunden Lehre hängt nicht davon ab, ob er eine zweistufige oder einmalige Wiederkunft vertritt.

Wenn Christus wiederkommt und seine Gemeinde mit ihm in Herrlichkeit vereint sein wird, wird niemand enttäuscht sein – und niemand wird sich mehr darüber streiten, wie genau oder wann es geschehen ist.


Hinweis zur Lizenz und Übersetzung:
Dies ist eine Übersetzung des Originalwerks von Alan Bandy. Die Veröffentlichung erfolgt unter der freien Lizenz CC BY-SA 4.0. Das bedeutet, dass der Text unter den gleichen Bedingungen weiterverwendet werden darf, sofern die ursprüngliche Quelle genannt und die Lizenz beibehalten wird. Die Veröffentlichung dieser Übersetzung bedeutet jedoch nicht, dass der Autor sie ausdrücklich billigt oder unterstützt.

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