Die Reformation: Süßes oder Saures?

Es ist kein Zufall, dass der 31. Oktober sowohl Halloween als auch der Tag ist, an dem man sich an den Beginn der Reformation erinnert. Beide Tage sind der Auftakt zum 1. November, Allerheiligen oder All Hallows‘ Day (Hallows aus dem Altenglischen für Heilige).

Am Vorabend von Allerheiligen, dem 31. Oktober 1517, empfing die römische Kirche den denkwürdigsten „Süßes oder Saures”-Besucher an ihrer Tür obwohl dies damals kaum bemerkt wurde, als ein einfacher Priester namens Martin Luther die Schwelle der Wittenberger Niederlassung in Deutschland überschritt und seine 95 schlichten Thesen (die bei weitem nicht so beeindruckend sind, wie man erwarten würde) anbrachte. Der bevorstehende Allerheiligentag schien ein Vorwand zu sein, um über die bedauerliche Praxis der Ablassverkäufe durch die Kirche zu streiten, und Luther hoffte auf eine lebhafte Debatte.

Der Funke der die Kirche in Brand setzte

Aber die Kirche war seit Jahrhunderten überfällig für eine umfassende Reform, das Feuerholz lag bereit, und Luthers kleiner, fast zufälliger Funke entfachte das ganze Feuer. Ein namenloser Visionär übersetzte seine Thesen aus dem Latein der Kirche ins Deutsche des Volkes und verbreitete sie weit und breit durch die Druckerpresse. Mit der Zeit erwies sich dieser einfache Mönch als jemand, der das Zeug hatte, sich gegen die Kirche und die Welt zu behaupten. „Hier stehe ich“, sagte er mutig vor dem Kaiser und unter Gott wurde er zur menschlichen Speerspitze einer massiven Reform.

Das ist natürlich die vereinfachte Version der Geschichte. Abgesehen von seinem eigenen Sohn verändert Gott die Welt nicht durch eine einzelne Person, sondern durch Menschen. Hinter jedem einzelnen Menschen, an den man sich erinnert, steht eine große Gemeinschaft. Luther hatte bedeutende Mitstreiter bei seiner Arbeit in Wittenberg, und in größerem Maßstab waren viele andere nötig, wie z.B. Ulrich Zwingli, Johannes Calvin, Martin Bucer, Thomas Cranmer, John Knox und viele mehr, alle mit ihren Mitarbeitern und Assistenten, um die Reformation weit und breit einzuleiten. Gott gab Luther die Kraft, Pionierarbeit zu leisten. Er war der Rammbock. Aber fünf Jahrhunderte protestantisches Christentum wären nicht allein auf Luther zurückzuführen gewesen.

Der französische Humanist

Insbesondere Calvins Denken, Schreiben und Systematisieren spielten eine ergänzende Rolle zu Luthers Pioniergeist. Calvin wurde 1509 in Frankreich geboren und war erst acht Jahre alt, als Luther 1517 seinen “Halloween-Streich” spielte.

Calvin wurde zum Humanisten ausgebildet und konvertierte irgendwann zwischen 1528 und 1532 während seines Studiums. Am Allerheiligentag 1533 geriet er in Schwierigkeiten. Sechzehn Jahre nachdem Luther seine Thesen veröffentlicht hatte, hielt Calvins Freund Nicolas Cop eine Allerheiligenpredigt, in der er Christus als einzigen Mittler (und nicht die „Heiligen“) verkündete. Einige vermuteten, dass diese offensichtlich protestantische Ansprache von Calvin verfasst worden war, und bald darauf musste er fliehen.

Als Exilant verbrachte Calvin einige Zeit in Basel und kam 1536 scheinbar zufällig für eine einzige Nacht nach Genf, auf seinem Weg nach Straßburg, wo er ein akademisches Leben in einem Elfenbeinturm verbringen und sich dem Studium und dem Schreiben widmen wollte. Der feurige Schweizer Reformator William Farel erfuhr, dass Calvin in der Stadt war, und überzeugte ihn, sich der Reformation in Genf anzuschließen. Calvin willigte ein und blieb dort in Genf, abgesehen von einem dreijährigen Exil von 1538 bis 1541, bis zu seinem Tod im Jahr 1564 im Alter von 54 Jahren.

Die „Unfälle“ der Vorsehung

Der Reformationstag ist der richtige Zeitpunkt, um sich an eine Reihe biblischer Wahrheiten zu erinnern: dass die Heilige Schrift unsere einzige endgültige Autorität ist (sola Scriptura); dass Gott uns allein aus Gnade, allein durch den Glauben und allein aufgrund Christi annimmt (Rechtfertigung); dass Gott oft die unwahrscheinlichsten Menschen benutzt, um die Welt auf den Kopf zu stellen; dass Gott nicht nur einzelne große Persönlichkeiten hervorbringt, sondern ganze Gruppen von Menschen, echte Teams, jedes mit seinem Los und seiner eigenen lokalen Kohorte, um weitreichende Veränderungen herbeizuführen; und dass all dies zur Ehre Gottes allein geschieht (soli Deo gloria).

Aber hier ist etwas, das du dieses Jahr im Auge behalten solltest. Gott liebt es, die scheinbaren Zufälle in unserem Leben zu nutzen, um seine Ziele zu erreichen. Es sind die „Zufälle”, die uns daran erinnern, dass wir ganz und gar nicht die Kapitäne unserer eigenen Seele sind, dass wir nicht unser eigenes Schicksal steuern, dass wir nicht dafür zuständig sind, alles zu planen und auszuführen. Wie traurig wäre es, wenn wir als Erwachsene alles selbst ausdenken würden und den Rest unseres Lebens damit verbringen würden, unsere langweiligen und unkreativen kleinen Visionen zu verwirklichen?

Dass eine solche Reformation vor fast 500 Jahren begann und bis heute andauert, das ist auch deine Geschichte, ist nicht das Ergebnis eines menschlichen Plans. Es waren „Zufälle“, die ihr die Spuren göttlicher Fingerabdrücke verliehen haben. Luthers zufälliger Funke, der zuerst die Flamme entzündete, und Calvins zufällige einsame Nacht in Genf, die den Kurs dieser Stadt und eines wichtigen Zweigs der protestantischen Theologie veränderte.

Der Reformationstag erinnert uns daran, die „Zufälle“ in unserem Leben anzunehmen, nach der Hand der Vorsehung zu suchen und darauf zu vertrauen, dass seine Pläne für uns besser sind als unsere kühnsten Träume. Für diejenigen, die zu ihm gehören, wirkt er wirklich alles zum Guten, sogar und insbesondere das scheinbar Zufällige, um für uns weit mehr zu tun, als wir erbitten oder uns vorstellen können (Römer 8,28; Epheser 3,20).


Dieser Beitrag erschien zuerst bei Desiring God. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Übersetzt von Ronny Käthler.
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