Er starb 1000 mal – und lebte: Adoniram Judson (1788-1850)

Adoniram Judson

Die Geschichte von Adoniram Judsons Verlusten ist beinahe überwältigend. Gerade wenn man denkt, der letzte Schlag sei der schlimmste gewesen und er könne nicht mehr ertragen, folgt ein weiterer. Tatsächlich wäre es unerträglich, wenn wir das Ganze nicht aus Gottes langer geschichtlicher Perspektive sehen könnten. Der Same, der tausend mal starb, hat in Myanmar (ehemals Birma) eine außergewöhnliche Bewegung, hin zu Christus, hervorgebracht.

Als Adoniram Judson im Juli 1813 nach Birma kam, war es ein feindliches und völlig unerreichtes Land. William Carey hatte Judson wenige Monate zuvor in Indien geraten, nicht dorthin zu gehen. Heute würde man es wohl als ein geschlossenes Land betrachten, mit anarchischer Despotie, heftigem Krieg gegen die Siamesen, feindlichen Überfällen, ständigen Aufständen und keinerlei religiöser Toleranz. Alle bisherigen Missionare waren gestorben oder hatten das Land verlassen.

Doch Judson ging mit seiner 23-jährigen Frau, mit der er seit 17 Monaten verheiratet war, dorthin. Er war 24 Jahre alt und arbeitete dort 38 Jahre lang bis zu seinem Tod im Alter von 61 Jahren, mit nur einer Heimreise nach Neuengland nach 33 Jahren. Der Preis, den er bezahlte, war immens. Er war ein Same, der in die Erde fiel und immer wieder starb.

Ein ungewöhnlicher Antrag

Judson trat im Oktober 1808 in das Andover Seminary in Newton, Massachusetts, ein und weihte sich am 2. Dezember feierlich Gott. In Andover brannte das Feuer für Mission. Am 28. Juni 1810 stellten sich Judson und andere für den Missionsdienst im Osten zur Verfügung. An diesem Tag lernte er Ann Hasseltine kennen und verliebte sich in sie. Nachdem er Ann einen Monat lang kannte, erklärte er seine Absicht, um sie zu werben, und schrieb an ihren Vater den folgenden Brief:

Ich muss nun fragen, ob Sie sich damit einverstanden erklären können, sich im kommenden Frühjahr von Ihrer Tochter zu trennen, sie in dieser Welt nicht wiederzusehen; ob Sie sich mit ihrer Abreise und ihrer Unterwerfung unter die Härten und Leiden des Missionslebens abfinden können; ob Sie zustimmen können, dass sie sich den Gefahren des Ozeans, dem tödlichen Einfluss des südlichen Klimas Indiens, jeder Art von Mangel und Not, von Erniedrigung, Beleidigung, Verfolgung und vielleicht einem gewaltsamen Tod aussetzt. Können Sie all dies zulassen, um dessen willen, der seine himmlische Heimat verließ und für ihre Tochter und für Sie starb; um der verlorenen, unsterblichen Seelen willen; um Zions willen und zur Ehre Gottes? Können Sie all dies zulassen in der Hoffnung, Ihre Tochter bald in der Welt der Herrlichkeit wiederzusehen, mit der Krone der Gerechtigkeit, erhellt durch die Jubelrufe des Lobes, die ihrem Retter von Heiden zutströmen, die durch ihr Wirken aus ewigem Elend und Verzweiflung gerettet wurden? (To the Golden Shore, 83)

Ihr Vater sagte erstaunlicherweise, sie könne selbst entscheiden. Adoniram und Ann heirateten am 5. Februar 1812 und segelten vierzehn Tage später nach Indien, zusammen mit zwei weiteren Ehepaaren und zwei alleinstehenden Männern, die auf zwei Schiffe aufgeteilt wurden, falls eines untergehen sollte. Nach kurzer Zeit in Indien beschlossen Adoniram und Ann, das Risiko einzugehen und ein neues Missionsfeld zu betreten. Am 13. Juli 1813 erreichten sie Rangun in Birma.

Eine lange und schmerzvolle Ernte

In Birma begann ein lebenslanger Kampf, bei einer Hitze von 42 Grad Celsius, mit Cholera, Malaria, Ruhr und unbekannten Krankheiten, die nicht nur Ann, sondern auch seiner zweiten Ehefrau, sieben seiner dreizehn Kinder und einem Kameraden nach dem anderen das Leben kosten sollten.

Trotz all der Kämpfe mit Krankheit und ständigen Unterbrechungen arbeitete Judson unermüdlich daran, die Sprache zu lernen, die Bibel zu übersetzen und auf den Straßen zu evangelisieren. Sechs Jahre nachdem er und Ann angekommen waren, tauften sie ihren ersten Bekehrten, Maung Nau. Die Aussaat war lang und mühsam, die Ernte, über Jahre hinweg, noch schwieriger. Doch 1831, neunzehn Jahre nach ihrer Ankunft, lag ein neuer Geist über dem Land. Judson schrieb:

Der Geist des Suchens breitet sich überall aus, über die gesamte Länge und Breite des Landes. [Wir haben] fast 10.000 Traktate verteilt und sie nur an diejenigen gegeben, die darum baten. Ich schätze, dass es 6.000 Anfragen bei uns im Haus gegeben hat. Einige kommen nach zwei oder drei Monaten Reise, von den Grenzen Siams und Chinas: „Herr, wir haben gehört, dass es eine ewige Hölle gibt. Wir fürchten sie. Bitte geben Sie uns eine Schrift, die uns sagt, wie wir ihr entkommen können.“ Andere kommen von den Grenzen Kathays, hundert Meilen nördlich von Ava: „Herr, wir haben eine Schrift gesehen, die von einem ewigen Gott erzählt. Sind Sie der Mann, der solche Schriften verteilt? Wenn ja, bitte geben Sie uns eine, denn wir wollen die Wahrheit wissen, bevor wir sterben.“ Wieder andere kommen aus dem Landesinneren, wo der Name Jesu Christi kaum bekannt ist: „Sind Sie der Mann Jesu Christi? Geben Sie uns eine Schrift, die uns von Jesus Christus erzählt.“ (To the Golden Shore, 398–399)

Doch zwischen dem ersten Bekehrten im Jahr 1819 und diesem mächtigen Wirken Gottes im Jahr 1831 lag ein enormer Preis, den Judson bezahlen musste.

Gefangen und allein

Im Jahr 1823 zogen Adoniram und Ann von Rangun nach Ava, der Hauptstadt, etwa 480 Kilometer landeinwärts, weiter den Irrawaddy-Fluss hinauf. Es war riskant, so nahe am despotischen Kaiser zu leben. Im Mai des folgenden Jahres traf eine britische Flotte in Rangun ein und bombardierte den Hafen. Alle Westler wurden sofort als Spione betrachtet, und Adoniram wurde aus seinem Haus gezerrt. Am 8. Juni 1824 wurde er ins Gefängnis geworfen. Seine Füße wurden gefesselt, und nachts ließ man eine lange waagerechte Bambusstange zwischen seine gefesselten Beine gleiten und hob sie an, bis nur noch Schultern und Kopf der Gefangenen den Boden berührten.

Ann war schwanger, aber sie ging täglich die zwei Meilen bis zum Palast, um für Judosn zu bitten; dass er kein Spion sei und man Gnade walten lassen solle. Am 4. November 1825 wurde Judson plötzlich freigelassen. Die Regierung brauchte ihn als Übersetzer für Verhandlungen mit Großbritannien. Die lange Tortur war vorbei, siebzehn Monate im Gefängnis, am Rande des Todes, während seine Frau sich selbst und ihr Baby aufopferte, um ihn so gut wie möglich zu versorgen. Anns Gesundheit war zerstört. Elf Monate später, am 24. Oktober 1826, starb sie. Und sechs Monate danach starb auch ihre Tochter.

“Ich finde Ihn nicht”

Die psychologische Wirkung dieser Verluste war verheerend. Selbstzweifel überwältigten seinen Geist, und er fragte sich, ob er Missionar aus Ehrgeiz und Ruhmsucht geworden war anstattt aus Demut und selbstloser Liebe. Er begann, katholische Mystiker wie Madame Guyon, Fénelon und Thomas von Kempen zu lesen, die ihn zu einem Leben in Einsamkeit, Askese und verschiedenen Formen der Selbstkasteiung führten. Er legte seine Arbeit an der Übersetzung des Alten Testaments, die Liebe seines Lebens, nieder und zog sich immer mehr von Menschen und von allem zurück, „was auch nur irgendwie Stolz fördern oder ihm Freude bereiten könnte“ (To the Golden Shore, 387).

Er ließ neben seiner Hütte ein Grab ausheben und saß daneben, während er über die Stadien der Verwesung des Körpers nachdachte. Für vierzig Tage zog er sich allein in den tigerverseuchten Dschungel zurück und schrieb in einem Brief, dass er sich in völliger geistlicher Verlassenheit befand: „Gott ist mir der große Unbekannte. Ich glaube an ihn, aber ich finde ihn nicht“ (To the Golden Shore, 391).

Sein Bruder Elnathan starb am 8. Mai 1829 im Alter von 35 Jahren. Paradoxerweise wurde dies der Wendepunkt in Judsons Genesung, denn er hatte Grund zu der Annahme, dass der Bruder, den er siebzehn Jahre zuvor im Unglauben zurückgelassen hatte, im Glauben gestorben war. Im Laufe des Jahres 1830 begann Adoniram allmählich, aus seiner Dunkelheit herauszukommen.

Eine fertige Bibel und eine neue Ehefrau

Im Zentrum von Judsons missionarischer Arbeit stand von Anfang an und besonders in dieser Phase seines Lebens die Übersetzung der Bibel. In diesen Jahren der geistlichen Genesung, ohne Frau und Kinder, zog er sich in ein kleines, eigens dafür gebautes Zimmer zurück, um nahezu all seine Energie darauf zu verwenden, die Übersetzung des Neuen Testaments zu verfeinern und mit der Arbeit am Alten Testament fortzufahren. Ende des Jahres 1832 wurden dreitausend Exemplare des vollendeten Neuen Testaments gedruckt. Das Alte Testament beendete er am 31. Januar 1834.

Mit der Fertigstellung des ersten Entwurfs der Bibel auf Birmanisch schien Gott diese Arbeit mit dem Segen einer neuen Ehefrau zu “belohnen”. Drei Jahre zuvor war ein anderer Missionar in Birma, George Boardman, gestorben. Seine Witwe Sarah blieb in Birma und wurde selbst zu einer Legende, als sie mit ihrem Baby George ins Landesinnere zog, um die Mission fortzuführen. Im Februar 1834 erhielt Judson einen Brief von Sarah. Am 1. April verließ er Moulmein in Richtung Tavoy, entschlossen, um sie zu werben. Am 10. April heirateten sie.

Dies sollten einige seiner glücklichsten Jahre in Birma werden, doch nicht ohne Schmerz und sie sollten nicht viel länger als ein Jahrzehnt andauern. Nach der Geburt von acht Kindern in elf Jahren wurde Sarah so krank, dass die Familie beschloss, nach Amerika zu reisen, in der Hoffnung, die Meeresluft könne Heilung bringen. Judson war nun seit 33 Jahren nicht mehr in Amerika gewesen und kehrte einzig wegen seiner Frau zurück. Als sie im September 1845 die Südspitze Afrikas umsegelten, starb Sarah. Das Schiff warf vor der Insel St. Helena Anker, lange genug, um ein Grab auszuheben, eine Frau und Mutter zu bestatten und dann weiterzusegeln.

Dieses Mal verfiel Adoniram nicht wie zuvor in tiefe Depression. Er hatte seine Kinder. Doch noch mehr: Sein Leiden hatte ihn davon gelöst, zu viel Hoffnung in diese Welt zu setzen. Er lernte, sein Leben in dieser Welt zu hassen, ohne Bitterkeit oder Verzweiflung (Johannes 12:25). Und nun hatte er nur noch eine Leidenschaft: zurückzukehren und sein Leben für Birma hinzugeben.

Wenige sterben so schwer

Judsons Aufenthalt in den Vereinigten Staaten verlief nicht wie geplant. Zu aller Überraschung verliebte er sich ein drittes Mal, diesmal in Emily Chubbuck, die er am 2. Juni 1846 heiratete. Sie war 29 Jahre alt, er 57. Emily war eine bekannte Schriftstellerin, gab jedoch ihren Ruhm und ihre Karriere auf, um mit Judson nach Birma zu gehen. Sie erreichten ihr Ziel im November 1846. Gott schenkte ihnen vier der glücklichsten Jahre, die beide je erlebt hatten.

Adoniram und Emily bekamen ein Kind. Alles schien hoffnungsvoll, doch dann kehrten die alten Krankheiten zurück und überfielen Adoniram ein letztes Mal. Die einzige Hoffnung bestand darin, den schwerkranken Judson auf eine Seereise zu schicken. Am 3. April 1850 brachte man ihn an Bord der Aristide Marie, die zur Insel Mauritius (damals „Isle of France“) unterwegs war. Sein Freund Thomas Ranney begleitete ihn, um sich um ihn zu kümmern. In seinem Elend wurde Judson immer wieder von heftigen Schmerzen geweckt, die in Erbrechen endeten. Einer seiner letzten Sätze lautete: „Wie wenige gibt es … die so schwer sterben!“ (To the Golden Shore, 504).

Am Freitagnachmittag, dem 12. April 1850, um 16:15 Uhr, starb Adoniram Judson auf See, fern von seiner Familie und der birmanischen Gemeinde. Am Abend stoppte das Schiff. „Die Besatzung versammelte sich still. Die Luke am Backbord wurde geöffnet. Es wurden keine Gebete gesprochen … Der Kapitän gab den Befehl. Der Sarg glitt durch die Luke in die Nacht.“ (To the Golden Shore, 505)

Zehn Tage später brachte Emily ihr zweites Kind zur Welt, welches bei der Geburt starb. Vier Monate danach erfuhr sie, dass ihr Mann tot war. Im folgenden Januar kehrte sie nach Neuengland zurück und starb drei Jahre später im Alter von 37 Jahren an Tuberkulose.

Die Frucht diesen toten Samens

Judsons Leben war wie ein Weizenkorn, das in die Erde Myanmars fiel und starb, immer wieder (Johannes 12:24). Das Leiden war immens. Aber ebenso groß war die Frucht. An der Wende vom zweiten zum dritten Jahrtausend schätzte Patrick Johnstone, dass die Baptist Convention in Myanmar (der neue Name für Burma)  3.700 Gemeinden mit 617.781 Mitgliedern und 1.900.000 Zugehörigen umfasste, die Frucht des gestorbenen Samens.

Natürlich war Judson nicht der einzige Missionar Myanmars, im Laufe der Zeit kamen Hunderte andere nach. Auch sie gaben ihr Leben hin. Viele von ihnen starben weit jünger als Judson. Doch gerade das unterstreicht die zentrale Wahrheit:
Die erstaunliche Frucht, die Myanmar heute trägt, ist im Boden des Leidens und Sterbens vieler Missionare gewachsen, besonders in dem von Adoniram Judson.


Dieser Beitrag erschien zuerst bei Desiring God. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Übersetzt von Ronny Käthler.
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