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Glaube und Werke

Eine der wichtigsten Fragen der biblischen Theologie ist das Verhältnis von Glaube und Werken. Tatsächlich haben unterschiedliche Auffassungen über die Rolle von Glaube und Werken seit der Reformation treue Protestanten von der römisch-katholischen Kirche getrennt. Ich werde hier eine traditionelle reformatorische Sichtweise von Glaube und Werken auf Grundlage der Heiligen Schrift darlegen.


Glaube und Werke in der Lehre Jesu

Die Lehre, dass wir allein durch den Glauben errettet werden, ist fest in der Verkündigung Jesu verankert. So lobt Jesus beispielsweise den Glauben des Hauptmanns und stellt fest, dass er in Israel keinen so großen Glauben gefunden habe (Mt 8,5–13; Lk 7,1–10).

Ein eindrucksvolles Beispiel für rettenden Glauben sehen wir in der Geschichte von der sündigen Frau, die während eines Essens mit Simon dem Pharisäer zu Jesus kam (Lk 7,36–50). Diese Frau war für ihre Sünde bekannt, doch sie drückte ihre Reue aus durch Tränen, mit denen sie Jesu Füße benetzte, mit ihrem Haar, mit dem sie sie trocknete, und durch die Küsse und das Salböl, das sie auf Jesu Füße goss. Jesus lobte ihre Liebe – doch diese Liebe entsprang der Vergebung, die sie zuvor frei empfangen hatte. Deshalb schließt die Geschichte mit der klaren Aussage: „Dein Glaube hat dich gerettet. Geh hin in Frieden!“ (Lk 7,50). Diese Erzählung macht unmissverständlich deutlich, dass Vergebung allein durch den Glauben geschieht – und dass dieser Glaube Frieden bringt.

Auch das Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner zeigt, dass Vergebung und Rechtfertigung nicht dem Pharisäer gewährt werden, der voller Stolz auf seine religiösen Werke verweist (Lk 18,9–14). Vielmehr erklärt Jesus, dass derjenige vor Gott gerechtfertigt ist, der – wie der Zöllner – erkennt, dass seine einzige Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit ruht.

Ebenso lehrt Jesus, dass der Segen Gottes denen gehört, die arm im Geist sind (Mt 5,3), die über ihre Sünde trauern (Mt 5,4), die demütig sind (Mt 5,5) und die nach einer Gerechtigkeit hungern, die sie selbst nicht besitzen (Mt 5,6).

Jesu Mahlzeiten mit Sündern und Zöllnern (z. B. Mt 9,9–13) vermitteln dieselbe Wahrheit. Solche gemeinsamen Mahlzeiten hatten in der antiken Welt eine tiefgehende soziale Bedeutung: Sie drückten Annahme und Gemeinschaft aus. Indem Jesus mit Zöllnern aß, gab er ihnen das Zeichen seiner Annahme, Vergebung und Liebe – für all jene, die ihre Sünden bereut hatten.

Das Johannesevangelium betont die Bedeutung des Glaubens und verwendet das Verb „glauben“ (griechisch: pisteuō) 98-mal, um diese zentrale Wahrheit zu unterstreichen. An einer Stelle fragen die Juden Jesus, was sie tun müssen, um die Werke Gottes zu vollbringen (Joh 6,28). Jesus antwortet ihnen: „Das ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat“ (Joh 6,29). Johannes hebt wiederholt hervor, dass diejenigen, die glauben, das ewige Leben haben (Joh 1,12; 3,16; 5,24 u. a.). Man wird nicht dadurch errettet, dass man für Gott arbeitet, sondern dadurch, dass man an Gott glaubt.


Glaube und Werke in den Paulusbriefen

Paulus lehrt, dass die Rechtfertigung und die Gabe des Geistes durch den Glauben empfangen werden – nicht durch Werke des Gesetzes (Röm 3,20.28; Gal 2,16; 3,2.5.10). Luther übersetzt Römer 3,28 treffend mit den Worten, dass wir „allein durch den Glauben“ gerechtfertigt werden – nicht durch Werke des Gesetzes. Manche haben argumentiert, dass „Werke des Gesetzes“ sich nur auf das Zeremonialgesetz oder auf die besonderen Abgrenzungsmerkmale des jüdischen Gesetzes beziehen. Doch es ist naheliegender, diesen Ausdruck auf das gesamte Gesetz zu beziehen. Mit anderen Worten: Die Rechtfertigung kommt nicht durch das Tun des Gesetzes, sondern allein durch den Glauben.

Diese Lesart wird durch andere Texte bestätigt, die lehren, dass die Rechtfertigung durch den Glauben geschieht und nicht durch Werke. Englische Leser übersehen leicht, dass Paulus in Römer 3 von „Werken des Gesetzes“ spricht, in Römer 4 jedoch nur von „Werken“. In Römer 4 wird deutlich, dass Abraham nicht durch Werke, sondern durch den Glauben gerechtfertigt wurde (Röm 4,1–5). Der Begriff „Werke“ ist hier besonders passend, da Abraham nicht unter dem mosaischen Gesetz lebte. Sein Beispiel bestätigt somit die zuvor vorgeschlagene Auslegung von Römer 3: Rechtfertigung kann nicht durch Werke erlangt werden, sondern nur durch den Glauben.

Weder Werke noch Werke des Gesetzes können zur Rechtfertigung führen, weil alle Menschen ausnahmslos Sünder sind (Röm 1,18–3,20; Gal 3,10). Ein Grundsatz der paulinischen Lehre ist es, dass die Rechtfertigung durch den Glauben und nicht durch Werke geschieht (Phil 3,2–9; Eph 2,8–9; 2. Tim 1,9; Tit 3,5).

Wir dürfen nicht denken, dass der Glaube an sich rettet – als ob der Glaube unsere Gerechtigkeit wäre oder als ob der Glaube ein gutes Werk sei. Was rettet, ist vielmehr das Objekt des Glaubens. Für Paulus ist das Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene (Röm 3,21–26; 2 Kor 5,18–21; Gal 1,4; 2,21; 3,13). Der Glaube verbindet die Gläubigen mit Christus – mit dem, der um unseretwillen zur Sünde gemacht wurde, der den Fluch getragen hat, den wir verdient haben, und der den Zorn Gottes an unserer Stelle auf sich genommen hat. Paulus lehrt daher eindeutig, dass das Heil durch Glauben geschieht, nicht durch Leistung – durch Ruhen in Christus, nicht durch Arbeiten für ihn, durch Vertrauen, nicht durch eigene Werke.


Werke und Errettung

Das wirft jedoch die Frage nach der Rolle der Werke im Heil auf, denn wir sehen in verschiedenen Schriftstellen, dass Werke für das ewige Leben notwendig sind. So lehrt Jesus beispielsweise:

  • Wer anderen nicht vergibt, dem wird auch Gott nicht vergeben (Mt 6,14–15; 18,31–35).
  • Wer Gesetzlosigkeit praktiziert, wird nicht in das Reich Gottes eingehen (Mt 7,21–23).
  • Nur diejenigen, die gute Frucht bringen, sind wahrhaft gerettet (Mk 4,1–20).
  • Nur wahre Jünger gehören zu ihm (Lk 9,57–62; 14,25–35).
  • Wer Gutes tut, wird zum Leben auferstehen (Joh 5,29).

Diesen Gedanken finden wir auch in der Apostelgeschichte wieder. Wer dem Zorn Gottes entfliehen will, muss Buße tun (Apg 2,38; 3,19; 17,30) und „Werke tun, die der Buße würdig sind“ (Apg 26,21). Simon zum Beispiel ist nicht wirklich errettet, weil er nicht aufrichtig Buße über seine Sünden getan hat (Apg 8,9–24).

Auch Paulus betont, dass diejenigen, die die Werke des Fleisches tun, das Reich Gottes nicht erben werden (Gal 5,19–21; vgl. 1 Kor 6,9–11). Gott ist unparteiisch und gerecht: Wer Gutes tut, wird mit ewigem Leben belohnt, und wer Böses tut, wird dem endgültigen Gericht verfallen (Röm 2,6–11). Nur wer im Geist sät, wird das ewige Leben ernten, während diejenigen, die ins Fleisch säen, verderben werden (Gal 6,8). Paulus erinnert seine Leser daran, dass Gott das Böse rächt (1 Thess 4,6) und dass die, die Gutes tun, belohnt werden (2 Kor 5,10).


Paulus und Jakobus

Auf den ersten Blick scheint Jakobus der Theologie des Paulus zur Rechtfertigung zu widersprechen. Paulus lehrt, dass Gläubige durch den Glauben gerechtfertigt werden und nicht durch Werke. Jakobus hingegen sagt, dass die Rechtfertigung durch Werke geschieht „und nicht durch den Glauben allein“ (Jak 2,24). Beide beziehen sich auf dieselbe Stelle über den Glauben Abrahams (Jak 2,23; 1. Mose 15,6), die auch Paulus zitiert (Röm 4,3; Gal 3,6). Doch Jakobus scheint diese Stelle völlig anders anzuwenden: Er argumentiert, dass die Werke, die Abrahams Glauben folgten, ihn gerechtfertigt haben, während Paulus betont, dass Abraham durch seinen Glauben gerechtfertigt wurde – und nicht durch seine Werke.

Einige Gelehrte behaupten, dass Paulus und Jakobus einander widersprechen. Doch eine solche Sichtweise steht im Widerspruch zur göttlichen Inspiration der Schrift. Es gibt jedoch eine plausible Lösung für dieses scheinbare Dilemma. Wir haben bereits gesehen, dass sowohl Jesus als auch Paulus die Errettung durch den Glauben lehren und gleichzeitig die Notwendigkeit guter Werke für das Heil betonen.

Die für das Heil notwendigen guten Werke können nicht die Grundlage unserer Errettung sein, denn Gott ist unendlich heilig und fordert Vollkommenheit. Deshalb sind die guten Werke eines Gläubigen nicht die Basis der Errettung, sondern vielmehr das notwendige Zeugnis und die Frucht eines neuen Lebens in Christus. Eine wichtige Bestätigung dafür, dass Jakobus dies selbst glaubte, finden wir in Jakobus 3,2, wo er sagt: „Wir alle straucheln oft.“ Damit meint er, dass wir alle auf vielfältige Weise sündigen. Diese Aussage macht er unmittelbar nachdem er auf die Rechtfertigung durch Werke hingewiesen hat (Jak 2,24)! Offensichtlich sind die Werke, die uns rechtfertigen, alles andere als vollkommen – und können daher niemals die Grundlage unserer Rechtfertigung sein, weil Gott Vollkommenheit fordert.

Da wir weiterhin auf vielerlei Weise straucheln, sind unsere Werke das sichtbare Zeichen dafür, dass wir ein neues Leben empfangen haben. Die Rechtfertigung geschieht allein durch den Glauben – indem wir unser Vertrauen allein auf Christus setzen. So ist unsere Errettung allein aus Gnade und allein zur Ehre Gottes. Unsere guten Werke wiederum bezeugen, dass wir Christus wirklich vertrauen und ihn als unseren Retter angenommen haben.


Weiterführende Literatur

  • J. Gresham Machen, Faith and Works
  • J. I. Packer, Good Works Are an Expression of Faith
  • John Owen, The Doctrine of Justification by Faith through the Imputation of Christ’s Righteousness
  • Ligon Duncan, Faith Works
  • N. T. Wright, What Saint Paul Really Said
  • R. C. Sproul, Faith Alone
  • Tom Nettles, Justification
  • Tom Schreiner, Faith Alone. Siehe eine Rezension hier. Eine kurze Buchzusammenfassung hier. Ein Autorinterview hier und ein verwandtes Interview hier.
  • Tom Schreiner, Do Paul and James Disagree on Justification by Faith Alone?
  • Tom Schreiner, Justification by Works and Sola Fide
  • Robert Sungenis, Not by Faith Alone

Hinweis zur Lizenz und Übersetzung:
Dies ist eine Übersetzung des Originalwerks von Thomas Schreiner. Die Veröffentlichung erfolgt unter der freien Lizenz CC BY-SA 4.0. Das bedeutet, dass der Text unter den gleichen Bedingungen weiterverwendet werden darf, sofern die ursprüngliche Quelle genannt und die Lizenz beibehalten wird. Die Veröffentlichung dieser Übersetzung bedeutet jedoch nicht, dass der Autor sie ausdrücklich billigt oder unterstützt.

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