Wenn man eine orthodoxe Kirche betritt, wird man sofort von etwas Besonderem umgeben: der Duft von Weihrauch erfüllt den Raum, der Klang gesungener Gebete hallt durch die Kuppeln, und an den Wänden leuchten die Ikonen im warmen Licht. In vielen dieser Bilder steht eine zentrale Gestalt im Mittelpunkt: Jesus Christus – dargestellt als majestätischer Herrscher, mit durchdringendem Blick, segnender Hand und einem goldenen Hintergrund, der an den Himmel selbst erinnert.
- Doch sieht Jesus in der Orthodoxie anders aus als in vielen westlichen (katholischen, evangelischen) Kirchen?
- Und was glauben orthodoxe Christen eigentlich über ihn?
- War Jesus orthodox?
- Ist der „orthodoxe Jesus“ ein anderer Jesus – oder doch derselbe, nur anders verstanden und verehrt?
Was bedeutet eigentlich „orthodox“?
Das Wort „orthodox“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich „rechtgläubig“ oder „recht anbetend“ („orthos“ = richtig, „doxa“ = Ehre oder Anbetung). Es geht also darum, den wahren Glauben zu bewahren und Gott in rechter Weise zu ehren.
Wichtig: Ursprünglich waren die Begriffe „orthodox“ und „katholisch“ keine Bezeichnungen für bestimmte Kirchen oder Konfessionen. Vielmehr bezeichneten sie die Gesamtheit des biblischen, wahren Glaubens.
Deshalb betonen viele Jesus-Gläubige – egal ob orthodox, katholisch oder evangelisch –, dass sie sowohl im Sinne der „orthodoxen“ (rechtgläubigen) als auch „katholischen“ (allumfassenden) Kirche stehen, wenn sie das historische apostolische Evangelium bekennen.
Wenn heute von der „Orthodoxen Kirche“ die Rede ist, meint man meist die Ostkirchen, die in der Tradition der alten Kirchen des Ostens stehen – etwa die griechisch-orthodoxe, russisch-orthodoxe oder serbisch-orthodoxe Kirche. Sie sehen sich als Bewahrer des ursprünglichen, unveränderten Glaubens, wie er von den Kirchenvätern überliefert wurde. Unten findest du mehr zur Entstehung der Kirche.
1. Jesus Christus in der Orthodoxie: Der Gottmensch im Zentrum
Die Orthodoxe Kirche bekennt Jesus Christus als Sohn Gottes und Retter der Welt – ganz im Sinne des historischen, biblischen Glaubens, wie er von Anfang an in der Kirche verkündigt wurde. Dieser Glaube gründet nicht nur auf kirchlicher Tradition, sondern auf der historischen Person Jesu von Nazareth, die tatsächlich in Israel lebte, wirkte, gekreuzigt wurde und nach christlicher Überzeugung leibhaftig auferstand.
Schon im Jahr 451 hat das berühmte Konzil von Chalkedon den Glauben an Jesus Christus als wahren Gott und wahren Menschen präzise zusammengefasst – ein Bekenntnis, das Orthodoxe, Katholiken und viele evangelische Christen bis heute teilen.
Orthodoxe Christen glauben:
- Jesus Christus ist das ewige Wort Gottes, das „vor aller Zeit“ beim Vater war.
- Er wurde durch den Heiligen Geist im Leib der Jungfrau Maria wahrer Mensch.
- Er lebte sündlos, offenbarte das Reich Gottes und wirkte Wunder.
- Er wurde gekreuzigt, starb stellvertretend für die Sünden der Welt und wurde begraben.
- Am dritten Tag ist er leibhaftig auferstanden – ein zentrales, historisches Ereignis, das von vielen Zeugen bestätigt wurde.
- Er fuhr in den Himmel auf und wird eines Tages wiederkommen, um die Welt zu richten.
Die Orthodoxe Kirche betont besonders die Auferstehung Jesu als Sieg über den Tod. In ihrer Frömmigkeit steht deshalb nicht primär das Leiden am Kreuz im Vordergrund, sondern die triumphale Herrschaft des auferstandenen Christus.
🔎 Hinweis zur historischen Jesusforschung
Auch die historische Jesusforschung beschäftigt sich mit den Quellen über das Leben Jesu. Viele Forscher bestätigen heute die hohe historische Zuverlässigkeit der Evangelien, die innerhalb einer Generation nach Jesu Tod niedergeschrieben wurden. Diese Forschungen unterstreichen, dass Jesus von Nazareth keine Legende ist, sondern eine reale Person der Geschichte war. Mehr dazu findest du hier:
➡ Die Suche nach dem historischen Jesus
2. Theosis – Vergöttlichung durch Christus
Ein einzigartiges Merkmal orthodoxer Theologie ist die Lehre der Theosis (Vergöttlichung).
Sie besagt, dass der Mensch durch Jesus Christus „vergöttlicht“ wird, also Anteil an der göttlichen Natur erhält.
Das bedeutet nicht, dass der Mensch selbst Gott wird, sondern dass er durch Christus und den Heiligen Geist wiederhergestellt und erneuert wird. Ziel ist die Gemeinschaft mit Gott, in der der Mensch immer mehr das Wesen Christi widerspiegelt.
Oder wie es die Kirchenväter formulierten: „Gott wurde Mensch, damit der Mensch Anteil an Gottes Leben erhält.“
3. Ikonen von Jesus: Orthodoxe Spiritualität in Bildern
Beschäftigt man sich mit Jesus aus orthodoxer Sicht, stößt meist auf die berühmten Ikonen der
Orthodoxie. Diese Bilder haben eine zentrale geistliche Bedeutung und sind fester Bestandteil der Anbetung und der persönlichen Frömmigkeit.
Die bekannteste Darstellung ist die Ikone des Christus Pantokrator („Allherrscher“). Sie zeigt Jesus als den Herrscher über die ganze Welt:
- Mit einer segnenden Hand und dem Evangelienbuch in der anderen,
- Umgeben von einem goldenen Hintergrund, der die Herrlichkeit des Himmels symbolisiert,
- Mit den griechischen Buchstaben „IC XC“ (Jesus Christus) und „Ο ΩΝ“ („Der Seiende“), ein Name Gottes.
Orthodoxe Ikonen gelten nicht als einfache Kunstwerke, sondern als „Fenster zum Himmel“ – sie sollen helfen, die geistliche Wirklichkeit zu erfassen.
Sie zeigen Jesus in seiner göttlichen Herrlichkeit, als König, Erlöser und Richter, nicht primär als leidenden Gekreuzigten.

4. Das Jesusgebet: Der Name Jesu als Weg zur Nähe Gottes
In der orthodoxen Praxis spielt das sogenannte Jesusgebet eine zentrale Rolle. Es lautet:
„Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner, des Sünders.“
Dieses kurze Gebet wird immer wieder gesprochen – oft stundenlang, begleitet von einer Gebetskette (Komboskini).
Das Jesusgebet soll den Beter zur ständigen inneren Gemeinschaft mit Christus führen. In der orthodoxen Mystik gilt es als Weg, „unablässig zu beten“ (vgl. 1. Thessalonicher 5,17).
5. Orthodoxe Liturgie: Christus als Mitte des Gottesdienstes
Die orthodoxe Liturgie unterscheidet sich stark von vielen westlichen Gottesdiensten. Sie ist geprägt von feierlichem Gesang, Weihrauch, Kerzen und Prozessionen.
Dabei steht immer Christus im Mittelpunkt – nicht als fernes Symbol, sondern als real gegenwärtiger Herr. Orthodoxe Christen verstehen die Liturgie als Begegnung mit dem auferstandenen Christus, der inmitten der Gemeinde wirkt.
6. Unterschied zur westlichen Darstellung Jesu
Während im westlichen Christentum oft das Leiden und der Tod Jesu am Kreuz betont werden, liegt der Schwerpunkt in der Orthodoxie klar auf der Auferstehung und der Herrschaft Christi.
Deshalb zeigen orthodoxe Ikonen Jesus meistens als strahlenden Herrscher – sie vermitteln Hoffnung, Sieg und göttliche Herrlichkeit.
Ein Blick auf die Kirchengeschichte: Spaltung und neue Annäherung
Die Orthodoxe Kirche entstand als eigenständige Kirche im Jahr 1054, als es zum sogenannten Großen Schisma zwischen Ost und West kam. Damals führten theologische Streitfragen – etwa um das Papsttum und das Glaubensbekenntnis („filioque“) – sowie kulturelle Spannungen zur Trennung zwischen der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche.
Doch aus moderner Sicht wirken diese Unterschiede oft kleiner, als sie es einst schienen. Beide Kirchen glauben an den einen dreieinigen Gott, an Jesus Christus als Erlöser, an die Bibel, an die Sakramente und an das Leben in der Nachfolge Jesu.
In den letzten Jahrzehnten haben sich die Beziehungen zwischen Katholiken und Orthodoxen deutlich verbessert. Besonders die letzten Päpste – Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus – haben sich intensiv um den Dialog und die Wiederherstellung der Einheit bemüht. Auch viele orthodoxe Patriarchen zeigen große Offenheit für Gespräche.
Die Unterschiede bleiben bestehen, vor allem in Fragen des Kirchenverständnisses und der Leitungsstruktur. Doch es wächst das Bewusstsein, dass beide Kirchen auf demselben Fundament des Glaubens stehen – und dass sie mehr verbindet, als trennt.
Fazit: Der „orthodoxe Jesus“ – derselbe Christus in einem anderen Licht
Orthodoxe Christen glauben an denselben Jesus Christus, der auch im Westen verehrt wird. Doch ihr Blick auf ihn ist geprägt von einer besonderen Betonung:
- Der auferstandene und verherrlichte Herr,
- Derjenige, der den Tod besiegt hat,
- Der Retter, der Menschen zur Theosis, zur Gemeinschaft mit Gott, führt,
- Gegenwärtig im Jesusgebet, in der Liturgie und in den Ikonen.
















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