Am 4. November 2025 veröffentlichte das Dikasterium für die Glaubenslehre das Lehrschreiben Mater Populi fidelis („Mutter des gläubigen Gottesvolkes“).
Es wurde am 7. Oktober 2025 von Papst Leo XIV. approbiert und trägt seine Unterschrift.
Damit ist es das erste größere dogmatische Dokument des Pontifikats von Leo XIV.,
der die Theologie seines Vorgängers Franziskus weiterführt.
Das Schreiben ist sowohl für Katholiken als auch Protestanten und Orthodoxe interessant, da es Themen anspricht, die das Verständnis von Maria, Christus und Erlösung betreffen – Fragen also, die in dem innerchristlichen Dialog zwischen Katholiken, Protestanten und Orthodoxen von zentraler Bedeutung sind.
1. Grundintention des Dokuments
Das Schreiben Mater Populi fidelis („Mutter des gläubigen Gottesvolkes“) will die Verehrung Marias in ihrer christologischen Mitte erneuern. Es reagiert auf Tendenzen, Maria übermäßig als „Miterlöserin“ oder „Mittlerin aller Gnaden“ zu verstehen, und will zeigen, dass ihre Rolle nur im Licht Christi richtig erkannt werden kann.
Der Leitgedanke lautet:
GER: „Christus ist der einzige Mittler, »denn: Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus (Nr. 24).
EN: “Christ is the only Mediator, “for there is one God, and there is one mediator between God and men, the man Christ Jesus” (n. 24).
Diese Aussage aus 1 Tim 2:5 wird als unüberbietbare Grundlage gesetzt.
2. Die zentrale Christozentrik – Nähe zum Solus Christus
Das Dokument betont mit großer Klarheit:
GER: „Es »ist fest zu glauben, dass Jesus Christus, der Sohn Gottes, der Herr und der einzige Erlöser ist, der durch seine Menschwerdung, seinen Tod und seine Auferstehung die Heilsgeschichte, die in ihm ihre Fülle und ihren Mittelpunkt findet, zur Vollendung gebracht hat« (Nr. 27).
EN: “must be firmly believed as a constant element of the Church’s faith” regarding “the truth of Jesus Christ, Son of God, Lord and only Savior, who through the event of his incarnation, death, and resurrection has brought the history of salvation to fulfillment” (n. 27).
Damit bestätigt die römische Lehre ausdrücklich, dass Christus allein Quelle, Mittler und Vollender des Heils ist.
Alle anderen Formen von Mitwirkung – auch die Mariens – sind Teilhabe (participación) und nicht Ergänzung.
Diese Linie ist theologisch fast deckungsgleich mit dem reformatorischen Grundsatz Solus Christus: Christus allein vermittelt die Gnade, niemand sonst.
3. Maria: nur teilhabende Vermittlung
Maria wird als „Mutter der Glaubenden“ beschrieben, die durch ihr gläubiges „Ja“ bei der Verkündigung mitwirkt, aber nie eigenständig Heil vermittelt.
Das Schreiben spricht ausdrücklich von einer „mediación participada“, also einer teilhabenden Vermittlung:
GER: „Die einzigartige Vermittlung des Erlösers schließt eine vielfältige Mitwirkung der Geschöpfe, die an der einen Quelle teilhaben, nicht aus, sondern ruft sie hervor“ (Nr. 28).
EN: “the unique mediation of the Redeemer does not exclude but rather gives rise to a manifold cooperation which is but a sharing in one source.” (n. 28).
GER: Er ermöglicht verschiedene Formen der Teilhabe an seinem Heilsplan, denn in Gemeinschaft mit ihm können wir alle in gewisser Weise zu Mitarbeitern Gottes und „Mittlern“ füreinander werden (vgl. 1 Kor 3,9).
EN: He enables various forms of participation in his salvific plan because, in communion with him, we can all become, in some way, cooperators with God and “mediators” for one another (cf. 1 Cor 3:9).
Eine Teilhabe am Heilsplan Gottes steht allen Gläubigen offen – nicht parallel zum alleinigen Mittler Jesus Christus, sondern aus der Fülle seiner Gnade heraus. Diese Teilhabe fügt dem Heil nichts hinzu, sondern lässt das Wirken Christi in den Glaubenden weiterstrahlen.
So auch deutlich in Nr. 65 c:
GER: „Die Mittlerschaft Mariens muss so verstanden werden […], dass sie weder etwas von der Würde und Wirksamkeit Christi, des einzigen Mittlers, wegnimmt noch etwas hinzufügt“ (Nr. 65c).
EN: “We must understand Mary’s mediation […] that “it neither takes away anything from nor adds anything to the dignity and efficacy of Christ, the one Mediator.”“ (n. 65c).
4. Ablehnung übersteigerter Titel
Das Dokument geht ausführlich auf historische und moderne Titel ein:
a) „Co-Redemptrix“ (Miterlöserin)
GER: „Es ist immer unangemessen, den Titel „Miterlöserin“ zu verwenden, um Marias Mitwirkung zu definieren. Dieser Titel birgt die Gefahr, die einzigartige Heilsvermittlung Christi zu verschleiern, und kann daher Verwirrung stiften und ein Ungleichgewicht in der Harmonie der Wahrheiten des christlichen Glaubens schaffen, denn „in keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist unter dem Himmel kein anderer Name den Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4:12) .(Nr. 22).
EN: “it is always inappropriate to use the title “Co-redemptrix” to define Mary’s cooperation. This title risks obscuring Christ’s unique salvific mediation and can therefore create confusion and an imbalance in the harmony of the truths of the Christian faith, for “there is salvation in no one else, for there is no other name under heaven given among men by which we must be saved” (Acts 4:12).” (n. 22).
So auch schon Papst Franziskus:
GER: Mindestens dreimal hat Papst Franziskus seine klare Ablehnung gegenüber der Verwendung des Titels „Miterlöserin“ zum Ausdruck gebracht und argumentiert, dass Maria „niemals etwas von ihrem Sohn für sich selbst beanspruchen wollte. Sie hat sich nie als Miterlöserin präsentiert. Nein, als Jüngerin.“ […] Es gibt nur einen Erlöser, und dieser Titel kann nicht dupliziert werden.“ Christus „ist der einzige Erlöser; es gibt keine Miterlöser neben Christus.“ […] Wir können zwar seine Wirkung in der Welt verstärken (vgl. Kol 1,24), aber weder die Kirche noch Maria können das Erlösungswerk des menschgewordenen Sohnes Gottes ersetzen oder vervollkommnen, das vollkommen war und keiner Ergänzungen bedarf. (Nr. 21)
EN: On at least three occasions, Pope Francis expressed his clear opposition to using the title “Co-redemptrix,” arguing that Mary “never wished to appropriate anything of her Son for herself. She never presented herself as a co-Savior. No, a disciple.” [… ]There is only one Redeemer, and this title cannot be duplicated.”Christ “is the only Redeemer; there are no co-redeemers with Christ.”[… ]While we are able to extend its effects in the world (cf. Col 1:24), neither the Church nor Mary can replace or perfect the redemptive work of the incarnate Son of God, which was perfect and needs no additions. (n. 21)
b) „Mediatrix of all graces“ (Mittlerin aller Gnaden)
Auch dieser Ausdruck wird klar eingegrenzt:
GER: „Sie, die Erste, die erlöst wurde, kann nicht Mittlerin der Gnade gewesen sein, die sie selbst empfangen hat“ (Nr. 67).
„Es ist nicht zulässig, Marias Handeln so darzustellen, als hätte Gott sie gebraucht, um das Heil zu vollbringen“ (Nr. 65b).
„Es nimmt weder etwas von der Würde und Wirksamkeit Christi, des einzigen Mittlers, weg, noch fügt es etwas hinzu“ (Nr. 65c).
EN: “she, the first redeemed, could not have been the mediatrix of the grace that she herself received.“ (n. 67).
“it is not acceptable to present Mary’s action as if God needed her to accomplish salvation.” (n. 65b).
“it neither takes away anything from nor adds anything to the dignity and efficacy of Christ, the one Mediator.” (n. 65c).
Diese Aussagen stellen unmissverständlich klar, dass kein Mensch, auch Maria nicht, eine notwendige Bedingung für Gottes Gnadenwirken ist.
5. Unmittelbarkeit der göttlichen Gnade
Die Gnade, die Gott schenkt, fließt direkt vom dreifaltigen Gott selbst.
GER: „Nur Gott erhebt uns, um die unendliche Trennung zu überwinden, die uns vom göttlichen Leben trennt; nur er wirkt in uns durch seine dreifaltige Innewohnung; nur er tritt in uns ein und verwandelt uns, indem er uns zu Teilhabern seines göttlichen Lebens macht.“ (Nr. 55).
„Kein Geschöpf kann Gnade verleihen“ (Nr. 50, Thomas von Aquin zitierend).
EN: “Only God raises us to overcome the infinite disproportion that separates us from divine life; only he acts in us with his Trinitarian indwelling; only he enters into us and transforms us, making us sharers in his divine life.” (n. 55).
“No creature can confer grace” (n. 50, Thomas Aquinas).
Damit wird betont: Zwischen Gott und dem Menschen gibt es in der Mitteilung der Gnade keine Zwischeninstanz – auch nicht Maria.
6. Maria als Mutter, Jüngerin und Fürsprecherin
Das Dokument entfaltet folgende theologisch Sicht auf Maria:
Sie ist „Mutter der Glaubenden“ (n. 34–37), „erste Jüngerin“ (n. 73–74) und Fürsprecherin, aber nicht priesterliche Mittlerin.
GER: „Ihre Fürsprache gehört nicht zur Kategorie der priesterlichen Vermittlung wie die Christi, sondern zur Kategorie und Analogie der Mutterschaft“ (Nr. 37a).
EN: “Her intercession does not have the characteristic of priestly mediation (such as Christ’s), but is instead situated in the order and analogy of motherhood.” (n. 37a).
Ihr Wirken ist mütterlich und dispositiv: Sie bereitet die Herzen für Christus, öffnet zum Glauben hin, wie sie selbst sagt:
GER: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2:5; Nr. 22, 49).
EN: “Do whatever He tells you” (Jn 2:5; n. 22, 49).
So zeigt Maria das Wesen des Glaubens: hörend, empfangend, dienend – ganz aus der Gnade.
7. Maria als Vorbild des Glaubens
Maria ist das Urbild des glaubenden Menschen, nicht die Ausnahme vom Glauben:
GER: Sie ist „die erste Jüngerin, diejenige, die Jesu Wege am besten gelernt hat“. (Nr. 73)
„Der heilige Augustinus sagte, dass „es für Maria bedeutender ist, eine Jüngerin Christi gewesen zu sein, als die Mutter Christi gewesen zu sein“.“ (Nr. 73)
EN: She is “the first disciple, the one who best learned Jesus’ ways.” (n. 73)
“Saint Augustine said that “it means more for Mary to have been a disciple of Christ than to have been the mother of Christ.” (n. 73
Damit rückt das Dokument Maria näher an alle Gläubigen: Sie ist nicht über der Kirche, sondern in ihr – „Mutter, weil Jüngerin“.
8. Gnade bleibt allein göttlich
In einer der prägnantesten Passagen heißt es:
GER: Kein Mensch – nicht einmal die Apostel oder die Heilige Jungfrau – kann als universeller Spender der Gnade auftreten. Nur Gott kann Gnade schenken, und er tut dies durch die Menschheit Christi, da „der Mensch Christus als der eingeborene Sohn des Vaters die höchste Fülle der Gnade besaß“. (Nr. 53)
EN: No human person — not even the Apostles or the Blessed Virgin — can act as a universal dispenser of grace. Only God can bestow grace, and he does so through the humanity of Christ since “the man Christ possessed supreme fullness of grace, as being the only-begotten of the Father.” (n. 53).
Diese Formulierung bringt die ganze theologische Linie auf den Punkt:
Gnade bleibt allein göttliches Handeln, das in Christus und durch den Geist geschieht.
Schlussgedanke
Maria wird in Mater Populi fidelis als vollendete Glaubende verstanden, nicht als zweite Erlöserin.
Ihre Größe liegt darin, dass sie nichts für sich beansprucht, sondern alles auf Christus hinweist.
GER: „Sie ist die Magd des Herrn (Lk 1,38), sie weist auf Christus hin und fordert uns auf, alles zu tun, was er uns sagt“ (Nr. 22).
EN: “She is the slave of the Lord (Lk 1:38), she points to Christ and asks us to do whatever He tells us” (n. 22).
Gerade diese Haltung – die völlige Christusbezogenheit Mariens – kann helfen, alte Spannungen zwischen katholischer und evangelischer Frömmigkeit zu überwinden.
Denn wer Maria so versteht, versteht besser, dass sie selbst das Herz des Solus Christus bezeugt:
Christus allein genügt – und Maria glaubt es zuerst.
Gleichzeitig bleiben jedoch Unterschiede bestehen – insbesondere in der Frage der Anrufung Mariens, also der Bitte um ihre Fürsprache.
GER: „Die Kirche erlebt diese mütterliche Vermittlung Mariens in besonderer Weise in ihrer vertrauensvollen Anrufung, wenn sie die Fürsprache ihrer Fürsprecherin und Helferin erfährt.“ (Nr. 36)
EN: “The Church experiences this maternal mediation of Mary in a special way in its trusting invocation, when it experiences the intercession of its Advocate and Helper.” (n. 36)
Damit bekräftigt das Dokument die katholische Praxis der marianischen Anrufung als Ausdruck des Vertrauens in ihre Fürsprache –
eine Auffassung, die in der Orthodoxie ähnlich, in der reformatorischen Tradition jedoch überwiegend abgelehnt wird.
Sowohl aus katholischer als auch protestantischer Perspektive dürfte Mater Populi fidelis ein ausgesprochen positives und klärendes Dokument sein.
Nach Jahrhunderten theologischer Spannungen seit der Reformation zeigt sich heute, dass in zentralen Fragen des Glaubens eine bemerkenswerte Annäherung erreicht wurde.
Während die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999) bereits eine Einigung im reformatorischen Grundsatz Sola Fide („allein durch den Glauben“) festhielt,
verdeutlicht Mater Populi fidelis nun ebenso klar die Übereinstimmung im Bekenntnis zu Solus Christus („Christus allein“):
Christus ist der einzige Mittler, Erlöser und Spender der Gnade.
Damit führt das Schreiben die Linie fort, die Papst Franziskus bereits im Blick auf die Reformation betont hatte:
„Heute stimmen Lutheraner und Katholiken, Protestanten, wir alle in der Rechtfertigungslehre überein. In diesem sehr wichtigen Punkt irrte [Luther] nicht.“
(dreieinigkeit.de – Papst Franziskus über Martin Luther und die Rechtfertigungslehre)
















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