Vor einiger Zeit fragte mich ein Freund nach meinen Gewohnheiten beim Bibellesen und Beten. Er war überrascht zu hören, dass ich nicht jedes Jahr die gesamte Bibel durchlese – und dass ich diese Reise in meinem Leben bisher nur ein paar Mal vollständig gemacht habe.
Vor einigen Jahren absolvierte ich einmal einen „Bibel in 90 Tagen“-Leseplan, und ein paar Winter lang habe ich mir in den ersten zwei Monaten des Jahres Zeit genommen, um die Bibel komplett zu lesen, bevor ich zu anderen Büchern gegriffen habe. Diese stillen, kalten Morgen mit einer Tasse Tee und Gottes Wort waren wunderbar. Aber ich habe es seitdem nicht wieder gemacht.
Ja, im Laufe der Jahre habe ich viele verschiedene Bibellesepläne empfohlen – chronologische Lesepläne oder solche, die Psalmen und das Neue Testament zweimal im Jahr abdecken. In diesem Jahr liest unsere Gemeinde gemeinsam die gesamte Bibel durch – eine Praxis, die ich sehr schätze und gerne weiterempfehle. Wir leben in einer Zeit des Überflusses, was den Zugang zu Gottes Wort betrifft. Doch ehrlich gesagt: Das Lesen der ganzen Bibel in einem Jahr ist nicht mein gewohnter Rhythmus. Aus mehreren Gründen.
Der Druck, Schritt zu halten
Zunächst einmal liebe ich es, größere Abschnitte der Schrift aufzunehmen – etwas, das ich regelmäßig und mit Bedacht tue, besonders im Rahmen meiner „30-Tage-Gebetsreihen“. Aber wenn ich zusätzlich noch einen „Bibel in einem Jahr“-Plan verfolge, befinde ich mich oft im „Helikopter-Modus“: Ich überfliege die Landschaft der Schrift, bekomme einen guten Überblick über die große Erzählung – aber es fehlt mir an Zeit zum Verweilen, zum Entdecken der Feinheiten, zum vertieften Nachdenken.
Um es klar zu sagen: Die Lesepläne an sich sind nicht das Problem. Und es fehlt mir auch nicht an Motivation. Es ist schlichtweg eine Frage der Zeit. Die täglichen Abschnitte langsam und meditativ zu lesen, würde morgens mehr Stunden erfordern, als realistisch zur Verfügung stehen.
Zweitens bringen mich manche Pläne in geistlich ungesunde Muster. Ich bin von Natur aus jemand, der gerne Dinge abhakt. Wenn ich bei einem Jahresplan irgendwann hinterherhinke, fühle ich mich wie ein Marvel-Fan, der ein paar Filme oder Serien verpasst hat – ich bin raus, alles wächst mir über den Kopf, und ich gebe frustriert auf, weil ich schon wieder gescheitert bin. Oder schlimmer noch: Um dem zu entgehen, lese ich nur noch oberflächlich, überfliege die Texte, nur um das Lesezeichen weiterzuschieben – obwohl es eigentlich mein Herz ist, das bewegt werden sollte. Wieder gilt: Das ist kein Fehler im Plan. Das ist ein Problem in mir.
Das Bedürfnis zu verweilen
Drittens verschärfen manche Pläne diese Spannungen noch. Ich schätze den Aufbau chronologischer Lesepläne, wie zum Beispiel den von George Guthrie, weil sie die biblische Heilsgeschichte gut nachvollziehbar machen. Aber ich finde es schwer, 40 Wochen lang zu lesen, bevor ich zu den Evangelien komme. Ich kann nicht jedes Jahr bis Oktober warten, bis ich von Jesus höre.
Manche Pläne gleichen das aus, indem sie täglich Abschnitte aus Altem und Neuem Testament oder aus den Psalmen und dem Neuen Testament kombinieren. Doch das erhöht für mich die tägliche Leselast – und verringert meine Aufmerksamkeitsspanne für ein konzentriertes, meditatives Lesen.
Und schließlich sollte man es klar sagen: Die Bibel in einem Jahr zu lesen, ist kein Ehrenabzeichen und kein Maßstab geistlicher Reife. Über weite Teile der Kirchengeschichte war private Bibellektüre gar nicht möglich. Christen hörten die Schrift in der Gemeinde, lernten sie auswendig oder sangen sie in der Anbetung. Der Zugang zur Bibel – ganz zu schweigen von der Fähigkeit, sie selbst zu lesen – war ein seltener Schatz. Selbst nach der Reformation, wie Matthew Binghams A Heart Aflame for God aufzeigt, empfahlen viele Pastoren eher das achtsame und aktive Lesen kleinerer Abschnitte – vielleicht ein Kapitel am Tag – in einer Haltung der Betrachtung und persönlichen Anwendung.
Deshalb: Ja, ich bin dankbar, dass wir heute die Bibel in vielen Übersetzungen, mit hervorragenden Studienhilfen und vielfältigen Leseplänen zur Verfügung haben. Diese Zugänglichkeit ermutigt mich zu mehr Beschäftigung mit der Schrift – nicht zu weniger. Aber geistliche Nahrung kommt nicht allein durch die Menge der gelesenen Worte. Sie kommt durch die Qualität der Zeit, die wir damit verbringen, einen Vers oder Abschnitt zu „kauen“.
Gnade für den Weg
Also nein – ich lese nicht jedes Jahr die ganze Bibel. Aber ich habe einen Plan. Ich möchte täglich vor Gottes Wort sein. Ich suche einen Rhythmus. Eine Lebensgewohnheit. Und ich will nicht nur in meinen Lieblingsabschnitten „campieren“, sondern auch andere Teile der Bibel lesen, die mir weniger vertraut sind. Ein Leseplan – selbst wenn er nicht in zwölf Monaten durch die ganze Bibel führt – ist ein wertvolles Mittel, um im Hören auf Gottes Stimme zu bleiben.
Ich feuere jeden an, der die Bibel in einem Jahr liest. Aber wenn du jemand bist, der stark beginnt und sich im Februar schon entmutigt fühlt – oder wenn dein Herz sich danach sehnt, tiefer zu graben statt nur schneller zu lesen – dann erinnere ich dich gern: Gottes Wort ist kein Rennen, das man gewinnt, sondern ein Festmahl, das man genießen darf.
Ziel ist nicht nur, einen Plan abzuschließen. Ziel ist, vom Wort Gottes geformt zu werden. Nicht nur, durch die Bibel zu kommen – sondern dass die Bibel durch dich hindurchkommt.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei The Gospel Coalition. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Trevin Wax.
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