1. Das Foto
„‚Heiß! Heiß!‘, rief ich mit letzter Kraft und hoffte, dass mir irgendjemand zu Hilfe eilen würde. ‚Heiß! Heiß!‘ Zu mehr war ich nicht mehr fähig. Die unvorstellbare Hitze überwältigte mich. Ich konnte nicht aufhören zu schreien. Es war so furchtbar heiß, tat so unerträglich weh. Mir war, als würde ich von innen heraus verbrennen. Die Hitze war nicht nur auf meiner Hautoberfläche, sondern fraß mich innerlich auf. Man sah nicht einmal mehr Flammen an meinem Körper; das Napalm hatte sich bereits durch meine Haut gefressen und alles verzehrt, mit dem es in Berührung kam. Ich wurde bis auf die Knochen gekocht und hatte nur ein einziges Verlangen: diesen unfassbaren Qualen zu entkommen. SOFORT!“1
So schildert Kim Phuc (Fuk gesprochen) ihre Gedanken und Gefühle des 8. Juni 1972 während des Vietnamkrieges, kurz nachdem südvietnamesische Flugzeuge ihr Dorf mit dem Brandstoff Napalm bombardiert hatten. In Todesangst vor den verzehrenden Flammen rannte sie mit anderen Kindern um ihr Leben. Das Höllenfeuer hatte sie aber schon erreicht und fraß sich in ihre Haut. Glücklicherweise rettete ihr die lockere Tunika-Bluse aus Baumwolle das Leben, weil die Flammen zu einem Großteil darin erstickt wurden. Die Soldaten mit ihren eng anliegenden, schweren Uniformen wurden durch die Brandbomben wie in einem Schmelzofen in kurzer Zeit verbrannt.
Während Kim Phuc um ihr Leben rannte, schoß der Fotograf Nick Ut von der Associated Press – an dessen Urheberschaft neuerdings Zweifel hochgekommen sind – das berühmte Foto von Kim Phuc und vier weiteren Kindern, die mit Soldaten vor dem Feuerinferno weglaufen. Das Bild wurde innerhalb kürzester Zeit in den großen internationalen Zeitungen abgedruckt und so weltbekannt. Es sorgte dafür, dass sich die öffentliche Meinung der USA gegen den Vietnamkrieg richtete. Somit erlangte auch Kim Phuc große Bekanntheit. Jedoch wissen vermutlich die Wenigsten, dass sie überzeugte Christin wurde. Wie es dazu kam, möchte ich hier darstellen.
2. Kindheit
Kim Phuc wuchs in dem kleinen südvietnamesischen Dorf Trang Bàng etwa 25 km von der damaligen Hauptstadt Saigon entfernt auf. Ihre Kindheit bis zu dem verheerenden Angriff beschreibt sie als schöne und unbeschwerte Zeit. Sie spielte gerne auf dem Anwesen ihrer Eltern, was zu den größten von Trang Bàng gehörte, naschte gerne von den Zitronenbäumen auf ihrem Grundstück und verbrachte viel Zeit in ihrem Lieblingsversteck auf einem Guavenbaum. Die Eltern mussten für die Versorgung der insgesamt neun Kinder hart arbeiten, insbesondere ihre Mutter, die ein Restaurant mit einer eigens entworfenen Nudelsuppe betrieb. Beide taten ihr Bestes, um die Familie gut durch die Zeit des Krieges zu bringen.
3. Religion
Kim Phuc und ihre Familie gehörten der Caodai-Gemeinschaft an, die einen Tempel in der Nähe des Dorfes betrieben. Ihre Großeltern waren wichtige Leiter in diesem Tempel, in welchem die Familie die regelmäßigen Zeremonien besuchte. Der Caodaismus lehrt, dass alle Religionen aus einem Ursprung hervorgehen und letztlich Manifestationen einer Wahrheit, des Caodai, seien. Erlösung erlange man dadurch, Gutes zu tun und Böses zu lassen sowie durch die Befolgung von Lehren und Geboten wie dem Fleischverzicht zu bestimmten Zeiten. Neben den Gründern der Weltreligionen werden auch weitere „hohe Geister“ wie der französische Schriftsteller Victor Hugo verehrt.
4. Krieg
Der nahegelegene Caodaitempel diente den Einwohnern von Trang Bàng auch als Zufluchtsort während des Vietnamkrieges. Nach der Teilung des Landes im Jahr 1955 brach ein Bürgerkrieg zwischen dem kommunistisch regierten Norden und dem westlich beeinflussten Süden aus. Zeitweise unterstützten die USA militärisch den Süden. Die Kommunisten behielten letztlich die Oberhand, sodass Vietnam 1975 unter deren Regierung geriet. Im gesamten Krieg starben auf vietnamesischer Seite Menschen in Millionenhöhe, während die USA knapp 60.000 Tote zu beklagen hatten. Das Napalm, was neben Benzin aus Naphtensäure und Palmitinsäure besteht, wurde in diesem Krieg häufig verwendet. Es heftet sich hartnäckig an alles, woran es kommt und frisst sich innerhalb von kurzer Zeit hindurch. Dieses Gemisch wurde zum Alptraum für die damals neunjährige Kim Phuc.
5. Schmerzen
Sie wurde nach dem Angriff in ein nahegelegenes Krankenhaus gebracht, dessen Ärzte sie jedoch aufgrund der massiven Verbrennungen aufgaben und in das anliegende Leichenhaus bringen ließen, in dem sie drei Tage vor sich hindämmerte. Wie sie später erfuhr, sollte das ihr Leben retten, da in dieser Zeit ihre Verbände auf den Wunden in Ruhe gelassen wurden. Wären diese gewechselt worden, hätte der Sauerstoff in der Luft die Wunden wieder in Brand gesetzt. Ihre Mutter fand sie schließlich lebendig in dem Leichenhaus und veranlasste ihre weitere Versorgung. Nachdem Kim Phuc nach endlich vierzehn Monaten aus dem Krankenhaus entlassen worden war, konnte sie zurück in ihr zerstörtes Heimatdorf. Die Wunden quälten sie weiterhin jeden Tag:
„Wenn die Schmerzen unerträglich wurden, half es mir, mit der gesunden Faust kräftig auf meine vernarbte Haut zu schlagen. Der Schlag linderte den Schmerz für wenige Augenblicke. Doch ich kam nicht überallhin mit meiner rechten Faust, also bat ich meine Geschwister um Hilfe. Wenn sie mich mit ihren Fäusten bearbeiteten, regte das die Durchblutung in meinem vernarbten Gewebe an und milderte meine Qual.“2
6. Not
Aber auch die psychischen Schmerzen setzten der jungen Kim Phuc enorm zu. Ihre früher so harmonische Heimat war zerstört, Freunde waren gestorben und ihre Haut war zerklüftet und unansehnlich. In der vietnamesischen Kultur ist reine Haut ein Ideal, sodass schon eine Narbe für verachtenswert gilt. Wie sollte sie jemals einen Mann finden, der sie liebte?
Die materielle Not war nach dem Kriegsende enorm. Häuser und Felder waren zerstört, die Lebensmittelversorgung schlecht. Überall fehlte es an dem Notwendigsten, sodass ihre Eltern noch härter arbeiten mussten. Das sorgte auch mit dafür, dass sie sich einsam und verlassen fühlte. Ihr fehlte eine Freundin, jemand, dem sie ihren seelischen Schmerz anvertrauen könnte. Darüber hinaus wurde sie seit 1981 als Propagandainstrument der kommunistischen Regierung missbraucht, indem sie vor internationalen Journalisten Aussagen über ihre Person machen musste, die jedoch von einem Dolmetscher so verändert wurden, dass es der Agenda der Regierung entsprach.
7. Ablenkung
Weil sie anderen Menschen später einmal genauso helfen wollte, wie ihr geholfen worden war, strebte sie als Jugendliche von etwa 15 Jahren ein Medizinstudium an. Dazu musste sie aber zunächst einmal den Schulabschluss machen. Durch ihre starken Schmerzen wurde das Lernen zu einer großen Herausforderung, immerhin lenkte es sie ein wenig von den Qualen ab.
Neben der Schule fokussierte sich Kim Phuc auf ihre Religion. Sie hoffte auf göttliche Hilfe, indem sie alle Rituale und Regeln der Caodailehren befolgte. Viermal täglich ging sie in einem weißen Gewand zum Tempel und wohnte den Zeremonien bei. Doch es half alles nichts: In ihrem Herzen wollte kein Frieden einkehren. Es fühlte sich alles so sinnlos an, dass sie im Oktober 1982 ihrem Leben ein Ende bereiten wollte.
8. Schritte zu Jesus
Aber sie zögerte noch. Einige Wochen zuvor war sie in der Bibliothek von Saigon auf ein Neues Testament gestoßen. Es berichtete über Jesus, der die unverständliche Anmaßung äußerte, als Einziger der Weg zu Gott zu sein:
„Meine Hände zitterten, als ich das Buch entschlossen zur Seite legte. Ich war verwirrt und plötzlich von Angst ergriffen. Wenn das stimmte und dieser Jesus wirklich der Einzige war, der mich zu Gott bringen konnte, dann hatte ich neunzehn Jahre lang die falschen Götter angebetet. Konnte es sein, dass ich jahrelang bei der falschen Adresse um Hilfe und Erlösung gefleht hatte? Und wenn ja, was sollte ich nun tun?“3
Kim Phuc wandte sich an den Pastor einer christlichen Kirche ganz in der Nähe ihrer Heimat. Sie löcherte ihn mit allen Fragen, die sie zum christlichen Glauben hatte. Er erklärte ihr, dass Jesus Christus aus Liebe zu den Menschen auf die Erde kam, sterben musste und dann den Tod und damit die Sünde eines Jeden besiegt habe. Wer dies glaube, sei durch Jesus gerechtfertigt vor Gott. Wichtige Fragen blieben aber erstmal noch ungeklärt: Wo war denn dieser Jesus, als sie von dem Napalmfeuer verzehrt wurde? Wie konnte Gott jemanden wie sie tatsächlich lieben?
9. Endlich Frieden
Sie schrie zu Gott und bat ihn, ihr innerhalb von 24 Stunden eine Freundin zu schenken. Wenn sie jemanden finden würde, bei dem sie ihre Sorgen aussprechen könnte, würde sie wieder Sinn im Leben sehen und sich nicht umbringen. Nach einer sehr unruhigen Nacht ging sie am nächsten Morgen in die Kirche. Eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn trat sie nervös in die Kirche. In der Mitte des Raumes saß eine vietnamesische Frau. Kim Phuc näherte sich ihr zögerlich. Die Frau hieß Thuy, war schon lange gläubige Christin und beide verstanden sich von Anfang an sehr gut. In der nachfolgenden Zeit trafen sie sich regelmäßig, um über den Glauben zu sprechen. Von Thuy lernte Kim Phuc zu beten. Dies beherzigte sie im Folgenden immer, wenn wieder dunkle Gedanken in ihr aufstiegen. Dass sie mit Gott eine Beziehung aufbauen konnte, war ihr völlig fremd. Die Caodaigötter waren unnahbar und weit entfernt – jedenfalls kümmerten sie sich nicht um das Leid der Gläubigen. In Jesus sah Kim Phuc allerdings einen Gott, der sich für das Leiden der Menschen interessiert und sich darüber erbarmt, ja der selber gelitten hat, um die Menschen zu erlösen.
An Heilig Abend 1982 lud der Pastor in der Gemeinde ein, Jesus nachzufolgen, da er derjenige sei, der uns Ewiges Leben und seinen Frieden schenke.
„Schnell stand ich auf. Ich sehnte mich so sehr nach diesem Frieden! In meinem Herzen ist so viel Hass, dachte ich. Diese Bitterkeit lastet so schwer auf mir; ich will nicht länger unter ihr leiden. Ich sehnte mich danach, dass mir alle meine Fehler vergeben werden würden und dass auch ich lernen konnte, zu vergeben. Ich wollte diese inneren Schmerzen nicht mehr. Ich wollte endlich leben – in Freiheit und in Freude. Ja, ich wollte diesen Jesus!“4
Kim Phuc entschied sich für Jesus Christus, in dem sie echten Frieden fand. Trotz dieser Entscheidung und auch gerade wegen dieser Entscheidung sollten jedoch nicht alle Schwierigkeiten weg sein.
10. Wie ging es weiter?
Ihre Familie war von dieser Entscheidung sehr enttäuscht und verstieß sie, weil sie eine Abtrünnige ihrer ursprünglichen Religion geworden war. Die materielle Not war immer noch sehr groß und brachte Zweifel an der Güte Gottes in ihr hervor. Nach mehreren gescheiterten Fluchtversuchen aus Vietnam wurde ihr aber gestattet, sich in Deutschland operieren zu lassen. Die kommunistische Regierung gebrauchte sie weiterhin für ihre Propagandazwecke, was ihr unmöglich machte, ein Studium abzuschließen. Es wurde ihr aber auch erlaubt, nach einer Propagandareise in die Sowjetunion einen Erholungsaufenthalt dort durchzuführen. Das tat ihrer verbrannten Haut sehr gut, da die Schmerzen sie nämlich weiterhin quälten.
In dem vietnamesischen Premierminister Pham Van Dong fand sie einen Vertrauten, der ihr gestattete, in Kuba endlich frei von den Regierungszwängen zu studieren. Doch auch dort hatte sie verschiedene (gesundheitliche) Probleme zu bewältigen. Aber in allen Sorgen vertraute sie ihrem Gott:
„Ich war schon einmal an dem Punkt gewesen, an dem ich keine Kraft mehr hatte, um weiterzuleben. Doch dann fand ich den Ausweg in all meiner Ausweglosigkeit: Jesus. Ich würde mich immer wieder neu für diesen Weg entscheiden müssen, mich immer wieder neu daran erinnern müssen, wie er mir damals das Leben gerettet hatte – und dass er ein treuer Gott war, der es gut mit mir meinte.“5
Nach und nach erlebte sie, wie Gott sie veränderte und wieder zu dem glücklichen Menschen machte, der sie einmal war.
In Kuba lernte sie auch ihren zukünftigen Mann Toan kennen, der nach ihrer Hochzeit auch Christ werden sollte. Mit ihm setzte sie sich nach Kanada ab. Dort fanden sie hilfsbereite Menschen, die ihnen den Start in Toronto ermöglichten und auch eine Gemeinde, die sie von Herzen aufnahmen. Trotz aller ärztlichen Bedenken konnte Kim Phuc zwei gesunde Kinder zur Welt bringen. Das sieht sie genauso als Wunder an wie die Tatsache, dass sie sich mit ihren Eltern wieder versöhnen konnte, die auch Christen wurden. Heute hat sie keinen Hass mehr auf Amerikaner und die Soldaten, die für den Angriff auf ihr Dorf verantwortlich waren.
Sie gründete die Stiftung The KIM Foundation International, welche sich für Kinder in Kriegsgebieten einsetzt. Als UNESCO-Botschafterin engagiert sie sich für den Frieden und erhielt sechs Ehrendoktortitel für ihre Arbeit. Ihre Schmerzen sind durch moderne Therapien weniger geworden, belasten sie aber weiterhin enorm. Dennoch lautet eines ihrer Gebete:
„Gott, bitte erinnere mich immer wieder daran, dass die Napalm-Bomben mich nicht umbringen konnten und dass ich am Leben blieb, um nun anderen von dem Frieden erzählen zu können, den ich gefunden habe.“6
Quellen und Literatur:
- Chong, Denise: Das Mädchen hinter dem Foto. Die Geschichte der Kim Phuc. Hamburg 2001.
- Huber, Joachim: Napalm Girl: Das Bild des Vietnamkriegs. Vor 50 Jahren: Nick Út fotografiert die neunjährige, vom Napalm verbrannte Kim Phúc (Tagesspiegel, 07.06.2022). Aufgerufen unter: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/das-bild-des-vietnamkriegs-4337212.html
- Nüesch, Danja: Skandal um «Napalm-Mädchen»-Foto: Wer ist der Autor des Bildes? (SRF Kultur, 27.01.2025) Aufgerufen unter: https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/autorenschaft-angezweifelt-skandal-um-napalm-maedchen-foto-wer-ist-der-autor-des-bildes
- Phan Thi, Kim Phuc: Ins Herz gebrannt. Wie ich die Schrecken des Krieges hinter mir ließ und Frieden, Vergebung und Hoffnung fand. Assler 2018.