Zählen oder Wiegen?

Es gibt in der Heiligen Schrift mehrere Beispiele, in denen Menschen falsche Berechnungen anstellen oder mit den falschen Maßstäben messen. Samuel ist in Gefahr, dies zu tun, als er Davids älteren Bruder Eliab betrachtet, während er nach dem vom Herrn gesalbten König sucht. Er sieht auf dessen äußeres Erscheinungsbild und seine Statur und ist versucht zu schließen, dass er den Mann gefunden hat, den Gott bevorzugt. „Aber der HERR sprach zu Samuel: Sieh nicht auf sein Aussehen und nicht auf seinen hohen Wuchs; denn ich habe ihn verworfen. Denn der Mensch sieht, was vor Augen ist, der HERR aber sieht das Herz an“ (1. Sam 16:7).

Der Diener Elisas steht vor einer ähnlichen Herausforderung, als er mit dem Mann Gottes in Dothan ist und die Syrer mit einem großen Heer kommen, um seinen Herrn gefangen zu nehmen.

„Und der Diener des Mannes Gottes stand früh auf und ging hinaus, und siehe, ein Heer umringte die Stadt mit Pferden und Wagen. Da sprach sein Diener zu ihm: ‚Ach, mein Herr! Was sollen wir tun?‘ Er aber sprach: ‚Fürchte dich nicht! Denn die, welche bei uns sind, sind mehr als die, welche bei ihnen sind.‘ Und Elisa betete und sprach: ‚HERR, öffne ihm doch die Augen, dass er sieht!‘ Da öffnete der HERR dem Knecht die Augen, und er sah: Und siehe, der Berg war voll feuriger Rosse und Wagen rings um Elisa“ (2. Kön 6:15–17).

Zu den Zeiten Hiskias zog Sanherib gegen Juda herauf. Hiskia ermutigte das Volk: „Seid stark und mutig! Fürchtet euch nicht und erschreckt nicht vor dem König von Assyrien und vor der ganzen Menge, die bei ihm ist; denn mit uns sind mehr als mit ihm. Mit ihm ist ein Arm aus Fleisch, mit uns aber ist der HERR, unser Gott, um uns zu helfen und unsere Kämpfe zu führen“ (2. Chr 32:7–8).

Als Jonathan gegen eine Besatzung der Philister zog, ermutigte er seinen Waffenträger: „Komm, lass uns hinübergehen zu der Wache dieser Unbeschnittenen! Vielleicht wird der HERR für uns wirken; denn es ist dem HERRN nicht schwer, durch viele oder durch wenige zu retten“ (1. Sam 14:6).

All diese Beispiele zeigen eine Neigung, sich auf das Zählen des Sichtbaren zu verlassen, statt das Unsichtbare zu gewichten – oder sie zeigen die Notwendigkeit, sich dieser Neigung entgegenzustellen. Auch wir müssen uns dieser Gefahr bewusst sein und uns davor hüten. Wir neigen dazu, Erfolg, Risiko und Leistung anhand des Sichtbaren zu messen.

Manchmal geschieht das ganz offen. Es wird berichtet, dass eine bestimmte Gemeinde in einem bestimmten Zeitraum um Dutzende, Hunderte oder gar Tausende Mitglieder gewachsen ist – und dies wird als Zeichen ihres Erfolgs gewertet. Eine andere Gemeinde hat nur fünfzig Mitglieder, was angeblich darauf hindeutet, dass ihre Predigten wertlos, ihre gemeinsame Anbetung freudlos oder ihre Evangelisation wirkungslos sei. Es wird mitgeteilt, wie viele Gemeinden in einem bestimmten Zeitraum gegründet wurden, und man wird ermutigt, mehr zu spenden. Ein Buch hat sich tausendfach verkauft – also muss es wertvoll sein. Eine Konferenz zieht Tausende an, eine andere nur Dutzende oder kaum hundert. Zählen scheint das Maß für Erfolg oder Misserfolg zu sein, und wir werden ermutigt, entsprechend zu urteilen.

Oft geschieht es aber auch unterschwellig. Wir schauen auf die Besucherzahlen unseres Blogs, die Downloads unserer Predigten, die Anzahl der einzigartigen Besucher, unsere Verlinkungen und Empfehlungen, unsere Freunde, unsere Gemeinde, die Neuzugänge und so weiter. Und während wir schauen, urteilen wir: Wie viele? Wie gut oder schlecht stehe ich da? Wie schneide ich im Vergleich zu anderen ab? Oft nutzen wir solche Zahlen auch, wenn wir unsere Möglichkeiten abwägen: Sollten wir nicht erst dann ein bestimmtes Vorhaben im Reich Gottes angehen, wenn wir so und so viele Mitglieder oder so und so viel Geld haben?

Zählen ist nicht grundsätzlich falsch. Es kann sehr hilfreich sein. Es ist zweifellos eine nützliche Möglichkeit, eine Einschätzung zu treffen. Ein Maß für die Größe des Reiches Gottes und seines Königs ist, dass er angebetet wird von „zehntausend mal zehntausend und tausenden von Tausenden“ (Offb 5:11). Es besteht aus einer großen Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; sie standen vor dem Thron und vor dem Lamm, bekleidet mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen. Und sie riefen mit lauter Stimme: ‚Das Heil ist bei unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und bei dem Lamm!‘ (Offb 7:9–10)

Doch dieselbe Bildsprache wird am Ende der Offenbarung verwendet: Wenn die Nationen gegen die Heiligen versammelt werden, ist ihre Zahl wie der Sand am Meer (Offb 20:8). Was ist also größer? Die Heerscharen des Lammes oder die Heere des Widersachers? Man kann nicht einfach zählen. Man muss gewichten.

Was wiegt mehr: Eine Gemeinde mit tausend unbekehrten Menschen, die überzeugt sind, sie seien gerettet, während sie einen Jesus ihrer eigenen Vorstellung anbeten – oder eine kleine Schar treuer Heiliger, die dem Gott ihrer Errettung Lob und Ehre bringen? Was wiegt mehr: Eine wirklich treue und kraftvolle Predigt vor jenen Tausend, die nur ihre Ohren gekitzelt haben wollen, oder das Verkünden belangloser Floskeln vor einer kleinen Gruppe gottesfürchtiger Männer und Frauen? Was wiegt mehr: Eine große Zahl geistlich gereifter, aber körperlich schwacher älterer Christen, oder eine kleine Gruppe oft unreifer, aber geistlich lebendiger junger Gläubiger?

Wenn du mit einer Gemeinde von hundert Mitgliedern beginnst und Gott durch treue Verkündigung und Seelsorge diese Gemeinde innerhalb eines Jahres auf fünfundzwanzig treue Mitglieder und fünf Neubekehrte „beschneidet“, hast du dann Fortschritt gemacht? Wenn du fünfundzwanzig Jahre predigst und nur zehn Bekehrungen siehst, während dein Bruder in der Nachbarstadt Dutzende erlebt – hat er dann „besser“ gearbeitet? Was, wenn einer deiner zehn das Evangelium predigt und dadurch Tausende gerettet werden? Was wiegt mehr? Wiegt eine Versammlung von zwanzig Heiligen in einem ansonsten verschlossenen Land mehr als Hunderte, die es anderswo bequem haben?

Ich behaupte nicht, dass die Antworten auf solche Fragen immer einfach sind, auch wenn manche klarer erscheinen. Bevorzugt Gott Fruchtbarkeit vor Treue? Was, wenn das eine nur scheinbar, das andere aber wirklich echt ist? Applaudiert Christus für Gehorsam oder für Beliebtheit? Eines der Probleme ist, dass das Zählen des Sichtbaren so viel leichter ist als das Gewichten des Unsichtbaren. Im letzteren Fall wissen wir oft nicht einmal, welche Waage wir anlegen sollen.

Wenn wir nur das zählen, was sichtbar ist, und dabei – mindestens – vergessen, das Gewicht des Unsichtbaren zu berücksichtigen, werden wir leicht verwirrt und entmutigt. Wir müssen uns daran erinnern, dass unser Tun auf einer ewigen Waage in der Hand des gerechten Richters gewogen wird, der jedem nach seinen Wegen und nach der Frucht seines Tuns vergilt.

„Darum lassen wir uns nicht entmutigen; sondern wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, so wird doch der innere Tag für Tag erneuert. Denn unsere Bedrängnis, die schnell vorübergeht und leicht ist, verschafft uns eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, weil wir nicht auf das Sichtbare sehen, sondern auf das Unsichtbare. Denn das Sichtbare ist zeitlich, das Unsichtbare aber ist ewig“ (2. Kor 4:16–18).

Zähle also ruhig sorgfältig das, was du sehen kannst. Aber vergiss nicht: Gott wiegt auch das, was nicht sichtbar ist. Im Reich Gottes zählt das Gewicht viel.


Dieser Beitrag erschien zuerst bei Banner of Truth. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
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