Leuchtende Gestalt über Kairo: Sind die Zeitoun-Ereignisse eindrucksvoller als die Auferstehung?
In den Jahren 1968 bis 1971 wurde in Zeitoun (Ägypten) ein Phänomen gemeldet, bei dem zahlreiche Menschen eine leuchtende Gestalt auf dem Dach einer koptischen Kirche gesehen haben wollen. Diese Erscheinung wird häufig als „Marienerscheinung“ gedeutet. In Diskussionen über die Glaubwürdigkeit von Wunderberichten wird dieses Ereignis oft mit der Auferstehung Jesu verglichen, um die Frage zu klären, ob wir es hier mit einer ähnlich starken oder gar stärkeren Beleglage für das Christentum zu tun haben. Im Folgenden werden die wichtigsten Argumente zu diesem Vergleich ausführlich dargestellt.
1. Hintergrund: Die gemeldeten Ereignisse in Zeitoun
In Zeitoun soll zwischen 1968 und 1971 immer wieder eine helle, menschenähnliche Lichtgestalt in den Nachtstunden auf dem Dach oder in der Nähe der Kuppel der Kirche erschienen sein. Viele Zeugen behaupten, dass sie eine Frauengestalt in weißem Gewand gesehen haben, die in einer Haltung des Segnens verweilt oder teilweise ein Kind auf dem Arm getragen habe. Aus verschiedenen Berichten geht hervor, dass folgende Elemente immer wieder genannt wurden:
- Lichtphänomene: Eine hell leuchtende Figur, gelegentlich begleitet von leuchtenden Tauben oder einem rötlichen Licht- bzw. Nebelschleier.
- Geruch von Weihrauch: Manche Zeugen gaben an, sie hätten intensiven Wohlgeruch wahrgenommen, wenn das Licht sichtbar wurde.
- Bewegung: In einigen Berichten soll die Gestalt auf Rufe der Menge reagiert haben, indem sie sich leicht bewegte, die Hände zum Segen erhob oder die Position wechselte.
- Publizität und Wiederholung: Die Erscheinungen wurden über einen Zeitraum von ungefähr drei Jahren gemeldet und sollen dabei Tausende, teils sogar Millionen Schaulustige angezogen haben.
Besonders bemerkenswert ist, dass die Phänomene sich nicht nur auf wenige Individuen beschränkten, sondern von großen Menschenmengen beschrieben wurden. Sogar Personen, die selbst nicht zum Christentum gehören, wollten dort eine Frauenfigur gesehen haben. Oft wird darauf hingewiesen, dass die ersten, die sie erblickt haben sollen, weder an eine Marienerscheinung dachten noch danach suchten, sondern zunächst eine Person vermuteten, die sich vom Dach stürzen könnte.

2. Vergleich zum Zeugnis der Auferstehung Jesu
2.1 Multisensorische Erfahrungen
Befürworter der besonderen Bedeutung von Zeitoun verweisen darauf, dass hier nicht nur einzelne Individuen, sondern ganze Gruppen die Erscheinung sahen. Laut Aussagen vor Ort wurden auch weitere Sinne angesprochen, beispielsweise Geruch oder Geräusche. Diese Indizien halten manche für ebenso überzeugend wie jene Berichte, die von Gruppenzeugnissen zur Auferstehung Jesu handeln.
Gleichzeitig ist in den Evangelien die Rede davon, dass Jesus nicht nur gesehen, sondern ebenso gehört und berührt werden konnte und er sogar mit den Jüngern aß. Im Unterschied dazu gibt es in Zeitoun weder direkte Gespräche noch greifbare Kontaktpunkte mit der Gestalt. Während die Masse der Zeugnisse und die Dauer des Zeitraums beachtlich sind, stellt sich dennoch die Frage, inwieweit diese Faktoren die Auferstehungsberichte an Evidenz wirklich übertreffen können.
2.2 Erkennbarkeit und Identität der Gestalt
Ein weiteres zentrales Merkmal der Auferstehung Jesu besteht darin, dass seine früheren Weggefährten ihn aufgrund enger Bekanntschaft sicher identifizieren konnten. Die biblischen Texte beschreiben einen Zeitraum von mehreren Wochen, in denen dieselbe Person mehrfach erschien, sprach und berührt werden konnte.
Im Gegensatz dazu war die Figur in Zeitoun meistens nur nachts auf einiger Distanz sichtbar. Mangels direkter Kommunikation blieb unklar, ob es sich tatsächlich um Maria handelt. Äußere Merkmale wie weiße Kleidung, eine vermeintliche Nonnenaufmachung und Segensgesten verstärkten zwar die Deutung als Muttergottesfigur, bieten aber keine eindeutige Gewissheit.
2.3 Unterschiedliche Wahrnehmungen im selben Moment
Auffällig ist auch, dass vor Ort keineswegs alle Personen dieselben Eindrücke hatten. Während manche Betrachter eine klar konturierte Frauengestalt erkennen wollten, konnten andere lediglich Lichterscheinungen ausmachen. Dies wird durch die Feldstudie der Anthropologin Cynthia Nelson vom American University in Kairo illustriert:
Nelson besuchte die Kirche im April und Juni 1968. Ihre Beobachtungen hielt sie in einem Fachartikel fest. Demnach waren einige Anwesende fest davon überzeugt, eine nonnenhafte Gestalt zu sehen, während andere – Nelson eingeschlossen – lediglich Lichter wahrnahmen und keine sichere Aussage über eine Person treffen konnten. Sie schildert:
„Als wir uns unterhielten, begann die Menschenmenge auf die Palme zu zeigen und rief: ‚Es ist die Jungfrau, sie sieht aus wie eine Nonne, und sie schwankt hin und her, als würde sie uns segnen.‘ Ich blickte dorthin, wo die Leute hindeuteten, und dachte ebenfalls, ein Licht zwischen den Palmzweigen zu sehen. Als ich versuchte, mir in diesen Zweigen eine nonnenhafte Gestalt vorzustellen, konnte ich die Umrisse einer Figur erkennen. Aber als ich mir einredete, dies sei nur eine Illusion durch das Licht, das sich in den Zweigen spiegele, verschwand die Gestalt wieder aus meinem Blickfeld. Dennoch bezweifelte ich nicht, dass dort ein Licht war und dass die Gestalt sichtbar wurde, wenn ich sie bewusst suchte. Ich deutete diese Wahrnehmung sofort als eine Illusion, hervorgerufen durch reflektiertes Licht, doch die Quelle dieses Lichts blieb mir rätselhaft, denn seit einigen Tagen waren in der Umgebung der Kirche sämtliche Straßenlaternen abgeschaltet worden. Und eine Woche später sollten sogar alle Bäume um die Kirche herum gefällt werden. Die Frau neben mir war überzeugt, dass es die Jungfrau war. Das zeigt einmal mehr, dass das, was das Auge sieht, nicht so sehr das Ergebnis psychologischer Prozesse ist, sondern vielmehr von intellektuellen, emotionalen und ideellen Vorstellungen bestimmt wird.“
Bei einem weiteren Besuch Anfang Juni desselben Jahres machte sie ähnliche Erfahrungen:
„Es gab zeitweilig Lichtblitze, vielleicht von Scheinwerfern. Ich fragte nach, und mir wurde von den Umstehenden gesagt, dass seit zwei Wochen keine Busse oder Autos in der Nähe zugelassen waren. Die Reaktion der Menge auf diese Lichtblitze war elektrisierend. Sie klatschten und riefen: ‚Da ist sie! Da ist sie!‘ Insgesamt wirkte die Stimmung verhaltener und zurückhaltender als in den ersten Maitagen.“
Nelson kam zu dem Schluss, dass es zweifelsfrei ungewöhnliche Lichtphänomene gab, diese jedoch je nach Wahrnehmung stark unterschiedlich gedeutet wurden. Einige sahen eine konkrete Figur, andere bezweifelten deren Existenz oder konnten keine Details erkennen.
3. Rolle von Vorannahmen und Erwartungen
Gerade bei Massenphänomenen ist zu berücksichtigen, dass Vorannahmen und kulturelle Deutungsmuster die Wahrnehmung beeinflussen. In Ägypten herrscht in bestimmten Kreisen – auch im islamischen Umfeld – eine hohe Wertschätzung für Maria. Wer bereits an ihre mögliche Erscheinung glaubt oder sie nicht ausschließt, könnte den Ereignissen in Zeitoun eher Glauben schenken.
Dem wird entgegengesetzt, dass die biblischen Zeugen der Auferstehung Jesu häufig nicht mit einer derartigen Wendung rechneten und zum Teil erhebliche Zweifel hegten. Insbesondere die Geschichte von Saulus von Tarsus (Paulus) wird als Beispiel herangezogen, dass eine Konfrontation mit dem Auferstandenen gerade nicht auf Wunschdenken beruhte.
4. Bedeutet Zeitoun eine stärkere Beleglage als die Auferstehung?
Die Frage, ob Zeitoun im Vergleich zur Auferstehung Jesu eine höhere Beweiskraft besitzt, wird unterschiedlich beantwortet:
- Zahlreiche Augenzeugen: Manche argumentieren, die schiere Menge der Beobachter spreche für besondere Glaubwürdigkeit. Allerdings sind deren Berichte nicht in jedem Detail kongruent.
- Erkennbarkeit: Während die Jünger Jesus klar erkannten und teils Wochen mit ihm verbrachten, ist die Identität der Figur in Zeitoun weniger eindeutig.
- Zentraler Stellenwert: Theologisch gesehen hat die Auferstehung für den christlichen Glauben eine unvergleichliche Bedeutung, die selbst ein spektakuläres Marienwunder nur schwerlich übertreffen kann.
5. Vorsicht und Unterscheidung bei Marienerscheinungen
Viele gehen davon aus, dass übernatürliche Erscheinungen sorgfältiger Prüfung bedürfen. Auch wenn manche Phänomene nicht ohne Weiteres naturalistisch erklärt werden können, folgt daraus nicht automatisch, dass sie als abschließender Beweis für konkrete Glaubenslehren dienen.
- Verschiedene Erscheinungsformen: Die Berichte über Maria variieren in Kleidung, Haar- und Hautfarbe stark, was die Identitätsfrage erschwert.
- Subjektive Deutungen: Wie Nelsons Feldbeobachtungen nahelegen, sind Wahrnehmungen stark von persönlichen und kulturellen Erwartungen geprägt.
- Kein Automatismus in Glaubensfragen: Selbst wenn man Zeitoun ein übernatürliches Element zugesteht, erzwingt dies keine spezielle theologische Entscheidung oder Kirchenzugehörigkeit.
6. Zusammenfassung
Die Ereignisse in Zeitoun (1968–1971) haben große mediale und religiöse Aufmerksamkeit erfahren. Zahlreiche Menschen wollen dort eine strahlende Figur auf dem Dach der Kirche gesehen haben, was häufig als Marienerscheinung gedeutet wird. Die Dauer der Erscheinungen und die hohen Besucherzahlen unterstreichen die Außergewöhnlichkeit dieses Phänomens.
Allerdings unterscheidet es sich wesentlich von den Auferstehungsberichten im Neuen Testament. Während Jesus von seinen engsten Vertrauten erkannt wurde, mit ihnen sprach und aß, blieb die Lichtgestalt in Zeitoun anonym, stumm und nur aus der Ferne sichtbar. Zudem variierten die Wahrnehmungen erheblich, wie Cynthia Nelsons Studie zeigt.
Auch wenn man ein übernatürliches Geschehen in Erwägung zieht, lässt sich daraus nicht folgern, dass Zeitoun eine größere Beweiskraft für den christlichen Glauben besitzt als die Auferstehung Jesu. Letztere stellt nach wie vor den zentralen Dreh- und Angelpunkt im Christentum dar. Somit kann Zeitoun als bemerkenswertes, möglicherweise unerklärliches Ereignis gelten, ohne jedoch die theologisch und historisch einzigartige Bedeutung der Auferstehung zu überragen.
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