Neil Postman (1931–2003) war Professor für Medienökologie an der New York University und ein einflussreicher Kulturkritiker. Er wurde vor allem durch sein Buch «Wir amüsieren uns zu Tode» bekannt. Wohlgemerkt: Postman ist sich des Zugewinns neuer Technologien bewusst. Mit «The Modern Media Crisis» (1988) und «Talk in LA» 1993 hielt er Vorträge, in denen er bereits vor der Ära von Internet, Smartphone und künstlicher Intelligenz die Gefahren einer unkontrollierten Informationsflut und einer zu großen Abhängigkeit von Technologien ansprach. Postman verstand seine Aufgabe als Mahner, der auf die kulturellen und sozialen Nebenwirkungen des technologischen Fortschritts aufmerksam machte. Hier sind fünf seiner Kritikpunkte:
- Mehr Information führt nicht automatisch zu besseren Entscheidungen
Moderne Gesellschaften stehen vor einem Überangebot an Daten, jedoch ohne adäquate Strategien, diese sinnvoll zu nutzen. - Das Problem der Sinnlosigkeit von Information
Bis zum 20. Jahrhundert war Wissen klar geordnet und in einen größeren Sinnzusammenhang eingebettet, während heute ein kohärentes Weltbild fehlt und Wissen immer stärker fragmentiert wird. - Die Flut unnützer Information
Postman zog den drastischen Vergleich „Informationsüberflutung ist wie kulturelles AIDS“ und kritisierte, dass unsere „Abwehrkräfte“ gegen irrelevante Informationen weitgehend versagt haben. - Technologie verändert unser Verständnis von Wahrheit und Kommunikation
Früher galt ein gutes Gedächtnis als Zeichen von Intelligenz; heute zählt vor allem die Fähigkeit, Informationen schnell aufzuspüren und zu verwalten. - Verlagerung von Information zu Unterhaltung
Durch bildgewaltige Medien wie das Fernsehen werden Themen ohne starken visuellen Reiz ausgeblendet, was zu einer oberflächlichen und kontextlosen Darstellung der Welt führt.
Mercer Schuchardt, ehemaliger Doktorand von Neil Postman und Professor für Kommunikationswissenschaft am Wheaton College (Illinois) und zählt zu den führenden Denkern der Medienökologie. Er gab bereits 2012 zu bedenken:
- Reduzierte Eigenaktivität vs. Partizipation
Digitale Medien drängen Menschen laut Schuchardt oft in die Rolle der Konsumenten, statt sie zu aktiver Gestaltung und Teilhabe zu motivieren. Während frühere Generationen gemeinschaftlich musizierten oder Handwerk ausübten, sind heutige Nutzer eher beobachtend und konsumierend tätig. - Kulturelle Orientierungslosigkeit
Der Wechsel von einer Buchkultur zu Fernsehen und Social Media verschiebe das „Koordinatensystem“ einer Gesellschaft. Im digitalen Zeitalter leben viele „im permanenten Jetzt“, verlieren das Gefühl für historische Entwicklungen und erleben kaum noch eine analoge Chronologie. - Speicher und Gedächtnis
Die Haltung „Merke dir nichts, was du nachschlagen kannst“ verfestigt sich im Zeitalter von Suchmaschinen und KI-Tools. Dadurch werde das persönliche Gedächtnis geschwächt, Identität und Kontinuität gingen verloren. Ohne eigenes „im-Kopf-Haben“ fehle der Blick für Zusammenhänge und eigenständiges Denken. - Digitaler vs. analoger Weg
Früher sei der Mensch gezwungen gewesen, sich räumlich zu orientieren (z. B. mit Atlas und Kompass), was ein aktives Verständnis von Weg und Umgebung förderte. Heute gebe man sich der digitalen Navigation (GPS) hin und verliere dabei die Fähigkeit, sich eigenständig zu orientieren. - Zusammenhang mit Einsamkeit & psychischen Problemen
Schuchardt verweist auf Studien (u. a. Jonathan Haidts Forschung), die einen deutlichen Anstieg von Angststörungen und Depressionen in der Generation ab 1997 zeigen – parallel zur intensiven Social-Media-Nutzung. Die ständige Ablenkung und mangelnde körperliche Präsenz verschärften das Gefühl der Vereinsamung.
Nun fragt sich: Ist ein Christ Technologie-fanatisch oder Technologie-kritisch? Weder noch. Er widersteht beiden Versuchungen. Wie das geschehen kann, erläutere ich im nächsten Beitrag.
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