Wir halten Demut oft für eine eher trübsinnige Tugend. Wir wissen, dass wir sie brauchen, aber wir erwarten nicht, dass sie besonders angenehm ist – eher wie ein Zahnarztbesuch.
C.S. Lewis hingegen argumentierte genau andersherum: „Schon allein in die Nähe der Demut zu kommen, sei es auch nur für einen Moment, ist wie ein Schluck kaltes Wasser für einen Mann in der Wüste.“ Timothy Keller predigte in eine ähnliche Richtung: „Nichts ist entspannender als Demut.“ Er erklärte es so: Stolz beklagt sich über alles, aber Demut kann das Leben freudig als Geschenk empfangen.
Vielleicht sehen wir es also völlig falsch: Wir halten Demut für eine unerträgliche Last, dabei ist sie in Wahrheit leicht wie eine Feder. Es ist der Stolz, der das Leben grau und eintönig macht – Demut bringt die Farben zum Leuchten. Warum liegen wir hier so oft daneben? Ich weiß es nicht genau, aber ein Teil der Antwort könnte darin liegen, dass wir schlicht und ergreifend missverstehen, was Demut wirklich ist. Besonders zwei Fehlvorstellungen stechen dabei hervor.
1. Demut ist kein Versteckspiel
Demut bedeutet nicht, deine Gaben und Fähigkeiten zu verbergen. Wenn du malen kannst wie Van Gogh, verlangt Demut nicht von dir, deine Werke versteckt im Keller aufzubewahren. Wenn du einen Baseball mit 150 km/h werfen kannst, wird dich wahre Demut nicht dazu bringen, auf der Ersatzbank zu bleiben und es deinem Trainer nie zu erzählen.
In Dienstanweisung für einen Unterteufel gibt ein Dämon einem anderen folgenden Rat:
„Der Feind [Gott] will den Menschen in einen Geisteszustand versetzen, in dem er die beste Kathedrale der Welt entwerfen und wissen kann, dass sie die beste ist, und sich darüber freuen kann – ohne mehr (oder weniger) oder auf eine andere Weise froh darüber zu sein, als wenn sie von jemand anderem gebaut worden wäre. Der Feind will ihn am Ende so frei von jeder Bevorzugung seiner selbst machen, dass er sich über seine eigenen Talente genauso ehrlich und dankbar freuen kann wie über die Talente seines Nächsten – oder über einen Sonnenaufgang, einen Elefanten oder einen Wasserfall.“
Wenn Lewis recht hat, dann ist das Leugnen deiner Gaben nicht demütig – im Gegenteil, es ist in gewisser Weise das Gegenteil von Demut, weil du immer noch auf dich selbst fixiert bist und dich entweder positiv oder negativ als Ausnahme von allen anderen Menschen betrachtest. Wahre Demut bedeutet das Ende dieser selbstbezogenen Perspektive. Sie bedeutet, deinen Beitrag zur Welt als genauso wertvoll zu betrachten wie jedes andere gute Geschenk in dieser Welt.
Stell dir vor, du bist Teil eines Teams von Ärzten, das an der Heilung einer Krankheit arbeitet. Du machst eine Entdeckung, die etwa 25 % zur Lösung beiträgt. Ein anderer Arzt macht daraufhin eine weitere Entdeckung, die die verbleibenden 75 % zur Heilung beisteuert.
Demut bedeutet, dass du dich über deinen eigenen Beitrag freust und offen darüber sprechen kannst, während du gleichzeitig – ganz selbstverständlich – drei Mal so sehr über die Errungenschaft deines Kollegen erfreut bist.
Ein solcher Mensch zu sein, ist nicht Last, sondern Freude und Freiheit.
2. Demut ist kein Selbsthass
Demut bedeutet weder Selbsthass noch Selbstvernachlässigung oder Selbstbestrafung. Die Bibel sagt nicht: „Hasse dich selbst und liebe stattdessen deinen Nächsten.“ Sie sagt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Selbsthass ist in Wirklichkeit genauso sündig wie der Hass auf andere – so wie Selbstmord eine Form des Mordes ist.
Der Musiker Andrew Peterson hat ein Lied mit dem Titel Be Kind to Yourself („Sei freundlich zu dir selbst“). Natürlich kann die Idee der Selbstfreundlichkeit missverstanden werden und muss klar von Selbstverwöhnung unterschieden werden. Doch es gibt eine Weise, für sich selbst zu sorgen und sich selbst in gesunder Weise zu achten, die nicht egoistisch ist, sondern uns vielmehr fähiger macht, anderen zu dienen. Wie ich oft in der Seelsorge sage: Wahre Selbstfürsorge ist nicht egoistisch.
Viele Menschen in unserer Gesellschaft kämpfen mit Scham, Minderwertigkeitsgefühlen und einem Mangel an Selbstwert. Solche Empfindungen müssen wir scharf von der wahren Demut unterscheiden. Was auch immer Demut von dir verlangen mag – sie wird dir niemals deine Würde als Ebenbild Gottes rauben. Wirklich demütige Menschen halten ihre eigene Existenz nicht für etwas Böses. Sie glauben nicht, dass sie alles, was sie berühren, verderben oder dass sie unnötig Raum auf dieser Welt einnehmen. Stattdessen können sie sich frei in der Welt bewegen – mit Leichtigkeit im Herzen und einem beschwingten Schritt.
Die Feuerprobe der Demut
Wenn Demut weder Selbstversteck noch Selbsthass ist – was ist sie dann? Ich liebe es, wie Timothy Keller (in der Tradition von C.S. Lewis) Demut als Selbstvergessenheit beschreibt: Es bedeutet nicht, weniger von sich selbst zu denken, sondern weniger an sich selbst zu denken. Sowohl das Verbergen der eigenen Gaben als auch Selbsthass sind letztlich Formen von Selbstfixierung – wahre Demut hingegen befreit uns von der ständigen Beschäftigung mit uns selbst.
C.S. Lewis erklärt es so:
„Stell dir nicht vor, dass ein wirklich demütiger Mensch dem entspricht, was die meisten heute unter ‚demütig‘ verstehen. Er wird nicht dieser schmierige, unterwürfige Typ sein, der dir ständig versichert, er sei ja eigentlich ein Nichts. Wahrscheinlich wird dein Eindruck von ihm einfach der sein, dass er ein fröhlicher, kluger Mensch ist, der sich aufrichtig für das interessiert, was du sagst. Falls du ihn nicht magst, dann vermutlich deshalb, weil du ein wenig neidisch darauf bist, wie unbeschwert er das Leben zu genießen scheint. Er wird nicht über Demut nachdenken – er wird überhaupt nicht über sich selbst nachdenken.“
Wahre Demut befreit uns von der Last, ständig um uns selbst zu kreisen – und genau darin liegt ihre Schönheit.
Das Wort fröhlich, das Lewis verwendet, bleibt mir besonders im Gedächtnis – ebenso wie seine Betonung der Lebensfreude. Das erinnert mich daran, dass Freude eine gute Feuerprobe für Demut und unsere gesamte Spiritualität ist. Wahre Demut führt immer zu Freude. Wenn uns die Freude fehlt, dann haben wir es mit einer Fälschung zu tun. Irgendetwas läuft schief.
Natürlich bedeutet das nicht, dass sich Demut immer erhebend und angenehm anfühlt. Es gibt auch mühsame Momente. Doch das Endergebnis ist – wie bei Sport oder einer gesunden Ernährung – eindeutig wohltuend. Wir könnten Demut also so definieren: Selbstvergessenheit, die zur Freude führt.
Das größte Vorbild der Demut
Im Evangelium sehen wir das vollkommenste Bild der Demut: Jesus Christus – in seiner Menschwerdung und ganz besonders in seinem Tod und Begräbnis. „Und in seiner Gestalt als Mensch erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz.“ (Philipper 2,8) Kein Mensch hat sich je mehr erniedrigt als Jesus. Der Weg von der Herrlichkeit des Himmels bis zur Kreuzigung ist der tiefste Abstieg. Und doch war Demut für Jesus der Weg zur Freude (Hebräer 12,2) und zur Herrlichkeit (Philipper 2,9–11).
Wenn wir in Demut wachsen wollen, dann beginnt dieser Weg am Kreuz. Die Erniedrigung Christi zerstört jedes Ego und jede Überheblichkeit. Vor dem gekreuzigten Retter gibt es keinen Platz für Stolz. Und seine Erhöhung schenkt uns eine größere Herrlichkeit, für die es sich zu leben lohnt – eine weit größere als unsere eigene. Der Himmel erschallt von seinem Lobpreis, und eines Tages wird jedes Knie sich vor ihm beugen. Was für eine Verschwendung wäre es, unsere Talente für eine geringere Sache einzusetzen!
Demut bedeutet also nicht, zu verbergen, was du kannst, oder dich selbst zu verachten. Wahre Demut ist die Freude, weniger an sich selbst und mehr an Jesus zu denken.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Desiring God. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
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