Die Beziehung zwischen dem Alten und Neuen Testament

Definition:

Die Einheit und Vielfalt vom Alten und Neuen Testament ist eine Einladung, mehr von Gottes Wort zu erkennen.

Zusammenfassung:

Die Bibel ist ein Buch, das aus zwei Testamenten besteht. Das Alte Testament besteht aus 39 Büchern und entfaltet Gottes Versprechen an sein Volk Israel. In 27 Büchern erfüllt das Neue Testament in Christus alle Versprechen des Alten Testaments, für Juden und Nicht-Juden. Das Neue Testament beschreibt die Person und das Wirken Christi, indem es zeigt wie Er, Jesus, das Alte Testament erfüllt. Literarisch sind die beiden Testamente eine Einheit, die nach und nach offenbart wird. Moderne Leser müssen auf den textlichen, zusammenhängenden und kanonischen Horizont achten, um dieses eine Buch zu verstehen.

Auf dem Weg nach Emmaus begegnete Jesus nach seiner Auferstehung zwei seiner Jünger. Während sie gemeinsam miteinander gingen, tadelte er ihren Unglauben und erklärte ihnen, wie man die Bibel liest. Er sagte unter anderem: „Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er begann bei Mose und bei allen Propheten und legte ihnen in allen Schriften aus, was sich auf ihn bezieht“ (Lukas 24,26-27).

In diesen zwei Versen hat Lukas festgehalten, wie Jesus das Alte Testament interpretierte. Er las es nicht wie ein Buch, das nur für Israel gilt; er las es als ein einheitliches Zeugnis, das auf ihn selbst hinweist. Nach der Rückkehr in den Abendmahlssaal, sagte Jesus noch einmal: „… dass alles erfüllt werden muss, was im Gesetz Moses und in den Propheten und den Psalmen von mir geschrieben steht“ (Lukas 24,44).

Diesmal steckt Jesus die Grenzen des Alten Testaments ab und erklärt, dass jeder Abschnitt der hebräischen Bibel (das Gesetz, die Propheten und die Schriften) auf ihn hinweist.

Nach dem Vorbild Jesu werden wir in diesem Artikel drei Wege aufzeigen, wie die beiden Testamente zueinander in Beziehung stehen. Erstens werden wir beobachten, wie die gesamte Bibel eine literarische Einheit bildet, die sich nach und nach in der Heilsgeschichte offenbart. Zweitens werden wir betrachten, wie die Apostel die Vielfalt des Alten Testaments durch die Person Jesu Christi verstanden haben. Drittens werden wir uns drei Praktiken ansehen, die die Apostel anwandten, um das Alte Testament mit Christus und seiner Gemeinde in Verbindung zu bringen. Zum Schluss werden wir einige Gedanken teilen, wie Christen das Alte Testament lesen sollten.1

Die Einheit der Bibel – Nach und nach offenbart:

In 2. Timotheus 3,16 steht: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben…“ Ähnlich in 2. Petrus 1,21: „Denn niemals wurde eine Weissagung durch menschlichen Willen hervorgebracht, sondern vom Heiligen Geist getrieben haben die heiligen Menschen Gottes geredet“.

Zusammen verankern diese beiden Verse die Lehre von der göttlichen Inspiration. Die Bibel ist nicht das Produkt von Menschen, sondern von Gott. Daher stammt die Einheit der Bibel von einem göttlichen Autor. Diese göttliche Autorschaft wird viele der im folgenden betrachteten Sachzusammenhänge bekräftigen, genauso wie sie jede Sichtweise ablehnt, die Menschen erlaubt, über den biblischen Text zu urteilen.

Neben der göttlichen Urheberschaft finden wir in der Bibel auch eine zentrale Botschaft – oder besser gesagt, eine zentrale Person. Wie Jesus bestätigte: „… sie sind es, die von mir Zeugnis geben“ (Johannes 5,39). Obwohl Gott viel und auf verschiedene Weise durch die Propheten sprach, ging es letzten Endes immer um den Sohn Gottes (Hebräer 1,1). Und so weisen beide Testamente auf Jesus Christus hin.

Das Neue Testament beinhaltet die Erfüllung der Verheißungen des Alten Testaments und die Vollendung all dessen, was Gott im Gesetz und in den Propheten begonnen hat (Johannes 1,45). Diese gewaltige Aussage wird von Jesus unterstützt, der über sein Wirken sagte: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen sei, um das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen, um aufzulösen, sondern um zu erfüllen!“ (Matthäus 5,17). Ebenso schreibt Paulus: „Denn so viele Verheißungen Gottes es gibt — in ihm ist das Ja, und in ihm auch das Amen, Gott zum Lob durch uns!“ (2 Korinther 1,20). Weiter sagt Paulus, dass es Gottes Plan war und ist „…alles unter einem Haupt zusammenzufassen in dem Christus, sowohl was im Himmel als auch was auf Erden ist“(Epheser 1,10).

In der Tat finden wir in Gottes Wort einen klaren Zusammenhang zwischen Autorschaft und Absicht. Dieser Zusammenhang lässt sich jedoch am besten in Form einer biblischen Erzählung darstellen.2 Wie ein Theaterstück mit vielen Akten ist die Einheit der Bibel ein Drama, das sich im Laufe der Zeit entfaltet und eine lebendige und organische Einheit bildet3. Was Gott im Alten Testament offenbart, stimmt mit dem überein, was er im Neuen Testament erfüllt, aber letzteres ist eindeutig klarer, deutlicher und vollständiger. Diese organische Einheit ist notwendig, um die Einheit der Bibel zu erkennen und zu verstehen, wie sich das Neue Testament vom Alten Testament unterscheidet. Dieser Unterschied wird oft als Geheimnis und Erfüllung bezeichnet (siehe z.B. Römer 16,25; 1. Korinther 2,7; Epheser 1,9; 3,3; 4,9; 5,32), und wie die Apostel uns lehren, stehen die Testamente durch die Person und das Werk Jesu Christi selbst in Beziehung zueinander.

Die Vielfalt der Bibel- vereint in Christus:

„Was sagt die Heilige Schrift?“ Das ist die Frage, die Paulus in Römer 4,3 und Galater 4,30 stellt, als er versucht, das Verhältnis zwischen Gesetz und Evangelium zu erklären. Es ist auch unsere Frage, wenn wir versuchen, die beiden Testamente in Beziehung zu setzen: Was sagt uns die Heilige Schrift über sich selbst? Insbesondere, was sagt uns das Neue Testament über das Alte?

Ein Blick in das Neue Testament zeigt, dass es auf diese Frage mehrere Antworten gibt, Das Zeugnis der Apostel ist, dass das Gesetz und die Propheten in Christus ihr Ende finden (Lukas 24,26-27; 44-49; Johannes 1,45; 5,39). Zugegeben, diese Aussagen sind nicht unumstritten. Manche beschränken die Worte Jesu auf alttestamentliche Stellen, die direkt von ihm sprechen (z.B. 5. Mose 18,15-18; Psalm 110; Micha 5,2). Das würde bedeuten, dass andere Stellen nicht (direkt) von Christus sprechen. Viele, die die Absicht der Prophetische ernst nehmen, wollen Jesus nicht in Passagen zwingen, die nicht direkt von ihm handeln.

Im Gegensatz dazu interpretieren andere die Worte Jesu dahingehend, dass das Zeugnis des Alten Testaments, wenn es in seinem kanonischen Kontext richtig verstanden wird, zu ihm führt. Dieser Ansatz würdigt die literarische Einheit der Schrift und die Art und Weise, wie jede messianische Verheißung in einen narrativen Rahmen eingebettet ist. Einzelne Verse können nicht ohne den gesamten biblischen Kanon gelesen werden und andersherum. Es ist zwar richtig, dass nicht jeder Vers (einzeln betrachtet) von Jesus spricht, doch findet jeder Abschnitt – wenn er in seinem historischen und literarischen Kontext gelesen wird – sein Ende in Christus. Jim Hamilton drückt es wie folgt aus: „Das Alte Testament ist ein messianisches Dokument, das aus einer messianischen Perspektive geschrieben wurde, um eine messianische Hoffnung aufrechtzuerhalten“4. Dies scheint die beste Art zu sein, Jesu Worte an Stellen wie Lukas 24,27 und Johannes 5,39 zu lesen.

Die Worte Jesu über das Alte Testament werden durch viele andere Passagen bestätigt. Zum Beispiel spricht Jesus davon, dass Mose und Abraham von ihm geredet haben. Jesus sagt, Mose hat von mir „geschrieben.“ (Johannes 5,46) und „Abraham, euer Vater, frohlockte, dass er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich.“ (Johannes 8,56). In ähnlicher Weise zitiert Johannes den Propheten Jesaja: „Dies sprach Jesaja, als er seine Herrlichkeit sah und von ihm redete.“ (Johannes 12,41). Zusammen stellen diese Passagen ein einheitliches Zeugnis dar: Israels Propheten sahen einen Tag voraus, an dem Christus kommen und seinem Volk das Heil bringen würde.

John Sailhamer weist auf diesen Punkt hin, wenn er sagt, das Alte Testament sei „als Ausdruck der tief sitzenden messianischen Hoffnung einer kleinen Gruppe von gläubigen Propheten und ihrer Anhänger geschrieben worden5. Mit anderen Worten: Die messianische Botschaft des Alten Testaments hängt nicht davon ab, ob das Volk Israel versteht, was die Propheten sagten, oder nicht. Oft hat das Volk die Propheten abgelehnt! Vielmehr wird die messianische Bedeutung des Alten Testaments im Nachhinein gefunden, wenn die vom Geist geleiteten Apostel erklären, wie Christus alle prophetischen Erwartungen erfüllt hat6.

Die Glaubwürdigkeit dieser Behauptung, dass die Propheten von Christus sprachen, wird von Petrus bestätigt, wenn er sagt, dass die Propheten zukünftigen Generationen dienten, als sie von den Leiden Christi und seiner späteren Herrlichkeit sprachen (1 Petrus 1,10-12). Auch in Apostelgeschichte 2,31 sagt Petrus, dass David „die Auferstehung des Christus voraussah und davon sprach“. In Apostelgeschichte 2 wendet Petrus Psalm 16 auf die Auferstehung Christi an und argumentiert, dass David ein Prophet war, der wusste, dass Gott „ihm mit einem Eid geschworen hatte, dass er einen seiner Nachkommen auf seinen Thron setzen würde“ (Apostelgeschichte 2,30). Aus der Aussage des Petrus erfahren wir, wie er das Alte Testament gelesen hat. Ohne den historischen Kontext der Psalmen zu leugnen, deutete er Psalm 16 als Hinweis auf Christus.

Paulus versteht das Alte Testament in ähnlicher Weise. So sagt er zum Beispiel über die Verheißung Gottes an Abraham: „Es steht aber nicht allein um seinetwillen geschrieben, dass es ihm angerechnet worden ist, sondern auch um unsertwillen, denen es angerechnet werden soll…“ (Römer 3,23-24). Auch in 1. Korinther 10 wird von den Sünden Israels als Warnung für die Gemeinde des Neuen Bundes gesprochen: „…und sie wurden zur Warnung für uns aufgeschrieben, auf die das Ende der Weltzeiten gekommen ist“ (10,11). Auch in Römer 15,4 heißt es: „Denn alles, was zuvor geschrieben worden ist, wurde zu unserer Belehrung zuvor geschrieben, damit wir durch das Ausharren und den Trost der Schriften Hoffnung fassen.“ Und in 2. Timotheus 3,14 werden die alttestamentlichen Schriften als „heilige Schriften, die euch weise machen können zur Errettung durch den Glauben an Christus Jesus“ bezeichnet. Alles in allem ist Jesus Christus das Ziel des Alten Testaments, und ohne ihn ist das Alte Testament unvollständig.

Paulus sagt sogar, das Gesetz „gesetzmäßig“ zu lesen bedeutet, das Gesetz zu lesen, um Gnade im Evangelium zu finden (1Timotheus 1,8-11). Um es noch deutlicher zu sagen: Das Gesetz ohne Christus zu lesen, bedeutet, das Gesetz falsch zu lesen (vgl. Römer 3,20). Das bedeutet, dass das Alte Testament eine bleibende Bedeutung für Belehrung, Zurechtweisung, Überführung und Erziehung in Gerechtigkeit hat (2Timotheus 3,16-17), aber nur, wenn es zur Offenbarung Christi und seines vollendeten Werkes führt.

Wie bereits erwähnt, ist die Einheit der Offenbarung Gottes organisch, d. h. sie wächst mit der Zeit. Gleichzeitig ist sie eine persönliche Einheit – eine Einheit, die in der Person und dem Werk Jesu Christi zusammengefasst wird. So wird in Hebräer 1 die Beziehung zwischen den beiden Testamenten beschrieben. Die Propheten haben den Vätern den Sohn angekündigt; nun aber ist der Sohn gekommen, und er ist das bessere Wort (1,1-2). Als das fleischgewordene Wort ist Jesus derjenige, der all die Verheißungen Gottes erfüllt. Aus diesem Grund müssen wir lernen, die beiden Testamente zusammen zu lesen, wobei das Alte Testament das Neue Testament informiert, das Neue Testament das Alte Testament erleuchtet und beide in Christus zusammengehalten werden.

Praktiken des Neuen Testaments:

Das Neue Testament bedient sich auf vielfältige Weise des Alten Testaments und verweist auf dieses, hier werden wir drei markante Wege betrachten, die die Heilige Schrift miteinander verbinden: (1) Verheißung und Erfüllung, (2) die biblischen Bündnisse und (3) die Typologie7. Wie wir sehen werden, gibt es bei diesen Wegen eine Steigerung, die von einfacheren (Verheißung-Erfüllung) zu komplexeren (Typ-Antityp) führt.

Verheißung und Erfüllung

Erstens: Alles, was Gott im Alten Testament verheißen hat, wurde, wird und wird sich in Christus und seiner Gemeinde erfüllen. Wie Paulus in 2. Korinther 1,20 sagt: „Denn alle Verheißungen Gottes finden ihr Ja in [Christus]“. In ähnlicher Weise beschreibt Matthäus, wie Jesus die Vorbilder und Verheißungen des Alten Testaments „erfüllt“8. Das Evangelium selbst beruht auf dieser Struktur von Verheißung und Erfüllung. So berichtet Lukas in Apostelgeschichte 13,32-33 von der ersten Predigt des Paulus, in der dieser sagt: „Und wir verkündigen euch das Evangelium, dass Gott die den Vätern zuteilgewordene Verheißung an uns, ihren Kindern, erfüllt hat, indem er Jesus erweckte….“ Mit diesen Worten wird das Evangelium durch das Muster von Verheißung und Erfüllung definiert.

Wenn man das Evangelium als eine Botschaft mit einem bestimmten Inhalt betrachtet (siehe 1. Korinther 15,1-8), sagt Paulus in Galater 3,8, dass Gott „Abraham das Evangelium im Voraus verkündet hat“. Das Evangelium ist also nicht etwas, das im Neuen Testament als etwas Neues hinzukommt. Vielmehr hat Gott durch die Verheißungen, die Israel gegeben wurden, den Menschen, die durch die Verheißungen hindurch auf den verheißenen Sohn blickten, das Evangelium schon vorher verkündet. Das heißt, das Evangelium geht auf den Anfang zurück (1. Mose 3,15) und wird von verschiedenen Bündnissen getragen, die Gottes erste Verheißung weiterentwickeln (d.h. das Protoevangelium). Wenn wir also die Bibel zusammensetzen, sollten wir genau auf ihre innere Struktur von Verheißung und Erfüllung achten, denn in dieser biblischen Struktur finden wir das Fundament von Gottes Evangelium (vgl. Römer 1,1-7).

Der Alte und der Neue Bund

Zweitens ist die Bibel von einer Reihe, göttlich inspirierter Bündnisse umgeben9. Peter Gentry und Stephen Wellum bezeichnen die Bündnisse als das „Rückgrat“ der Bibel10. Michael Horton beschreibt die Bündnisse auch als die „architektonische Struktur“ der Schrift, die den „Kontext liefert, in dem wir die Einheit der Schrift inmitten ihrer bemerkenswerten Vielfalt erkennen “11.

In der Bibel finden wir zwischen fünf und sieben göttliche Bündnisse12. In den beiden Testamenten (was wiederum das lateinische Wort für „Bund“ ist) führen diese Bündnisse die biblische Geschichte fort und leiten uns zum neuen Bund. Im Allgemeinen können wir sagen, dass das Alte und das Neue Testament den durch Mose vermittelten alten Bund (vgl. 2. Korinther 3,14) und den durch Christus eingeweihten neuen Bund (Jeremia 31,31-34; Hebräer 8) zusammenführen13. Dennoch sind drei Fakten zu beachten.

Erstens ist der alte Bund noch in Kraft, wenn das Neue Testament beginnt. Das bedeutet, dass die Evangelien bis zum Tod und der Auferstehung Christi sowie der Ausgießung des Geistes an Pfingsten Ereignisse aufzeichnen, die unter dem alten Bund stattfanden. Dazu gehören das gesamte irdische Leben Jesu und die meisten Ereignisse in den Evangelien.

Zweitens: Der neue Bund wird im Alten Testament eingeführt. In Jeremia 31:31-34 wird der „neue Bund“ erwähnt, aber die Hoffnung auf einen neuen Bund geht auf Mose zurück. Im 5. Buch Mose spricht Mose von einem Tag, an dem Gott das Herz beschneiden wird (5. Mose 30,6). Auch Jesaja 53-55, Hesekiel 36-37, Joel 2 und Sacharja 9-14, um nur einige Stellen zu nennen, sprechen alle von Tatsachen, die sich im neuen Bund erfüllen werden. Das Neue Testament beschreibt also den Beginn des neuen Bundes, aber sein Inhalt wird im Alten Testament beschrieben.

Drittens: Die Beziehung zwischen dem alten und dem neuen Bund ist typologisch. Mit anderen Worten: Der neue Bund Christi ist die Substanz, auf die alle Bündnisse des Alten Testaments als Schatten verweisen (vgl. Kolosser 2,17; Hebräer 10,1). Wenn wir also auf die Bundesstrukturen der Bibel achten, hilft uns das, zu verstehen, wie die Bibel aufgebaut ist.

Typus und Antitypus

Drittens sind biblische Typen eine der wesentlichen Möglichkeiten, wie Gott sich im Laufe der Zeit offenbart hat. Wenn wir Typologie als „die Lehre von den Entsprechungen der Muster in der Heiligen Schrift“ definieren, dann sind Typen die historischen Personen, Ereignisse und Institutionen, die sich in der Geschichte des Bundes entwickeln und in Christus und seiner Kirche enden14. Jesus ist das Gegenbild, d.h. derjenige, der die früheren Muster des Alten Testaments erfüllt15. Es ist wichtig zu sehen, wie biblische Muster („Typen“) zu Gottes fortschreitender Offenbarung in der Heiligen Schrift beitragen. Hier sind also drei grundlegende Prinzipien der Typologie, die uns helfen zu erkennen, wie die Typen zur Beziehung zwischen den Testamenten beitragen.

Erstens ist die Typologie ein biblischer Begriff, der sich durch beide Testamente zieht. Im Neuen Testament wird das griechische Wort typos verwendet, um von einem Muster, einem Typ oder einem Beispiel aus dem Alten Testament zu sprechen. Der Grundgedanke ist, dass es Typen gibt, die etwas vormachen, dem ein späteres, größeres Gegenbild entspricht und es ablöst. Typos wird verwendet, um von Adam als Typus für Christus zu sprechen (Römer 5,14), von der Stiftshütte als Typus für den Himmel (Hebräer 8,5) und von Noahs Weg durch die Flut als Typus für die christliche Taufe (1. Petrus 3,20-21). Anhand dieser Beispiele können wir erkennen, wie die biblischen Autoren historische Typen verstehen, die den Weg für spätere Antitypen bereiten16.

Zweitens sind die biblischen Typen von Gott als prophetische Symbole inspiriert, die den Weg für Christus und seine Gemeinde bereiten. In seinem Handbuch über den neutestamentlichen Gebrauch des Alten Testaments stellt G. K. Beale fest, dass viele Typen „rückwirkend“ erkannt werden. Jeder alttestamentliche Typus, der von Gott inspiriert wurde, wurde geschaffen, um auf Christus und seine Gemeinde hinzuweisen. Mit anderen Worten: Typologie lässt sich am besten als ein Merkmal von Gottes vorhersehendem Wirken in der Erlösungsgeschichte verstehen17. In Israel setzte Gott verschiedene Typen ein, um den Weg für seinen Sohn zu bereiten. Anders ausgedrückt: Typologie ist zukunftsorientiert, und die verschiedenen Typen sind von Gott so angelegt, dass sie die Erlösung bis zu ihrer Vollendung in Christus vorbereiten

Drittens folgen die Typen dem Verlauf der biblischen Bündnisse. Die alttestamentlichen Typen weisen nicht nur in die Zukunft, sondern sie stehen und fallen auch mit der Bundesgeschichte, die in der Heiligen Schrift offenbart wird18. Genauer gesagt, besteht jede typologische Struktur (z. B. König, Opfer, Tempel) aus mehreren „Typen“. Negativ ausgedrückt: Typologie entsteht nicht durch oberflächliche Verbindungen zwischen einem Typus und seinem Antityp. Vielmehr ist das biblische Muster eine sich steigernde Verkettung von Personen, Orten, Ereignissen oder Institutionen, die letztlich ihre Fülle in Christus finden. Er ist die Substanz; die Typen sind die Schatten (vgl. Kolosser 2,17; Hebräer 10,1).

Typologische Strukturen ziehen sich also vom Gesetz über die Propheten bis hin zu Jesus Christus, und sie ergänzen und steigern sich im Verlauf der Geschichte Israels. Indem wir einen bestimmten Typus quer durch den Kanon verfolgen, entdecken wir, wie die Heilige Schrift durch eine Reihe typologischer Strukturen vereinheitlicht wird. Sicherlich schöpft die Typologie nicht die Art und Weise, wie die beiden Testamente in Beziehung zueinanderstehen, aus aber sie ist eine wichtige Art und Weise, wie das Alte und das Neue Testament zusammengehalten werden19.

Was der Leser verstehen sollte:

Letztendlich ist diese Einführung in die Einheit und Vielfalt des Alten und Neuen Testaments eine Einladung, mehr von Gottes Wort zu erkennen. So wie Philippus zu Nathanael sagte: „Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben, Jesus von Nazareth“, und ihn dann einlud, „zu kommen und den Herrn zu sehen“, als Nathanael zweifelte (Johannes 1,45-47), so lädt eine gründliche Betrachtung beider Testamente auch uns ein, zu kommen und mehr von Christus in der Bibel zu sehen. In der Tat werden viele Auslegungsschlachten um genau diese Frage geführt: Wie setzen wir die Bibel zusammen? Doch wie wir aus der Einladung des Philippus an Nathanael lernen, ist das Ziel der Auslegung beider Testamente nicht rein wissenschaftlich; es ist eine Einladung, Jesus, das fleischgewordene Wort, zu erkennen.

Auch wenn es unterschiedliche Meinungen darüber gibt, wie genau die beiden Testamente zusammenhängen, gibt es nur wenige Disziplinen, die gewinnbringender sind, als zu lernen, die Bibel nach ihren eigenen Bedingungen zu lesen, damit Gottes Wort uns zu Jesus führt. Wenn er das Scharnier ist, das die Heilige Schrift zusammenhält, bringt Jesus nicht nur alles ans Licht, was die Heilige Schrift enthält, sondern er hält auch Menschen zusammen, die durch verschiedene Auslegungsmethoden getrennt sein könnten. Auslegungsentscheidungen sind wichtig, aber Christus ist noch wichtiger. Denn er ist derjenige, durch den das Alte und das Neue Testament ihre perfekte Beziehung finden.

Fußnoten:

  1. Ein anderer Artikel über die Beziehung zwischen den beiden Testamenten könnte sich auf die Auslegungssysteme konzentrieren (z. B. Bundestheologie, Dispensationalismus, Neue Bundestheologie, progressiver Covenantalismus usw.). Dies ist jedoch nicht das Ziel dieses Artikels. Für repräsentative Ansichten über diese biblisch-theologischen Auslegungssysteme siehe Michael Horton, God of Promise: Introducing Covenant Theology (Grand Rapids: Baker, 2006); D. Jeffrey Bingham und Glenn R. Kreider (Hrsg.), Dispensationalism and the History of Redemption: A Developing and Diverse Tradition (Chicago: Moody, 2015); Tom Wells und Fred Zaspel, New Covenant Theology (Frederick, MD: New Covenant Media, 2002); Peter J. Gentry und Stephen Wellum, Kingdom through Covenant: A Biblical-Theological Understanding of the Covenants, 2nd Ed. (Wheaton, IL: Crossway, 2018). ↩︎
  2. Zur narrativen Einheit der Bibel, siehe Craig G. Bartholomew, Introducing Biblical Hermeneutics: A Comprehensive Framework for Hearing God in Scripture (Grand Rapids: Baker Academic, 2015), 51-84. ↩︎
  3. Geerhardus Vos, Biblical Theology (Carlisle, PA: Banner of Truth, 1975), 7. ↩︎
  4. James M. Hamilton, “The Skull Crushing Seed of the Woman: Inner-biblical Interpretation of Genesis 3:15,” SBJT 10.2 (Summer 2006): 30. ↩︎
  5. John Sailhamer, “The Messiah and the Hebrew Bible,” JETS 44 (2001): 23. Cited by Hamilton, “The Skull Crushing Seed of the Woman,” 44. ↩︎
  6. Zur Notwendigkeit der retrospektiven Lektüre siehe Gregory K. Beale, Handbook on the New Testament Use of the Old Testament: Exegesis and Interpretation (Grand Rapids: Baker Academic, 2012), 13-27. ↩︎
  7. Für andere Möglichkeiten, das Testament zu verknüpfen, siehe Sidney Greidanus, Preaching Christ from the Old Testament: A Contemporary Handbook (Grand Rapids: Eerdmans, 1999), 203-77, der sechs Wege auflistet, wie man vom Alten Testament zu Christus kommt. ↩︎
  8. Matthäus 1:22; 2:15, 17, 23; 3:15; 4:14; 5:17; 8:17; 12:17; 13:35; 21:4; 26:54, 56; 27:9. ↩︎
  9. Zum Bundescharakter der Bibel siehe Meredith G. Kline, The Structure of Biblical Authority (Eugene, OR: Wipf and Stock, 1989). ↩︎
  10. Peter J. Gentry and Stephen J. Wellum, God’s Kingdom through God’s Covenants (Wheaton, IL: Crossway, 2015), 17. ↩︎
  11. Gentry and Wellum (ibid.) cite Horton, God of Promise, 13. ↩︎
  12. Die Gesamtzahl der Bündnisse in der Heiligen Schrift umfasst die Bündnisse mit (1) Adam, (2) Noah, (3) Abraham, (4) Israel, (5) Levi, (6) David und (7) Christus. Es gibt eine Debatte über einen Bund mit Adam, der alternativ als Schöpfungsbund oder als Werkbund bezeichnet wird. Der Bund mit Levi ist eindeutig biblisch (Mal 2,1-9), wird aber oft und leider vernachlässigt. Technisch gesehen ist der Bund mit Noah kein „Erlösungsbund“. Er verspricht einer Welt, die unter Gottes Gericht steht, Bewahrung, so dass die anderen Bündnisse Erlösung bringen können. ↩︎
  13. Technisch gesehen spricht Paulus an der einzigen Stelle, an der der Begriff „alter Bund“ in der Schrift verwendet wird (2Kor 3,14), vom Sinai-Bund (vgl. Hebr 8,7.13). An einer anderen Stelle spricht Paulus von mehreren Bündnissen, d. h. von den „Bündnissen der Verheißung“ (Eph 2,12). ↩︎
  14. G. K. Beale, Handbook, 14, gibt diese ausführliche Definition der Typologie: „das Studium analoger Entsprechungen zwischen geoffenbarten Wahrheiten über Personen, Ereignisse, Institutionen und andere Dinge innerhalb des geschichtlichen Rahmens von Gottes besonderer Offenbarung, die, rückblickend betrachtet, prophetischer Natur sind und in ihrer Bedeutung eskalieren.“ ↩︎
  15. Zum Stellenwert des Bundes und der Christuszentriertheit in der Typologie siehe „What Designates a Valid Type? A Christotelic, Covenantal Proposal“. STR 5.1 (Sommer 2014): 3-26. ↩︎
  16. Für eine induktive Studie über das Wort typos siehe Richard M. Davidson, Typology in Scripture: A Study of Hermeneutical TYPOS Structures (Berrien Springs, MI: Andrews University Press, 1981). ↩︎
  17. Diese Aussage ist nicht unumstritten, aber siehe Brent E. Parker, „The Israel-Christ-Church Relationship,“ in Progressive Covenantalism: Charting a Course between Dispensational and Covenantal Theologies, ed. Stephen J. Wellum und Brent Parker (Nashville: B&H Academic, 2016), 47-52. ↩︎
  18. David Schrock, “From Beelines to Plotlines: Typology That Follows the Covenantal Topography of Scripture,” SBJT 21.1 (Spring 2017): 35–56. ↩︎
  19. Cf. Graeme Goldsworthy, Gospel-Centered Hermeneutics (Downers Grove, IL: InterVarsity Press, 2006), 251. ↩︎

Weitere Lektüre

  • Craig G. Bartholomew, Introducing Biblical Hermeneutics: A Comprehensive Framework for Hearing God in Scripture (Grand Rapids: Baker Academic, 2015).
  • Gregory K. Beale, Handbook on the New Testament Use of the Old Testament: Exegese und Auslegung (Grand Rapids: Baker Academic, 2012).
  • Edmund Clowney, Predigt und biblische Theologie (Grand Rapids: Eerdmans, 1961).
  • Richard M. Davidson, Typology in Scripture: A Study of Hermeneutical TYPOS Structures (Berrien Springs, MI: Andrews University Press, 1981).
  • John S. Feinberg (Hrsg.), Kontinuität und Diskontinuität: Perspectives on the Relationship between the Old and New Testaments (Westchester, IL: Crossway, 1988).
  • Peter J. Gentry und Stephen J. Wellum, God’s Kingdom through God’s Covenants (Wheaton, IL: Crossway, 2015).
  • Graeme Goldsworthy, Evangeliumszentrierte Hermeneutik (Downers Grove, IL: InterVarsity Press, 2006).
  • Sidney Greidanus, Preaching Christ from the Old Testament: A Contemporary Handbook (Grand Rapids: Eerdmans, 1999), bes. 203-77
  • Meredith G. Kline, Die Struktur der biblischen Autorität (Eugene, OR: Wipf and Stock, 1989).
  • Richard Lints, Das Gewebe der Theologie: Ein Prolegomenon zur evangelikalen Theologie (Grand Rapids: Eerdmans, 1993).
  • David Schrock, „Von Beelines zu Plotlines: Typology That Follows the Covenantal Topography of Scripture“, The Southern Baptist Journal of Theology 1 (Spring 2017): 35-56.
  • Geerhardus Vos, Biblische Theologie (Carlisle, PA: Banner of Truth, 1975).

Hinweis zur Lizenz und Übersetzung:
Dies ist eine Übersetzung des Originalwerks von David Schrock. Die Veröffentlichung erfolgt unter der freien Lizenz CC BY-SA 4.0. Das bedeutet, dass der Text unter den gleichen Bedingungen weiterverwendet werden darf, sofern die ursprüngliche Quelle genannt und die Lizenz beibehalten wird. Die Veröffentlichung dieser Übersetzung bedeutet jedoch nicht, dass der Autor sie ausdrücklich billigt oder unterstützt.

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