Ein biblisches Verständnis von Evangelisation

Gesunde Gemeinden zeichnen sich durch Auslegungspredigt und evangeliumsgemäße Lehre aus.
Doch auch das Gegenteil trifft zu: Gemeinden, die es versäumen, die Bibel treu zu lehren, sind geistlich krank.

Wie sieht eine ungesunde Gemeinde aus? Es ist eine Gemeinde, in der die Predigten oft in Klischees und Wiederholungen abgleiten. Noch schlimmer: Sie werden moralistisch und ichbezogen, und das Evangelium wird zu einer Art spiritueller „Selbsthilfe“ umgedeutet. Bekehrung wird als menschlicher Entschluss verstanden. Und in unterschiedlichem Ausmaß – von bedenklich bis katastrophal – ist die Gemeindekultur nicht mehr von der säkularen Kultur der Umgebung zu unterscheiden.

Solche Gemeinden verkündigen – gelinde gesagt – nicht die wunderbare Botschaft der Errettung in Jesus Christus. Deshalb braucht jede Gemeinde ein biblisches Verständnis von Evangelisation.

Einerseits: Wenn unser Denken von dem geprägt ist, was die Bibel über Gott und sein Handeln lehrt, ebenso wie über das Evangelium und das tiefste Bedürfnis des sündigen Menschen, dann wird sich daraus in der Regel auch ein richtiges Verständnis von Evangelisation ergeben. Wir werden Evangelisation in erster Linie fördern, indem wir das Evangelium selbst lehren und darüber nachsinnen – nicht durch das Erlernen bestimmter Methoden zur Weitergabe der Botschaft.

Ich bin immer wieder ermutigt, wie neue Christen instinktiv die Gnade ihrer Errettung erkennen. Vielleicht hast du in den letzten Monaten Zeugnisse gehört, in denen bekannt wurde, dass die Bekehrung das Werk Gottes ist (Eph 2:8–9): „Ich war völlig verloren in der Sünde – aber Gott!“

Andererseits: Wenn das, was die Bibel über Gottes Wirken in der Bekehrung sagt, in unseren Gemeinden vernachlässigt wird, dann wird Evangelisation zu einem menschlichen Versuch, irgendwie ein Lippenbekenntnis hervorzubringen. Ein Anzeichen dafür, dass eine Gemeinde kein biblisches Verständnis von Bekehrung und Evangelisation hat, ist ein deutliches Missverhältnis zwischen der Zahl der Mitglieder und der tatsächlichen Teilnahme am Gemeindeleben. Eine solche Gemeinde sollte innehalten und sich fragen: Warum führt unsere Evangelisation zu so vielen Mitgliedern, die wir nie sehen, die sich aber dennoch ihrer Errettung sicher fühlen? Was haben wir ihnen darüber vermittelt, was es bedeutet, ein Jünger Christi zu sein? Was haben wir ihnen über Gott, Sünde und die Welt gelehrt?

Ein biblisches Verständnis von Evangelisation ist für alle Mitglieder der Gemeinde entscheidend – insbesondere aber für die Leiter, die die Verantwortung für die Lehre tragen.

Die Bibel macht deutlich, dass Christen dazu berufen sind, sich um Ungläubige zu kümmern, sie inständig zu bitten und sogar zu überreden (2. Korinther 5:11). Doch all das soll geschehen, indem wir „die Wahrheit offen darlegen“ – das heißt: „wir lehnen alles ab, was man aus Scham verschweigen muss“ (2. Korinther 4:2).

Mit anderen Worten: Evangelisation bedeutet nicht, alles zu tun, um jemanden zu einer Entscheidung für Jesus zu bewegen – geschweige denn, unsere Überzeugungen aufzuzwingen. Der Versuch, eine geistliche Neugeburt zu erzwingen, ist ebenso wirkungslos wie Ezechiels Versuch, tote, vertrocknete Gebeine zusammenzunähen, um daraus einen lebendigen Menschen zu machen (Hesekiel 37) – oder so aussichtslos wie der Versuch des Nikodemus, sich selbst eine neue Geburt im Geist zu geben (Johannes 3).

Zudem ist Evangelisation nicht dasselbe wie das Weitergeben eines persönlichen Zeugnisses. Es ist auch nicht identisch mit einer vernunftgeleiteten Verteidigung des Glaubens (Apologetik). Und selbst wohltätige Werke – so wichtig sie auch sind – sind nicht gleichbedeutend mit Evangelisation, auch wenn all diese Dinge die Evangelisation begleiten können. Evangelisation darf auch nicht mit deren Ergebnissen verwechselt werden – als wäre Evangelisation nur dann „erfolgreich“, wenn eine Bekehrung folgt.

Nein, Evangelisation bedeutet, Worte zu sprechen. Es bedeutet, eine Botschaft weiterzugeben. Es bedeutet, Gott treu zu sein, indem wir die gute Nachricht verkünden: dass Christus durch seinen Tod und seine Auferstehung den Weg bereitet hat, wie ein heiliger Gott und sündige Menschen miteinander versöhnt werden können. Gott selbst wirkt wahre Bekehrung, wenn wir diese gute Nachricht weitergeben (vgl. Johannes 1:13; Apostelgeschichte 18:9–10). Kurz gesagt: Evangelisation bedeutet, das Evangelium frei zu verkünden – und darauf zu vertrauen, dass Gott Menschen bekehrt (vgl. Apostelgeschichte 16:14). „Die Rettung kommt von dem HERRN“ (Jona 2:10; vgl. Johannes 1:12–13).

Wenn ich evangelisiere, versuche ich, den Menschen drei Dinge über die Entscheidung zu vermitteln, die sie in Bezug auf das Evangelium treffen müssen:

  1. Die Entscheidung ist mit einem Preis verbunden – deshalb muss sie gut überlegt sein (vgl. Lukas 9:62).
  2. Die Entscheidung ist dringend – deshalb sollte sie bald getroffen werden (vgl. Lukas 12:20).
  3. Die Entscheidung ist lohnend – deshalb wirst du sie treffen wollen (vgl. Johannes 10:10).

Das ist die Botschaft, die wir persönlich an unsere Familie und Freunde weitergeben müssen. Und das ist auch die Botschaft, die wir als ganze Gemeinde gemeinsam verkünden sollen.

Es gibt einige hervorragende englische Bücher zum Thema Evangelisation. Wer über die enge Verbindung zwischen unserem Evangeliumsverständnis und den Methoden der Evangelisation nachdenken möchte, dem empfehle ich Tell the Truth von Will Metzger, The Invitation System und Revival and Revivalism von Iain Murray sowie mein eigenes Buch The Gospel and Personal Evangelism.

Ein wichtiges Kennzeichen einer gesunden Gemeinde ist daher ein biblisches Verständnis und eine biblische Praxis der Evangelisation. Wahres Wachstum kommt allein von Gott – und durch sein Volk.


Dieser Beitrag erschien zuerst bei 9marks. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
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