Ist dein Jesus zu klein?

Ich erinnere mich an den bemerkenswerten Erfolg eines kleinen Buches von J.B. Phillips mit dem Titel „Your God Is Too Small“ („Dein Gott ist zu klein“). Es war eine kraftvolle Herausforderung, ein tieferes Verständnis der Natur und des Wesens Gottes zu suchen. Offensichtlich traf es einen Nerv, denn unzählige Menschen verschlangen das Buch in dem Bestreben, ihr Wissen um die Majestät Gottes zu erweitern.

Ich wünschte, jemand könnte eine ähnliche Reaktion in Bezug auf Christus hervorrufen. In meinen Jahren der Verlagsarbeit und der Erstellung von Lehrmaterialien für Christen hat mich etwas Eigenartiges verwundert. Ich habe festgestellt, dass Bücher über Jesus sich in christlichen Buchhandlungen nicht gut verkaufen. Ich bin mir nicht sicher, warum das so ist. Vielleicht hängt es mit der weitverbreiteten Annahme zusammen, dass wir bereits viel über Jesus wissen, oder mit der Vorstellung, dass es vielleicht etwas Unfrommes an sich hat, sich zu tiefgehend mit der Person und dem Werk Christi zu beschäftigen. Möglicherweise befürchten manche, dass eine solche Studie den einfachen Glauben, an dem sie festhalten, erschüttern könnte.

Meine Lehrtätigkeit erstreckt sich über viele Jahrzehnte. Und obwohl ich in formalen Kontexten wie Hochschulen und Seminaren unterrichtet habe, habe ich den größten Teil meiner Zeit der Erwachsenenbildung gewidmet. Dieser Schwerpunkt begann in den sechziger Jahren in Philadelphia, als mich ein Pastor der Gemeinde, die meine Familie besuchte, bat, einen Erwachsenen-Kurs über die Person und das Werk Christi zu unterrichten. Meine Klasse bestand aus Hausfrauen, Fachleuten, Geschäftsleuten und anderen. Als wir in das Material einstiegen, stellte ich eine leidenschaftlichere Reaktion auf den Inhalt meines Unterrichts fest als je zuvor im akademischen Klassenzimmer. Diese Menschen waren nie mit einer ernsthaften theologischen Lehre konfrontiert worden, die über das hinausging, was sie in der Sonntagsschule erlebt hatten. Diese Klasse war es, die eine tiefe Sehnsucht in meiner Seele entfachte und mich vollständig in das Werk der Erwachsenenbildung katapultierte.

Sanfter Jesus, sanftmütig und mild 

Es scheint, als gäbe es ein Problem mit unserem Verständnis von Jesus. Wir sprechen in gefühlvollen Tönen von „sanftem Jesus, sanftmütig und mild“ und von seiner „Süße“, doch die Tiefe und der Reichtum seines Wesens bleiben uns oft verborgen. Nun liebe ich es, von der Süße Christi zu sprechen. Es gibt nichts Falsches an dieser Sprache. Aber wir müssen verstehen, was es ist, das ihn für die Gläubigen so süß macht.

Wenn wir Jesus als die zweite Person der Dreieinigkeit betrachten, als das ewige Logos, das Mensch wurde, erkennen wir sofort, dass jede Untersuchung seiner Person uns in die tiefen Gewässer der Gotteserkenntnis führt. Die Schrift sagt über Jesus in Hebräer 1:1-4:

„Früher hat Gott viele Male und auf vielfältige Weise durch Propheten zu unseren Vorfahren gesprochen. Jetzt, am Ende dieser Zeiten, sprach er durch den Sohn zu uns. Ihn hat er zum Erben über alles eingesetzt, ihn, durch den er das ganze Universum erschuf. Seine Herrlichkeit leuchtet aus ihm, und sein Wesen ist ihm völlig aufgeprägt. Durch die Macht seines Wortes trägt er das All. Und nachdem er die Reinigung von den Sünden bewirkt hatte, hat er den Ehrenplatz im Himmel eingenommen, den Platz an der rechten Seite der höchsten Majestät. Er steht so hoch über den Engeln, wie der Sohnesname, den er erbte, jeden Engelsnamen übertrifft.

Hier beschreibt der Hebräerbrief Christus als „die Ausstrahlung der Herrlichkeit Gottes und das Abbild seines Wesens“. Stellen wir uns jemanden vor, der nicht nur die Herrlichkeit Gottes reflektiert, wie es Mose nach seiner Begegnung mit Gott auf dem Berg Sinai tat, sondern der selbst die Helligkeit der göttlichen Herrlichkeit ist.

Die wahre Herrlichkeit Gottes 

Das biblische Konzept der göttlichen Herrlichkeit wird im Alten Testament immer wieder betont. Nichts kann mit jener Herrlichkeit verglichen werden, die dem göttlichen Wesen eigen ist und die er über die Himmel erhoben hat. Dies ist die Herrlichkeit, die in der Theophanie der Schechina sichtbar wurde, der leuchtenden Wolke, die die reine Strahlkraft seines Wesens offenbarte. Dies ist die Herrlichkeit dessen, der in unzugänglichem Licht wohnt, der ein verzehrendes Feuer ist. Dies ist die Herrlichkeit, die Paulus auf dem Weg nach Damaskus blendete. Die Herrlichkeit Christi gehört zu seiner Gottheit, wie es in der alten Hymne Gloria Patri, die von den Trinitariern gegen die Häresie des Arianismus verfasst wurde, bekannt wird: 

„Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Athanasius erklärte in seinem Kommentar zu Hebräer 1: „Wer sieht nicht, dass die Strahlkraft nicht vom Licht getrennt werden kann, sondern dass sie ihm wesensgemäß zugehört und mit ihm existiert und nicht nach ihm erzeugt wird?“ Oder wie Ambrosius verkündete:

„Denke nicht, dass es jemals einen Moment gab, in dem Gott ohne Weisheit war, ebenso wenig wie es je eine Zeit gab, in der Licht ohne Strahlkraft war. Denn wo Licht ist, da ist auch Strahlkraft, und wo Strahlkraft ist, da ist auch Licht. Denn der Sohn ist die Strahlkraft des Lichts des Vaters, mit ihm ewig wegen der Ewigkeit seiner Macht, untrennbar durch die Einheit der Helligkeit.“

Die wahre Offenbarung Gottes 

Aber was bedeutet es, dass Christus „das Abbild seines Wesens“ ist? Sind wir nicht alle nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, und spricht dieser Ausdruck nicht einfach davon, dass Jesus der vollkommene Mensch ist, in dem das imago Dei nicht befleckt oder verdorben wurde? Ich denke, der Text bedeutet mehr als das. Philip Hughes sagt:

„Das griechische Wort, das hier mit ‚Abbild‘ übersetzt wird, bezeichnet ein eingeprägtes Zeichen oder den Eindruck, den eine Prägemaschine oder ein Siegel hinterlässt, wie zum Beispiel auf einer Münze. Das griechische Wort für ‚Wesen‘ bezeichnet das eigentliche Wesen Gottes. Die hauptsächliche Aussage ist die der genauen Übereinstimmung. Diese Übereinstimmung beinhaltet nicht nur eine Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater, sondern insbesondere eine wahre und zuverlässige Offenbarung oder Darstellung des Vaters durch den Sohn.“

Wir erinnern uns an die Bitte, die Philippus an Jesus richtete: „Herr, zeige uns den Vater, so genügt es uns“ (Johannes 14,8). Wir sollten über die Antwort Jesu in Johannes 14:9–11 nachsinnen:

„So lange bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeige uns den Vater? Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir ist? Die Worte, die ich zu euch rede, rede ich nicht aus mir selbst; aber der Vater, der in mir wohnt, der tut seine Werke. Glaubt mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir ist; wenn nicht, so glaubt um der Werke willen!“

Wer die ganze Fülle der Süße Christi schmecken und das volle Maß seiner Herrlichkeit erfassen will, muss bereit sein, das Streben nach der Erkenntnis Christi zur höchsten und vorrangigen Aufgabe seines Lebens zu machen. Dieses Streben darf weder durch bloße Gefühlsduselei noch durch die Wechselfälle der Zeit behindert werden.


Dieser Beitrag erschien zuerst bei Desiring God. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
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