In Kreisen der Gefängnisseelsorge wird oft eine Geschichte erzählt, die viel über den Zustand der Vaterschaft in unserer Zeit aussagt. Einmal entschied sich eine Gruppe, anlässlich des Muttertags Grußkarten für Gefangene bereitzustellen. Die Resonanz war überwältigend – fast alle Insassen nahmen die Gelegenheit wahr, eine Karte für ihre Mütter zu unterschreiben und zu verschicken.
Angespornt vom Erfolg, wiederholte die Gruppe die Aktion zum Vatertag.
Kaum jemand machte mit.
Was sagt diese Geschichte aus? Das hängt davon ab, wen man fragt. Doch im Kern offenbart sie das Problem der Vaterlosigkeit – sowohl in Form der Männer, die im Leben ihrer Kinder fehlen (ein entscheidender Risikofaktor für spätere Inhaftierung und viele andere soziale Probleme), als auch in der Form einer Kultur, die zunehmend die Notwendigkeit von Vätern infrage stellt. Es ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits sind Väter oft nicht präsent, andererseits wird ihre Rolle gesellschaftlich immer mehr abgewertet. Und mitten in diesem Spannungsfeld stehen Männer – junge wie ältere –, die sich in die Vaterschaft begeben und sich fragen, was es in dieser Zeit überhaupt bedeutet, Vater zu sein.
Vaterschaft erweitert deinen Einflussbereich
Väter haben einen enormen Einfluss – sowohl direkt als auch indirekt. Kinder sind darauf ausgelegt, auf die Prägung durch ihren Vater zu reagieren. Ein Mann kann in seinem persönlichen oder beruflichen Leben völlig unbedeutend erscheinen, doch in dem Moment, in dem er Vater wird, ändert sich das schlagartig. Für Kinder spielt es keine Rolle, wie einflussreich ihr Vater außerhalb des Hauses ist – für sie ist er der bedeutendste Mensch der Welt. Das gilt unabhängig von seinen Absichten oder sogar seiner tatsächlichen Anwesenheit.
Mir war lange nicht bewusst, wie sehr die Abwesenheit meines eigenen Vaters mich geprägt hat – bis ich selbst Vater wurde. In diesem Moment wurde mir klar, wie tief sein Fehlen mein Leben beeinflusst hatte. Und plötzlich erkannte ich, dass sein Einfluss – selbst in seiner Abwesenheit – unausweichlich war. Diese Erkenntnis ist für neue Väter entscheidend. Im Englischen gibt es das Sprichwort: “much more is ‘caught’ than taught” (Es wird mehr aufgenommen als gelehrt).“ Mit anderen Worten: Deine Kinder lernen nicht nur bewusst das, was du ihnen beibringst. Vielmehr nehmen sie eine Vielzahl von Dingen auf, von denen du gar nicht merkst, dass du sie ihnen vermittelst – darunter deine Gestik, dein Humor, dein Temperament und deine Gewohnheiten. Sogar deine bloße Anwesenheit (oder Abwesenheit) hinterlässt eine Spur. Diese Wahrheit wird auch in den Sprüchen Salomos deutlich: „Mein Sohn, gib mir dein Herz, und lass deine Augen an meinen Wegen Gefallen haben“ (Sprüche 23,26).
Vergiss nie die Kinderaugen, die dich beobachten!
Vaterschaft verstärkt deine Abhängigkeit
Dieses Wissen sollte keine lähmende Angst auslösen, sondern zu einer demütigen Haltung des Vertrauens führen. Vaterschaft ist der große Gleichmacher: Jeder Vater weiß, dass er der Aufgabe nicht vollständig gewachsen ist. Wir alle haben Eigenschaften, von denen wir hoffen, dass unsere Kinder sie nicht übernehmen – aber wir wissen, dass sie es dennoch tun werden. Unsere einzige Hoffnung liegt in der Gnade Gottes. Wir sind völlig auf den Herrn angewiesen, damit er unseren positiven Einfluss verstärkt und den negativen minimiert. Unser Gebet lautet stets: „Herr, gib meinen Kindern meinen Glauben, nicht meine Fehler.“ Doch wir wissen, dass es so nicht funktioniert. Unser negativer Einfluss ist real – von der sündigen Natur, die wir weitergeben, bis hin zu den Sünden, die wir vorleben. Deshalb bleibt unsere einzige Hoffnung das Kreuz.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Desiring God. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
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