Was ist Gottes Wille für dein Leben? Diese Frage scheint von einem geheimnisvollen Schleier umgeben zu sein. Gottes Wille kann uns schwer fassbar erscheinen – mehrdeutig, kaum zu erkennen, ein Land ohne Karte.
Ist dieser Job der richtige für mich? Will Gott, dass wir heiraten? Soll unsere Familie in die Stadt ziehen oder in die Vororte? Führt Gott mich in den vollzeitlichen Dienst?
Solche Fragen treiben uns zur Suche nach Klarheit – im Gebet, im Nachdenken, mit Pro-und-Contra-Listen, oft begleitet von Zweifeln. Was ist dein Wille, o Gott? Und wie finde ich ihn? Je nachdem, wie offen du für charismatische Impulse bist, tust du vielleicht noch mehr: Du wartest auf Eindrücke, liest die Zeichen der Umstände, legst ein Vlies aus. Ich selbst habe einmal eine Münze geworfen.
Verständlicherweise ringen wir mit solchen Entscheidungen. Welchen Beruf wir ergreifen, wen wir heiraten, wo wir wohnen – das alles verändert den Lauf unseres Lebens. Doch gerade wegen ihrer großen Bedeutung können uns diese Entscheidungen auch von dem ablenken, wie die Schrift vorrangig über Gottes Willen spricht. Wie Wanderer, die bei jeder Weggabelung den Pfad prüfen, aber ihren Kompass aus den Augen verlieren, können wir leicht die grundsätzliche Richtung verlieren, wenn wir uns zu sehr auf einzelne Entscheidungen fixieren.
Gott sei Dank haben wir inmitten all unserer schwersten Entscheidungen einen Kompass:
Unser Vater im Himmel! Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden. (Matthäus 6,9–10)
Dieses vertraute Gebet liefert vielleicht nicht die Richtung, die wir uns wünschen – ein unmissverständliches Drängen, ein Flüstern vom Himmel – aber es gibt uns die Richtung, die wir am meisten brauchen.
Dein Wille geschehe
„Dein Wille geschehe“ ist ein Gebet mit mehreren Ebenen – eine vielschichtige Bitte.
Auf einer Ebene bitten wir: „Dein Wille geschehe auf Erden.“ In einem umfassenden Sinn geht es in diesem Gebet um nichts Geringeres als eine verwandelte, verklärte Erde – eine Erde, auf der Gottes offenbarter Wille nicht länger ignoriert, vernachlässigt oder verachtet wird, sondern mit derselben eifrigen Hingabe und derselben himmlischen Freude getan wird, wie sein Wille im Himmel geschieht (vgl. Matthäus 6:10).
Auf einer anderen Ebene bitten wir: „Dein Wille geschehe – nicht meiner.“ Damit folgen wir dem Beispiel unseres Herrn Jesus, der uns nicht nur lehrte, diese Worte zu beten, sondern sie selbst gebetet hat: „Mein Vater, wenn dieser Kelch nicht an mir vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille“ (Matthäus 26:42). Wir, die Jesus nachfolgen, werden der Qual dieses Moments nie nahekommen; wie Petrus, Jakobus und Johannes bleiben wir immer am Rand von Gethsemane stehen. Doch auch in unseren eigenen Stunden der Angst und Anfechtung ist „Dein Wille geschehe“ ein Öffnen der Hände, ein Beugen der Knie, ein Neigen des Hauptes vor Gottes schmerzhaften und doch vollkommenen Plänen.
Und schließlich, auf einer dritten Ebene, bitten wir: „Dein Wille geschehe in mir.“ So weitreichend wie die Erde und so hoch wie der Himmel kehrt das Gebet dennoch zu uns zurück und fordert uns auf, nicht nur dafür zu beten, dass Gottes Wille überall „da draußen“ geschieht, sondern auch überall „hier drinnen“ – heute, jetzt, in jedem Bereich meines Lebens.
Damit sind wir wieder bei unserer Ausgangsfrage: Was ist Gottes Wille für mein Leben, und wie kann ich darin gehen? Ausgehend von der Bergpredigt und darüber hinaus lässt sich eine einfache Antwort formulieren:
Tu den Willen, den du kennst.
Erkenne den Willen, den du noch nicht kennst.
Tu den Willen, den du kennst
Wir werden gleich sehen, dass die Heilige Schrift uns durchaus Wegweisung gibt, wie wir Gottes Willen in unklaren Situationen erkennen können. Doch ebenso zeigt uns die Bibel eine grundlegende Voraussetzung für solche Unterscheidung: aufmerksamer Gehorsam gegenüber dem, was Gott bereits offenbart hat. Den bekannten Willen Gottes zu tun, ist die Voraussetzung dafür, den unbekannten Willen zu erkennen.
„Den bekannten Willen zu tun, ist die Voraussetzung dafür, den unbekannten zu erkennen.“
Und nicht nur das – es ist weit wichtiger. Denk an die Worte Jesu im Kapitel nach dem Vaterunser: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! wird in das Reich der Himmel eingehen, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut“ (Matthäus 7:21). Der Himmel hängt davon ab, ob wir Gottes Willen tun. Und dieser Wille ist kein verborgenes Geheimnis, kein leises Flüstern im Verborgenen. Drei Verse später sagt Jesus: „Jeder nun, der diese meine Worte hört und sie tut, den will ich mit einem klugen Mann vergleichen …“ (Matthäus 7:24). In seinem grundlegendsten und wichtigsten Sinn finden wir Gottes Willen in Gottes Wort.
Stell dir einen Mann vor, der nach der Bergpredigt zu seinem Freund sagt: „Das war alles schön und gut, aber ich wünschte, ich wüsste Gottes Willen für mein Leben.“ Sein Freund könnte völlig zurecht antworten: „Hast du nicht zugehört? Gott hat dir gerade seinen Willen für dein Leben gezeigt! Lebe arm im Geist, sanftmütig und friedfertig. Lass dein Licht leuchten. Töte Zorn, Lust, Lüge und Vergeltung. Bete, gib und faste im Verborgenen. Sorge dich nicht; suche das Reich. Geh durch die enge Pforte. Bau dein Haus auf den Felsen. Das ist Gottes Wille für dein Leben.“
Wie oft sind wir wie dieser Mann auf der Suche nach Gottes Willen – und fragen nach dem nächsten Job, während wir die gottgewollte Treue in unserem jetzigen Job vernachlässigen? Wie viele fragen nach dem richtigen Ehepartner, ohne in der Zwischenzeit ein biblisches Verständnis von Ehelosigkeit zu leben? Wie viele bitten Gott um Wegweisung für den Wohnort, übersehen dabei aber die Nächstenliebe und den ortsgebundenen Gehorsam, den die Schrift so klar fordert?
Es ist unendlich viel besser, diesen klaren und stets zugänglichen Willen zu kennen und zu befolgen, als die größte Einsicht in konkrete Situationen zu haben und dabei diesen Willen zu vernachlässigen. Oder – um es mit Paulus zu sagen: Wenn wir die richtigen Entscheidungen erkennen, alle Eindrücke empfangen, jede Führung erleben und die besten Wege wählen, aber die klaren Worte Gottes, die wir längst kennen, nicht befolgen – dann sind wir nichts (vgl. 1. Korinther 13:1-3).
Erkenne den Willen, den du (noch) nicht kennst
Gleichzeitig fordern uns dieselben Schriften, die Gottes klaren Willen offenbaren, auch dazu auf, nach seinem verborgenen Willen zu suchen. „Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist“, schreibt Paulus den Ephesern (Epheser 5:10). Und an die Römer:
„Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“ (Römer 12,2).
Und hier wird deutlich, warum das Hören und Tun des bekannten Willens die Voraussetzung dafür ist, den unbekannten Willen zu erkennen. Eine richtige Unterscheidung hängt nicht nur von einem klaren oder intelligenten Verstand ab, sondern von einem verwandelten Sinn – einem Denken, das, wie John Piper es ausdrückt, „so geformt und regiert ist vom offenbarten Willen Gottes in der Bibel, dass es alle relevanten Faktoren mit dem Sinn Christi beurteilt“.
Wir sehen diesen Prozess der Unterscheidung sogar im Leben Jesu selbst. In Lukas 4 etwa trifft Jesus die Entscheidung, Kapernaum zu verlassen, um „auch den anderen Städten das Evangelium vom Reich Gottes zu verkündigen“ (Lukas 4:43). Diese Entscheidung war alles andere als einfach: Die Menschen in Kapernaum wollten, dass er bleibt (Lukas 4:42), ebenso seine Jünger (Markus 1:36–37). Doch Jesus wusste, dass es der Wille seines Vaters war, die frohe Botschaft weit zu verbreiten. Und so zog er sich an einen einsamen Ort zurück (Lukas 4:42), um den klaren Willen seines Vaters in einer unklaren Situation geduldig und im Gebet anzuwenden.
Der Akzent liegt dabei auf geduldig und im Gebet. Geistliche Unterscheidung geschieht selten leicht oder schnell. Die maßgeblichen Aussagen der Schrift zu sammeln, zu verstehen, wie sie auf die konkrete Lage anzuwenden sind, alle relevanten Faktoren und Ratschläge weise abzuwägen, durchgehend um Weisheit zu bitten und in der Zwischenzeit im Gehorsam zu leben – all das ist kein kleiner Auftrag. Doch genau das ist Gottes gewöhnlicher Weg, uns in den unzähligen Momenten zu führen, in denen wir vor mehreren Wegen stehen – und keiner mit einem Schild versehen ist: „Hier lang.“
In einer Welt ohne Karten ist unser bester Kompass ein zunehmend christusähnlicher Wille – gespeist von einem zunehmend erneuerten Sinn.
Vom Geist geleitet?
An diesem Punkt möchten manche zu Recht noch etwas hinzufügen: „Und was ist mit der Leitung durch den Heiligen Geist? Was ist mit Träumen, Visionen und inneren Eindrücken?“ Drei Antworten seien dazu gegeben.
Erstens: Es stimmt – zuweilen führt der Geist Gottes seine Kinder auf übernatürliche Weise. Man denke an Jesus, der nach seiner Taufe „vom Geist in die Wüste getrieben“ wurde (Markus 1:12). Oder noch deutlicher: wie Gott Petrus durch eine Vision zu Kornelius führte und später Paulus und sein Team nach Philippi (Apostelgeschichte 10:9–16; 16:9–10). So kann der Geist auch uns führen.
Doch solche außergewöhnlichen Führungen geschehen stets im Rahmen eines Lebens, das geprägt ist von Gehorsam und Unterscheidung. Der Geist begegnete Jesus bei seiner Taufe (Markus 1:9–11), Petrus im Gebet (Apostelgeschichte 10:9), Paulus auf Missionsreise (Apostelgeschichte 16:6–8) – mit anderen Worten: Er begegnete ihnen mitten in ihrem aktiven, verstandesgeleiteten Gehorsam. Wenn auch wir nicht bereit sind, den gewöhnlichen Wegen des Geistes zu folgen, dürfen wir nicht erwarten, dass er uns außergewöhnlich führt – noch weniger, dass wir diese Wege erkennen oder darin richtig gehen könnten.
Zweitens: Solche Geisteswirkungen können sogar gefährlich werden, wenn wir uns zu sehr auf sie verlassen. Diejenigen, die in Matthäus 7 „Herr, Herr“ rufen, mangelte es nicht an geistlichen Erfahrungen – wohl aber am Gehorsam gegenüber Gottes klarem Willen (Matthäus 7:21–23). Ironischerweise sind gerade manche, die sich besonders nach spektakulärer Führung sehnen, am ehesten geneigt, die alltäglichen Gelegenheiten zu übersehen, Gott zu gefallen – direkt vor ihren Augen.
Drittens: Die sorgfältige Anwendung der Schrift auf unklare Situationen – mit einem erneuerten Sinn – muss den Dienst des Heiligen Geistes nicht umgehen, sofern sie demütig, betend und in Abhängigkeit von Gott geschieht. Im Gegenteil: Wie J. I. Packer schreibt, ist „der wahre Weg, den Heiligen Geist als unseren Führer zu ehren, die Heilige Schrift zu ehren, durch die er uns leitet“ (Gott erkennen, S. 236). Die Bibel ist kein toter Buchstabe, sondern der lebendige Odem des lebendigen Geistes. Wer gut auf die Schrift hört, hört auf ihn.
Entscheidungen auf den Knien
Man darf das Offensichtliche nicht übersehen: „Dein Wille geschehe“ ist ein Gebet – eine Bitte, dass Gott in uns das wirkt, was wir aus uns selbst nicht tun können. Ohne ihn erkennen wir seinen offenbarten Willen nicht, wir gehorchen dem erkannten Willen nicht, und schon gar nicht unterscheiden wir den verborgenen Willen. Deshalb beugen wir unsere Köpfe, heben unsere Hände und beten: „Unser Vater im Himmel, … dein Wille geschehe“ (Matthäus 6:9–10). Die besten Entscheidungen trifft ein Mensch auf den Knien.
Deshalb: Vernachlässige bei allen Entscheidungen nicht den Willen, den du bereits kennst. Und wenn dieser Wille klar in deinem Sinn und lebendig in deinem Leben ist, dann mach dich an die Arbeit der Unterscheidung – so gut du kannst – und frage, was Gott in deinem Beruf, deinen Beziehungen, deinem Zuhause wohl am meisten gefallen könnte. Wäge die Faktoren ab; hole dir Rat; betrachte die Lage aus verschiedenen Blickwinkeln. Und bitte ihn dabei immer wieder, dass sein guter, wohlgefälliger und vollkommener Wille an dir geschehe.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Desiring God. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Mehr Ressourcen von Desiring God.
Scott Hubbard ist Lehrer und leitender Redakteur bei Desiring God, Pastor der All Peoples Church und Absolvent des Bethlehem College and Seminary. Er lebt mit seiner Frau Bethany und ihren drei Söhnen in Minneapolis.
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