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Die „Goldene Regel“ in der Ethik: Judentum bis Islam

Die „Goldene Regel“ ist ein ethisches Prinzip, das in vielen Religionen und philosophischen Traditionen verankert ist. Sie fordert dazu auf, andere so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte. Aber wer hat die Regel erfunden? Und hat Jesus das Prinzip nur von anderen Philosophen abgekupfert? Tatsächlich finden wir das ethische Prinzip der Goldenen Regel schon viel früher ähnlich formuliert. Zum Beispiel ist die Goldene Regel im Judentum besonders durch Rabbi Hillel bekannt , der sie als das Herzstück der Tora bezeichnete. Nachfolgend werfen wir einen ausführlichen Blick auf die Goldene Regel im Judentum, in der Bibel, und im Koran. Auch andere Religionen wie Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus kommen in den Blick.

Ursprung und Bedeutung der Goldenen Regel: Ethik

Die Goldene Regel wird häufig als Grundpfeiler der moralischen Ethik betrachtet. Sie bildet die Basis für menschliches Verhalten, das auf Gleichheit, Respekt und Gerechtigkeit fußt. Obwohl die Formulierung variiert, bleibt der Kern unverändert: „Handle so, wie du von anderen behandelt werden möchtest“. Oder gereimt, wie im Volksmund bekannt:

„Was du nicht willst, das[s] man dir tu’, das füg auch keinem andern zu.“

Der Ausdruck „Goldene Regel“ wurde zwar seit 1615 von anglikanischen Christen geprägt, um biblische Regeln wie das Gebot der Nächstenliebe als allgemeingültiges Verhalten zu bezeichnen, doch das zugrunde liegende Prinzip wurde nicht einfach erfunden. Vielmehr basiert die Goldene Regel auf einem tief verwurzelten moralischen Empfinden, das den Menschen innewohnt. Dieses moralische Gefühl, wird in der Goldenen Regel prägnant zusammengfefasst und in der christlichen Theologie seit Origenes als Ausdruck eines natürlichen Rechts verstanden, das Gottes Willen allen Menschen offenbart.

Da diese Moralvorstellung uns Menschen innewohnt, ist nur zu erwarten, dass Gesellschaften, Gemeinschaften und Religionen eigene Formulierungen entwickeln, die diese Ethik präzise ausdrücken. So finden wir ähnliche ethische Grundsätze bereits seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. in Texten aus China, Indien, Persien, Ägypten und Griechenland. Doch, wie groß sind die Unterschiede?

Goldene Regel Judentum

Im Judentum ist die Goldene Regel zentraler Bestandteil der ethischen Lehren. Sie wird oft auf Rabbi Hillel zurückgeführt, einem der bedeutendsten jüdischen Gelehrten. Als Hillel gefragt wurde, ob er die gesamte Tora im Stehen erklären könne, antwortete er:

„Tue nicht anderen, was du nicht willst, dass sie dir tun. Das ist die ganze Tora; alles andere ist Kommentar.“
(Sabbat 31a)

Dieser berühmte Satz bringt die Essenz der jüdischen Ethik auf den Punkt. Sie basiert auf dem Vers aus der Tora, Levitikus 19:18:

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“

Das Bild zeigt einen fotorealistischen Porträt von Rabbi Hillel, einem bedeutenden jüdischen Gelehrten, während er die "Goldene Regel im Judentum" predigt. Er ist in traditioneller jüdischer Kleidung dargestellt, mit einem Ausdruck tiefer Weisheit und Leidenschaft in seinem Gesicht. Seine Hand ist erhoben, um eine Lehrgeste zu machen, und es wirkt, als ob er gerade die Worte „Tue nicht anderen, was du nicht willst, dass sie dir tun“ lehrt. Der Hintergrund zeigt eine leicht verschwommene antike Synagoge oder ein Lehrhaus, was den Fokus auf seine ausdrucksstarke Figur lenkt. Warmes Licht hebt sein Gesicht und seine Hand hervor, symbolisierend das spirituelle Wissen, das er vermittelt.
Goldene Regel Judentum

Goldene Regel Bibel, Neues Testament

Eine der bekanntesten Formulierungen der Goldenen Regel findet sich im sogenannten Neuen Testament der Bibel. In der Bergpredigt, formuliert Jesus dort die Goldene Regel wie folgt:

„Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihr ihnen ebenso. Das ist das Gesetz und die Propheten.“
(Matthäus 7,12)

Auf den ersten Blick scheint Jesus hier das gleiche wie Rabbi Hillel zu sagen, aber tatsächlich gibt es einen kleinen Unterschied: Jesus hebt hier das aktive Handeln hervor: Es geht nicht nur darum, anderen nicht zu schaden, sondern aktiv Gutes zu tun. Diese Form der Goldenen Regel zeigt das Grundverständnis von christlicher Ethik: Nächstenliebe und Gerechtigkeit ist nicht passiv, sondern aktiv. Für Jesus war diese Regel ein zentrales Element seines moralischen Lehrens. Es ist kein Zufall, dass die Goldene Regel in der Bibel in einem der bekanntesten Texte, der Bergpredigt, auftaucht, wo Jesus die ethischen Grundprinzipien des christlichen Lebens darlegt.

Siehe auch  Das Alexamenos-Graffito: Einblick in ein frühes Zeugnis des Christentums

Goldene Regel Islam

Auch im Islam hat die Goldene Regel eine wichtige Rolle. In den Hadithen, den Überlieferungen des Propheten Muhammad, wird diese Regel explizit formuliert:

„Keiner von euch ist ein Gläubiger, solange er nicht seinem Bruder wünscht, was er sich selber wünscht.“
(40 Hadithe von an-Nawawi, 13)

Diese islamische Version der Goldenen Regel betont die Wichtigkeit der gegenseitigen Rücksichtnahme und der Brüderlichkeit unter den Gläubigen. Sie ist auch aktiv formuliert, bezieht sich jedoch spezifisch auf die Gemeinschaft der Gläubigen („Brüder“), was ihre Anwendung auf Nicht-Gläubige einschränkt. Dies unterscheidet sich von der universellen Anwendung, wie sie im Christentum durch Jesus gelehrt wird.

Die Goldene Regel in anderen Weltreligionen

Hinduismus

Im Hinduismus findet sich eine Form der „Goldenen Regel“ in den Schriften des Mahabharata, einem der großen Epen des Hinduismus:
„Man sollte sich gegenüber anderen nicht in einer Weise benehmen, die für einen selbst unangenehm ist; das ist das Wesen der Moral.“
(Mahabharata XIII, 114,8)

Buddhismus

Im Buddhismus steht die Lehre der Goldenen Regel im Einklang mit dem Prinzip der Gewaltlosigkeit und dem Mitgefühl für alle Lebewesen. Im Samyutta Nikaya, einer Sammlung buddhistischer Lehrreden, wird gesagt:
„Ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, soll es auch nicht für ihn sein; und ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, wie kann ich ihn einem anderen zumuten?“
(Samyutta Nikaya V. 353.35 / 354.2)

Konfuzianismus

In der chinesischen Religion, speziell im Konfuzianismus, finden wir eine Form der Goldenen Regel, die oft auf den Philosophen Konfuzius zurückgeführt wird:
„Was du selbst nicht wünschst, das tue auch nicht anderen Menschen an.“
(Konfuzius, Gespräche 15,23)

Gegenüberstellung: Unterschiede und Gemeinsamkeiten der „Goldenen Regel“ in den Religionen

In der Gegenüberstellung der Goldenen Regel fällt auf, dass sie in einigen Religionen passiv formuliert wird („Tue nicht, was du nicht willst, dass dir getan wird“), während andere sie aktiv ausdrücken („Handle so, wie du behandelt werden möchtest“). Diese beiden Ansätze unterscheiden sich in ihrem Anspruch und in der Art und Weise, wie moralisches Verhalten gefördert wird.

Negativ formulierte „Goldene Regel“

Religionen wie das Judentum, der Konfuzianismus und der Hinduismus drücken die Goldene Regel oft in passiven, negativen Formulierungen aus:

  • Judentum: „Tue nicht anderen, was du nicht willst, dass sie dir tun.“
  • Konfuzianismus: „Was du selbst nicht wünschst, das tue auch nicht anderen.“
  • Hinduismus: „Man sollte sich gegenüber anderen nicht in einer Weise benehmen, die für einen selbst unangenehm ist.“

Diese Versionen konzentrieren sich darauf, Schaden zu vermeiden. Sie fordern ein Unterlassen von negativen Handlungen, die für andere schädlich oder unangenehm wären. Diese Form der Goldenen Regel ist einfacher umzusetzen, da sie verlangt, dass man sich nur in bestimmten Situationen zurückhält und bewusst vermeidet, anderen zu schaden.

Positiv formulierte „Goldene Regel“

Andererseits formulieren Religionen wie das Christentum und der Islam die „Goldene Regel“ positiv und aktiv:

  • Christentum: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihr ihnen ebenso.“
  • Islam: „Keiner von euch ist ein Gläubiger, solange er nicht seinem Bruder wünscht, was er sich selber wünscht.“
Siehe auch  9 Eigenschaften eines wahren Mannes

Hier wird nicht nur gefordert, Schaden zu vermeiden, sondern aktiv Gutes zu tun. Der positive Anspruch ist höher, weil er verlangt, dass man sich in die Lage anderer versetzt und über das eigene Verhalten hinausgeht, um aktiv zum Wohlergehen anderer beizutragen. Unterschied zwischen der Formulierung in der Bibel und im Koran bleibt, dass sich die Regel im Islam nur auf die Gläubigen [„seinen Bruder“] bezieht, während Jesus seine Jünger sogar auffordert die Feinde zu lieben und alle Menschen so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden will.

ReligionZitatQuelle
Hinduismus„Man sollte sich gegenüber anderen nicht in einer Weise benehmen, die für einen selbst unangenehm ist; das ist das Wesen der Moral.“Mahabharata XIII, 114,8
Jainismus„Gleichgültig gegenüber weltlichen Dingen sollte der Mensch wandeln und alle Geschöpfe in der Welt behandeln, wie er selbst behandelt sein möchte.“Sutrakritanga I. 11,33
Konfuzianismus„Was du selbst nicht wünschst, das tue auch nicht anderen Menschen an.“Konfuzius, Gespräche 15,23
Buddhismus„Ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, soll es auch nicht für ihn sein; und ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, wie kann ich ihn einem anderen zumuten?“Samyutta Nikaya V. 353.35 / 354.2
Judentum„Tue nicht anderen, was du nicht willst, dass sie dir tun.“Rabbi Hillel, Sabbat 31a
Christentum„Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihr ihnen ebenso.“Matthäus 7,12; Lukas 6,31
Islam„Keiner von euch ist ein Gläubiger, solange er nicht seinem Bruder wünscht, was er sich selber wünscht.“40 Hadithe von an-Nawawi, 13

Goldene Regel – Eine Gegenüberstellung

Fazit

Die „Goldene Regel“ verdeutlicht, dass trotz kultureller und religiöser Unterschiede eine tiefe Übereinstimmung über grundlegende moralische und ethische Prinzipien besteht. Diese Regel ist nicht das Werk eines einzelnen Individuums, sondern spiegelt die universelle Natur der Moral wider, die Gott in unsere Natur hineingelegt hat. Niemand hat die Goldene Regel ursprünglich erfunden; vielmehr ist sie ein Ausdruck der von Gott gegebenen Moral, die allen Menschen innewohnt.

Trotzdem ist der Anspruch interessant, den die Religionsstifter in ihren Lehren setzen. Während andere Traditionen die Regel oft im Kontext des Vermeidens von Negativem formulieren, hebt Jesus die aktive Verpflichtung hervor, Gutes zu tun und bedingungslos zu lieben. Dies zeigt, dass die Goldene Regel zwar in ihrer Essenz universell ist, aber in ihrer Ausprägung und ihrem ethischen Anspruch je nach religiöser Tradition variieren kann.

Jesus hat die Goldene Regel nicht einfach aus bestehenden Traditionen übernommen, sondern sie in seinen Lehren, insbesondere in der Bergpredigt, auf ein außergewöhnlich hohes ethisches Niveau gehoben. In der Bergpredigt fordert er seine Anhänger auf, vollkommen zu sein, wie der Vater vollkommen ist, und beginnt viele seiner Lehren mit den Worten „Ihr habt gehört, ich aber sage euch“. Während die Goldene Regel in vielen Kulturen vorwiegend das Vermeiden von Schaden betont, geht Jesus deutlich weiter: Er fordert ein aktives Streben nach Gutem und bedingungslose Nächstenliebe, selbst gegenüber den Feinden. So lässt sich die Goldene Regel in seinen Worten formulieren: „Ihr habt gehört, dass man anderen nichts antun soll, was man nicht selbst erfahren möchte; ich aber sage euch, ihr sollt den anderen sogar all das Gute tun, was ihr von ihnen erwartet.“ Dieser hohe ethische Anspruch unterscheidet die christliche Interpretation und unterstreicht den besonderen Stellenwert, den Jesus der Nächstenliebe und Gerechtigkeit beimisst.

Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist! (Matthäus 5,48)

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