Pornografiekonsum ist in der modernen Gesellschaft allgegenwärtig und betrifft Menschen aller sozialen Gruppen – auch solche mit religiösem Hintergrund. Gleichzeitig vertreten viele Religionen, insbesondere die christlichen Konfessionen, deutliche moralische Vorbehalte gegenüber Pornografie. So wird etwa im konservativ-christlichen Umfeld der Konsum pornografischer Inhalte als Sünde oder moralisches Fehlverhalten angesehen. Vor diesem Spannungsfeld stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß Religiosität tatsächlich das Verhalten in Bezug auf Pornografie beeinflusst. Bisherige Studien deuten darauf hin, dass höhere Religiosität tendenziell mit geringerem Pornografiekonsum einhergeht1. Allerdings ist dieser Zusammenhang komplex: Selbst tiefgläubige Personen sind nicht gänzlich immun gegenüber Pornografie, und bei religiösen Menschen, die dennoch Pornos konsumieren, können Scham und innere Konflikte besonders stark ausgeprägt sein2. Angesichts teils widersprüchlicher öffentlicher Aussagen („alle Christen schauen heimlich Pornos“ vs. „gläubige Menschen meiden Pornografie strikt“) ist es von großer wissenschaftlicher und praktischer Bedeutung, den tatsächlichen Zusammenhang zwischen Religiosität und Pornografiekonsum zu untersuchen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über den Forschungsstand zu dieser Thematik. Insbesondere wird betrachtet, ob speziell wiedergeborene Christen bzw. streng bibeltreue Christen tatsächlich weniger Pornografie konsumieren als andere Bevölkerungsgruppen. Die Zielsetzung ist, empirische Befunde aus aktuellen Studien – zusammenzuführen, um ein fundiertes Bild der Zusammenhänge zu zeichnen.
Theoretischer Hintergrund
Religiosität wird in der Psychologie als die Ausprägung der religiösen Überzeugungen, Bindungen und Verhaltensweisen einer Person definiert. Sie umfasst verschiedene Dimensionen, z. B. die subjektive Wichtigkeit von Glauben, die Häufigkeit religiöser Praxis (Gottesdienstbesuch, Gebet) und die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft3. In diesem Kontext sind Begriffe wie intrinsische vs. extrinsische Religiosität relevant. Intrinsisch religiöse Menschen leben ihren Glauben um des Glaubens willen – ihre religiösen Werte sind internalisiert und leiten ihr Verhalten auch privat. Extrinsisch religiöse Menschen hingegen orientieren sich eher aus sozialen oder utilitaristischen Motiven an Religion (z. B. Gemeinschaft, Tradition), ohne dass der Glaube ihr persönliches Leben stark durchdringt. Sogenannte „Wiedergeborene Christen“ – meist im evangelikalen Protestantismus verortet – sind Personen, die nach ihrer Aussage eine bewusste Bekehrung und eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus erlebt haben. Sie gelten oft als besonders streng in der Befolgung biblischer Lehren, da sie ihre Religion als zentrale Lebensgrundlage betrachten. Solche Personen streben in der Regel nach einem Leben in Übereinstimmung mit biblischen Moralvorstellungen, was unter anderem Enthaltsamkeit vor der Ehe und den Verzicht auf „unkeusche“ Handlungen einschließt. Streng nach der Bibel lebende Christen legen die Heilige Schrift wortwörtlich oder zumindest sehr autoritativ aus. Für sie sind z. B. Jesu Worte „wer eine Frau lüstern ansieht, hat in seinem Herzen bereits Ehebruch begangen“ (vgl. Matthäus 5,28) handlungsleitend – Pornografie fällt damit klar unter verwerfliche Unzucht oder Lüsternheit. Aus theologischer Sicht wird Pornografiekonsum in vielen christlichen Gemeinden als Verstoß gegen die Gebote zur sexuellen Reinheit gewertet.
Pornografiekonsum bezeichnet die Nutzung von Medien mit explizit sexuellen Inhalten, die primär der erotischen Erregung dienen. Eine gängige Definition beschreibt Pornografie als „jegliches sexuell explizite Material, das mit der Absicht verbreitet wird, bei den Konsumierenden sexuelle Erregung hervorzurufen“ 4. In der heutigen Zeit erfolgt Pornografiekonsum überwiegend online über Internetangebote, was die Verfügbarkeit immens gesteigert hat. Forschungsseitig wird Pornografiekonsum typischerweise mittels Selbstberichten (Fragebögen zu Nutzungsfrequenz, -dauer, Zeitpunkt des letzten Konsums etc.) erfasst. Dabei ist zu beachten, dass Selbstangaben durch soziale Erwünschtheit verzerrt sein können – insbesondere in einem Bereich, der schambesetzt ist. Religiöse Teilnehmer könnten ihren Konsum unterberichten, da das Zugeben von Pornografienutzung ihrem Selbstbild widerspricht. Neuere Ansätze nutzen ergänzend objektive Daten, etwa Browser-Verläufe oder Web-Tracking, um solches Antwortbias zu reduzieren5.
Empirische Evidenz
Quantitative Umfragen in der Allgemeinbevölkerung zeigen konsistent einen negativen Zusammenhang zwischen Religiosität und Pornografiekonsum. Mit anderen Worten: Personen, die sich als religiös bezeichnen oder häufig religiöse Aktivitäten ausüben, berichten seltener und weniger häufig, Pornografie anzuschauen, als weniger religiöse oder nichtgläubige Personen. Beispielsweise ergab eine US-Umfrage der Barna Group, dass 54 % der befragten wiedergeborenen (engl. born-again) christlichen Männer angaben, mindestens einmal im Monat Pornografie zu konsumieren, verglichen mit rund 64 % der Männer in der Gesamtstichprobe6 . (Obwohl die Umfrage schon deutlich zeigt, dass sog. „wiedergeborene Männer“ deutlich weniger Pornografie konusmieren, muss ergänzt werden dass in der Umfrage nur etwa mehr als die Hälfte (55 Prozent) der „wiedergeborenen Männer“ angaben, fest daran zu glauben, dass die Bibel in allen Grundsätzen, die sie lehrt, korrekt ist, und weniger als ein Drittel dieser Gruppe (31 Prozent) war der Meinung, dass sie die Verantwortung haben, ihre religiösen Überzeugungen mit Andersdenkenden zu teilen. Da somit die hier bezeichnete Gruppe von „wiedergeborenen Männern“ nicht mit der o.g. Defintion übereinstimmt, ist die Zahl von 54% nicht zwingend wegweisend.)
Eine Langzeitanalyse von Befragungsdaten (General Social Survey, USA) untermauert diesen Trend: Evangelikale Christen konsumieren über die Jahrzehnte hinweg im Durchschnitt seltener Pornografie als der US-Durchschnitt7. Interessanterweise stieg der Pornografiekonsum in der gesamten männlichen Bevölkerung durch die Internetverbreitung zwar an – und gleichermaßen auch bei den gläubigen Männern –, doch weil fromme Christen von einem niedrigeren Ausgangsniveau starteten, bleibt ihre Nutzungsrate auch weiterhin signifikant unter dem Durchschnitt. Besonders deutlich wird dies bei den engagiertesten Evangelikalen: Männer, die von sich sagen, eine wiedergeborene Christuserfahrung gemacht zu haben oder aktiv andere bekehrt zu haben, weisen die niedrigsten Pornokonsummuster auf. Diese „Super-Christen“ (so der Ausdruck in Perry, 2019) scheinen dem wachsenden gesellschaftlichen Trend, vermehrt Pornos zu schauen, weitgehend zu widerstehen . Ihre Pornografienutzung ist nicht nur geringer, sondern blieb in den letzten Jahren laut Datenanalyse auch weitgehend stabil. Diese Resultate widersprechen also der populären Vorstellung, konservative Christen würden genauso häufig oder gar häufiger insgeheim Pornos schauen als andere – das Gegenteil ist der Fall.8
Auch psychologische Einzelstudien bestätigen die negative Korrelation zwischen Religiosität und Pornografiegebrauch. Short et al. (2014) untersuchten etwa eine Stichprobe junger Erwachsener und fanden, dass stärker religiöse Teilnehmende seltener Pornografie konsumierten – sowohl jemals im Leben als auch aktuell – und insgesamt weniger häufig9. Dieser Effekt trat besonders eindeutig bei intrinsischer Religiosität zutage: Personen, für die der Glaube innerlich sehr bedeutsam ist, berichteten signifikant weniger je, derzeit oder regelmäßig Pornografie zu nutzen, verglichen mit weniger intrinsisch Gläubigen. Im Gegensatz dazu war extrinsische Religiosität (Religion primär aus äußeren Gründen) ein weniger konsistenter Prädiktor und zeigte nur bei einigen Maßzahlen einen schwachen Zusammenhang. Die Studienautoren erklären den Befund folgendermaßen: Wer sein Leben lang in einer Religion engagiert ist und deren Werte verinnerlicht hat, entwickelt meist eine starke innere Ablehnung gegenüber Pornografie. In religiösen Gemeinschaften wird häufig aktiv über sexuelle Reinheit gelehrt – durch Predigten, Bibelverse oder Seminare, die Keuschheit preisen bzw. Pornografiekonsum als sündhaft brandmarken. Diese Botschaften führen offenbar dazu, dass streng Gläubige aus Überzeugung Pornografie meiden, um im Einklang mit ihren spirituellen und familiären Werten zu leben. So zeigte sich in Shorts Studie innerhalb der Teilgruppe der religiös Aktiven, dass nur jener Wert „das eigene Leben gemäß den spirituellen Überzeugungen führen“ den Unterschied zwischen Pornokonsumenten und -Abstinenten ausmachte. Gläubige, die nicht konsequent nach ihren spirituellen Prinzipien lebten, hatten eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, (dennoch) Pornos zu schauen. Dieses Ergebnis unterstreicht, wie entscheidend die tatsächliche Befolgung religiöser Prinzipien (und nicht nur das formale Bekenntnis) für den Pornografiekonsum ist10.
Die inverse Beziehung zwischen Religiosität und Pornokonsum wurde auch in unterschiedlichen kulturellen Kontexten beobachtet. Eine aktuelle deutsche Studie (2023) kombinierte Web-Tracking-Daten mit Befragungen, um die Online-Pornonutzung objektiv zu messen11. Die Befunde zeigten, dass Mitglieder einer Religionsgemeinschaft insgesamt eine geringere Wahrscheinlichkeit hatten, pornografische Websites zu besuchen, als konfessionslose Personen. Konkret wiesen in dieser Untersuchung Angehörige aller erfassten Religionen – einschließlich christlicher Konfessionen – im Durchschnitt eine niedrigere Nutzungswahrscheinlichkeit auf als religiös Ungebundene. Allerdings war dieser Unterschied statistisch nicht in jedem Fall signifikant: Bei den (mehrheitlich in Deutschland vertretenen) römisch-katholischen und evangelischen Christen war die Differenz gegenüber Konfessionslosen gering und im Rahmen der Stichprobe nicht eindeutig signifikant. Deutlich ausgeprägt zeigte sich der Effekt hingegen bei religiösen Minderheiten mit strikteren Reinheitsgeboten – z. B. muslimischen Teilnehmern oder orthodoxen Christen –, die eine signifikant um etwa 0,7 Punkte (auf einer logistischen Skala) geringere Wahrscheinlichkeit aufwiesen, Pornografie zu nutzen, verglichen mit Nicht-Religiösen. Trotz dieser Differenzierungen stimmt die Gesamt-Tendenz der deutschen Daten mit den US-Befunden überein: Religiöse Eingebundenheit wirkt tendenziell schützend vor regelmäßigem Pornografiekonsum, während Konfessionslosigkeit mit häufigerem Konsum einhergeht.
Ergänzend sei erwähnt, dass nicht alle früheren Untersuchungen einen deutlichen Zusammenhang fanden. Einige ältere Studien aus den 2000er-Jahren berichteten keine signifikante Korrelation zwischen allgemeiner Religiosität und der Wahrscheinlichkeit, jemals Pornografie angesehen zu haben12. So zeigte z. B. Abell et al. (2006) in einer religiösen Stichprobe keinen Unterschied im „Ever-Use“ zwischen frommen und weniger frommen Teilnehmern. Mögliche Gründe für solche Nullbefunde liegen in unterschiedlichen Messmethoden und veränderten Kontextbedingungen. Insbesondere die Frage nach jemals Pornografie konsumiert (vs. aktueller oder regelmäßiger Konsum) liefert heute kaum noch Varianz: In westlichen Gesellschaften haben die weitaus meisten jungen Männer – unabhängig von ihrer Religiosität – zumindest einmal in ihrem Leben pornografisches Material gesehen13. Unterschiede zeigen sich eher in der aktuellen Nutzungsaktivität oder Häufigkeit. Hier verdichten die besprochenen Studien die Evidenz, dass starke Religiosität (insbesondere intrinsische, gelebte Religiosität) mit einem selteneren und zurückhaltenderen Pornografiekonsum einhergeht, während Personen ohne feste religiöse Überzeugung tendenziell häufiger Pornos konsumieren.
Diskussion
Zusammenfassend deutet die empirische Evidenz klar darauf hin, dass Religiosität – vor allem ein streng gelebter Glaube – in negativem Zusammenhang mit Pornografiekonsum steht. Wiedergeborene Christinnen und Christen sowie generell Personen, die die Bibel wortgetreu befolgen, scheinen tatsächlich weniger Pornografie zu konsumieren als Vergleichsgruppen. Dieser Befund lässt sich vor dem Hintergrund der theoretischen Überlegungen gut verstehen: Innere Überzeugungen und normative Vorgaben der Religion wirken als Hemmfaktoren, die den Zugriff auf Pornografie reduzieren. Die in konservativ-christlichen Kreisen verbreitete Null-Toleranz-Haltung gegenüber Pornografie (“bereits ein Blick gilt als Sünde”) schafft bei Gläubigen hohe Verhaltensstandards, an denen sie ihr Handeln ausrichten. Intrinsisch religiöse Individuen haben diese Werte verinnerlicht und selbstmotiviert ein Interesse, pornografische Inhalte zu meiden, um ein moralisch konsistentes Leben zu führen. Entsprechend investieren sie mehr Aufwand in Selbstkontrolle und nutzen Strategien, Versuchungen zu entgehen (etwa durch Gebet, Avoidance-Strategien, Rechenschaftsgruppen in der Gemeinde usw.). Darüber hinaus haben religiöse Gemeinschaften oft Mechanismen, die einen sozialen Druck erzeugen: Ein gläubiger Mensch riskiert Ansehen und Zugehörigkeit, falls sein Pornokonsum bekannt würde. Dieses Bewusstsein könnte ebenfalls präventiv wirken.
Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse aber auch, dass Religiosität keinen völligen Schutz bietet und viele Gläubige – trotz ihrer Überzeugungen – zumindest gelegentlich Pornografie konsumieren. Gerade bei Männern mittleren Alters mit konservativem christlichen Glauben liegen die Nutzungsraten zwar unter dem Bevölkerungsdurchschnitt, aber immer noch im Bereich von mehreren zehn Prozent14. Die Realität in Gemeinden ist daher, dass Pornografie trotz religiöser Verbote präsent ist. Dieses Phänomen führt zu besonderen Herausforderungen: Religiöse Pornonutzer geraten in einen starken Gewissenskonflikt. Die psychologischen Folgen von Pornokonsum scheinen bei hochreligiösen Personen gravierender auszufallen als bei säkularen Konsumenten. So fühlen sich strenggläubige Christen schon bei seltenem Konsum oft als moralische Versager und neigen dazu, ihr Verhalten als Sucht zu etikettieren. Eine Analyse ergab, dass konservative Christen doppelt so häufig von sich behaupten, „pornografiesüchtig“ zu sein, verglichen mit Nichtreligiösen – selbst wenn die tatsächliche Nutzungsmenge objektiv ähnlich oder geringer ist15. Interessanterweise zeigt sich, dass manche gläubige Pornokonsumenten ihre Religiosität reduzieren oder die Gemeinschaft verlassen, um eine kognitive Dissonanz zu lösen. Perry (2019) beschreibt, dass evangelikale Männer, die trotz Bekehrung weiterhin mit Pornografie „kämpfen“, mitunter an ihrem Glauben zu zweifeln beginnen – sie fragen sich, ob sie „wirklich gerettet“ sind, wenn sie solche Versuchungen nicht überwinden können16. Anstatt das als permanenten Zustand der Sünde zu ertragen, ziehen sich manche aus der aktiven Religionsausübung zurück, wodurch der statistische Zusammenhang weiter verstärkt werden könnte (weil primär die standhaften, abstinenten Mitglieder in der Gruppe verbleiben). Dieses Selektionsphänomen könnte teilweise erklären, warum die „engagiertesten“ Gläubigen in Querschnittstudien die geringsten Pornokonsumraten zeigen: Diejenigen, die es nicht schaffen, pornofrei zu leben, gehören auf Dauer oft nicht mehr zu den engagiertesten Gläubigen. Somit wirken Religiosität und Pornografieverhalten wechselseitig aufeinander ein – Menschen passen entweder ihr Verhalten ihrem Glauben an oder umgekehrt ihren Glauben dem Verhalten, was langfristig zu einer Trennung der Gruppen (Pornokonsumenten vs. Abstinente) führen kann17.
Ein wichtiges Thema in der Diskussion ist die Frage nach Ursache und Wirkung. Meist wird angenommen, dass hohe Religiosität zu geringerem Pornokonsum führt (durch die beschriebenen Mechanismen von Normen und Selbstkontrolle). Allerdings ist auch das Umgekehrte plausibel: Dass Pornografiekonsum die Religiosität untergräbt. Längsschnittdaten liefern hierzu erste Hinweise. In einer Panelstudie mit jungen Erwachsenen zeigte sich beispielsweise, dass häufiger Pornokonsum über die Zeit mit einem Rückgang an religiöser Bindung einherging (Perry, 2017) – womöglich weil Betroffene sich von der Religion entfremden, um ihre Handlungen nicht ständig als Sünde erleben zu müssen. Die Kausalrichtung könnte also bidirektional sein: Starker Glaube hält vom Pornokonsum ab, und umgekehrt kann wiederholter Pornokonsum den starken Glauben erschüttern. Zukünftige Forschungen sollten dieses dynamische Wechselspiel genauer beleuchten, etwa mittels mehrwelliger Paneldesigns oder qualitativer Interviews mit Betroffenen.
Ein weiterer Diskussionspunkt sind methodische Grenzen der vorliegenden Studien. Viele Ergebnisse beruhen auf Selbstberichten – gerade bei sensiblen Themen wie Sexualverhalten ist die Dunkelziffer schwer abzuschätzen. Religiöse Teilnehmer könnten aus Scham oder sozialer Erwünschtheit ihren Pornokonsum unterschätzen. Allerdings sprechen einige Befunde dagegen, dass der gesamte Effekt bloß auf Verzerrung zurückzuführen ist: So argumentiert Perry (2019), dass die niedrigeren Konsumraten engagierter Christen nicht allein durch Lügen oder Verheimlichen erklärbar sind, da auch objektivere Analysen (z. B. regionale Download-Daten, anonyme Erhebungen) ein ähnliches Bild ergeben18. Ebenso zeigte die deutsche Webtracking-Studie einen Religiositätseffekt, obwohl sie auf tatsächlichem Nutzungsverhalten basierte (s10508-023-02666-8.pdf)19. Nichtsdestotrotz bleibt ein Restrisiko von Messungenauigkeiten. Künftige Studien könnten vermehrt technische Messinstrumente nutzen oder implizite Verfahren einsetzen, um Verzerrungen zu minimieren.
Schließlich ist zu beachten, dass Religiosität kein monolithisches Konstrukt ist. Unterschiede innerhalb religiöser Gruppen sind erheblich. Die evidenten Unterschiede zwischen intrinsischer und extrinsischer Religiosität in ihrem Einfluss auf das Verhalten wurden bereits genannt. Auch konfessionelle Unterschiede spielen eine Rolle: So fand die deutsche Studie einen besonders starken Abstinenzeffekt bei muslimischen Probanden – im Einklang mit der Annahme, dass streng religiöse Vorschriften (hier z. B. im Islam) mit höherer Wahrscheinlichkeit eingehalten werden. Innerhalb des Christentums könnten Faktoren wie die Zugehörigkeit zu Freikirchen vs. Volkskirchen, Grad der Religionsausübung (z. B. wöchentliche Gottesdienstteilnahme) und persönliche Glaubensstile (fundamentalistisch vs. liberal) die Pornonutzung mediieren. Beispielsweise legen evangelikale Freikirchen oft mehr Gewicht auf sexuelle Sünden als manche Landeskirchen, was sich in unterschiedlichem Verhalten ihrer Anhänger niederschlagen könnte. Bisherige Studien haben solche Feinunterschiede teils mangels Stichprobengröße vernachlässigt; hier besteht Forschungsbedarf.
Fazit und Ausblick
Fazit: Religiöse Überzeugungen und Pornografiekonsum stehen in einem komplexen, aber eindeutig erkennbaren Zusammenhang. Der Forschungsstand zeigt überwiegend, dass höhere Religiosität mit geringerem Pornografiekonsum einhergeht. Insbesondere Christen, die ihren Glauben sehr ernst nehmen – etwa sog. „wiedergeborene Christen“ mit einer konservativ-bibeltreuen Lebensführung – neigen signifikant weniger dazu, Pornografie zu konsumieren, als weniger religiöse Personen. Dabei kommt es vor allem auf die innere Verankerung der Glaubensinhalte an: Wer seine religiösen Werte (z. B. Keuschheit) konsequent im Alltag umzusetzen versucht, meidet Pornografie weit eher als jemand, für den Religion nur eine Randrolle spielt. Allerdings konsumieren auch streng Gläubige nicht niemals Pornos – die Verbreitung internetbasierter Pornografie macht es selbst in frommen Kreisen fast unvermeidbar, dass ein Teil der Mitglieder gelegentlich damit in Berührung kommt. Die Folge sind teils erhebliche moralische Konflikte und Schamgefühle in dieser Gruppe, da Pornografie fundamental ihren religiösen Prinzipien widerspricht. Hier zeigt sich, dass der negative Effekt von Pornografiekonsum auf die psychische Gesundheit stärker von der moralischen Bewertung abhängt als vom Konsum selbst . Für die Praxis (Seelsorge, Therapie) bedeutet dies, dass gläubige Klienten, die mit Pornografie strugglen, besonderer Sensibilität bedürfen – nicht unbedingt weil sie mehr konsumieren, sondern weil sie unter geringem Konsum schon stark leiden.
Ausblick: Offene Fragen betreffen vor allem die Richtung und Mechanismen dieses Zusammenhangs. Künftige Studien sollten mittels Längsschnittmethoden klären, ob und wie religiöse Entwicklung und Pornografieverhalten sich gegenseitig beeinflussen (beispielsweise: Führt eine Stärkung des Glaubens im Zeitverlauf zu weniger Konsum, und umgekehrt, führt anhaltender Konsum zur Schwächung des Glaubens?). Ebenso wäre es wertvoll, tiefer zu verstehen, welche konkreten Strategien hochreligiöse Personen nutzen, um Pornografie zu vermeiden, und welche davon wirksam sind. In diesem Zuge könnten Untersuchungen zu Resilienzfaktoren stattfinden: Warum schaffen es manche streng Gläubige, dem Internet-Angebot konsequent fernzubleiben, während andere trotz gleicher Überzeugungen rückfällig werden? Auch der Einfluss unterschiedlicher theologischer Konzepte (z. B. Konzept von Vergebung vs. stark strafender Gottesvorstellung) auf den Umgang mit eigenem Fehlverhalten wäre ein spannender Ansatzpunkt.
Obwohl es bislang keine empirischen Studien darüber gibt, wie Menschen von der Nutzung von Pornografie frei werden können, bieten religiöse Überzeugungen, insbesondere die Bibel, Orientierung und Antworten. Sie enthält zahlreiche Prinzipien zur sexuellen Reinheit und Wege zur Überwindung von Verhaltensweisen, die Gläubige als problematisch empfinden. Weitere Informationen und biblische Perspektiven zu diesem Thema finden sich unter: Das vergessene Buch über sexuelle Reinheit.
- Short, M. B., Kasper, T. E., & Wetterneck, C. T. (2014). The relationship between religiosity and internet pornography use. Journal of Religion and Health, 54(2), 571–583. https://doi.org/10.1007/s10943-014-9849-8 ↩︎
- Addicted to lust. (n.d.). Samuel L. Perry – Oxford University Press. https://global.oup.com/academic/product/addicted-to-lust-9780190844219?cc=us&lang=en& in Riess, J. (2019, November 21). Conservative Christians have a porn problem, studies show, but not the one you think. RNS. https://religionnews.com/2019/08/06/conservative-christians-have-a-porn-problem-studies-show/ ↩︎
- Von Andrian-Werburg, M. T. P., Siegers, P., & Breuer, J. (2023). A Re-evaluation of online pornography use in Germany: a combination of web tracking and survey data analysis. Archives of Sexual Behavior, 52(8), 3491–3503. https://doi.org/10.1007/s10508-023-02666-8 ↩︎
- ebd. ↩︎
- ebd. ↩︎
- https://www.thegospelcoalition.org/article/factchecker-do-christian-men-watch-more-pornography/#:~:text=Returning%20to%20the%20survey%20we,again%20Christian%20men ↩︎
- Riess, J. (2019, November 21). Conservative Christians have a porn problem, studies show, but not the one you think. RNS. https://religionnews.com/2019/08/06/conservative-christians-have-a-porn-problem-studies-show/ ↩︎
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- Short, M. B., Kasper, T. E., & Wetterneck, C. T. (2014). The relationship between religiosity and internet pornography use. Journal of Religion and Health, 54(2), 571–583. https://doi.org/10.1007/s10943-014-9849-8 ↩︎
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- Short, M. B., Kasper, T. E., & Wetterneck, C. T. (2014). The relationship between religiosity and internet pornography use. Journal of Religion and Health, 54(2), 571–583. https://doi.org/10.1007/s10943-014-9849-8 ↩︎
- Riess, J. (2019, November 21). Conservative Christians have a porn problem, studies show, but not the one you think. RNS. https://religionnews.com/2019/08/06/conservative-christians-have-a-porn-problem-studies-show/ ↩︎
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- Short, M. B., Kasper, T. E., & Wetterneck, C. T. (2014). The relationship between religiosity and internet pornography use. Journal of Religion and Health, 54(2), 571–583. https://doi.org/10.1007/s10943-014-9849-8 ↩︎
- Riess, J. (2019, November 21). Conservative Christians have a porn problem, studies show, but not the one you think. RNS. https://religionnews.com/2019/08/06/conservative-christians-have-a-porn-problem-studies-show/ ↩︎
- Von Andrian-Werburg, M. T. P., Siegers, P., & Breuer, J. (2023). A Re-evaluation of online pornography use in Germany: a combination of web tracking and survey data analysis. Archives of Sexual Behavior, 52(8), 3491–3503. https://doi.org/10.1007/s10508-023-02666-8 ↩︎
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