Manche Kritiker der Trinität führen 1Kor 8,6 an, um zu zeigen, dass Jesus für das NT gar nicht Gott sein kann. Die Argumentation lautet dann: Weil nur der Vater Gott ist (a), kann es nicht der Sohn sein. Die Schwierigkeit, die man sich mit einer solchen Argumentation einfängt und was dieser Vers wirklich in Bezug auf Jesu Gottheit aussagt, will ich in diesem Artikel behandeln. Ich möchte allerdings keine ausführliche Auslegung der Verse 1-6 vorlegen, die sind nur des Zusammenhanges wegen aufgeführt. Der Artikel soll 1Kor 8,6 bezüglich der Frage interpretieren, was er über die Gottheit Jesu aussagt. Dieser Artikel ist allerdings nur eine Kurzversion. Die Langversion behandelt, bevor sie zur Exegese kommt, auch noch sprachliche Voraussetzungen und analysiert außerdem noch wichtige Begriffe und Motive.
1Kor 8,1-6
1 Hinsichtlich des Götzenopferfleisches aber glauben wir: wir alle haben Erkenntnis. (1a)
Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe aber baut auf. (1b)
2 Wenn jemand meint etwas erkannt zu haben, der hat noch nie erkannt, wie man erkennen soll.
3 Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt.
4 Hinsichtlich des Essens von Götzenopferfleisch
wissen wir, dass (es)1 keine Götzen in der Welt (gibt) und dass (es) keinen Gott (gibt) als nur einem.
5 denn auch wenn es solche gibt, die Götter gennant werden, sei es im Himmel oder auf Erden – wie es viele Götter gibt und viele Herren –
6
(ist) für uns aber ein Gott, der Vater, (a)
aus dem alle (Dinge) (sind) und wir zu ihm, (b)
und ein Herr, Jesus Christus, (a’)
durch den alle (Dinge) (sind) und wir durch ihn. (b’)
Kontext
Kapitel 8-11
Die Verse 4-6 sind nicht Gegenstand des eigentlichen Themas von Kapitel 8-10. Dieses Thema behandelt ein offensichtliches Problem in der korinthischen Gemeinde; einige Christen meinten durch die Erkenntnis, dass es nur einen wahren Gott gibt, nun auch an Mahlzeiten in Götzentempeln teilnehmen zu dürfen. Es gab aber auch andere Christen, wahrscheinlich waren es Judenchristen, die durch ihre Prägung weder Götzenopferfleisch essen, geschweige denn an Mahlzeiten in Götzentempeln, teilnehmen konnten. Paulus nimmt in Kapitel 8 erst einmal an (wir werden gleich sehen warum), dass es in Ordnung ist, in solchen Tempeln zu speisen. Allerdings weist er auf die Geschwister hin, die ein Problem damit haben und ein schlechtes Gewissen bekämen, wenn sie es auch täten. Wenn man durch das eigene Verhalten diese Geschwister aber dazu bringt, etwas zu tun, was gegen ihr Gewissen spricht, hat man nicht aus Liebe gehandelt, sondern sich selbst und die eigene Freiheit für wichtiger gehalten als den Bruder oder die Schwester.
In Kapitel 9 stellt Paulus sich als Beispiel dar. Er ist jedem ein Sklave geworden, um dem Evangelium zu dienen; die Korinther sollen ihm darin folgen. Daraufhin spricht er eine Warnung aus, damit diejenigen, die meinen Erkenntnis zu haben, nicht fallen, wie das Volk Israel (10,1-13).
Bevor er nochmal an die Erkennenden appelliert, dass sie um des Evangeliums Willen ihre Freiheit zurückstellen sollen (10,23-33), warnt Paulus sie vor Gemeinschaften in Götzentempeln (14-22). Die sogenannten Götter dort sind zwar keine echten Götter, aber Dämonen. Aus der Tatsache, dass es nur einen Gott gibt, folgt also nicht, dass die sogenannten Götter harmlos sind.
Um die Gemeinschaft mit den anderen Glaubenden und Christus nicht zu gefährden, sollte man nicht in Götzentempeln speisen, denn man kann nicht mit Dämonen und Christus gleichzeitig Gemeinschaf haben.
In Kapitel 8 hatte Paulus ja noch angenommen, dass es in Ordnung ist in Götzentempeln zu essen, nicht aber weil das seine Überzeugung war, sondern um zu sagen: selbst wenn es in Ordnung wäre dort zu speisen; wenn es deinem Bruder Schaden brächte, solltest du es nicht tun.
Nun wollen wir uns die Verse 1-6 genauer anschauen:
Die Verse 1-6 bringen den Auftakt zu dem oben geschilderten Argument. Paulus beginnt in Vers 1a mit einem Thema, das er unterbricht und in Vers 4 wieder aufnimmt. Dieses Argument soll zeigen, dass es tatsächlich nur einen Gott gibt und die anderen Mächte weder wirkliche Götter, noch Herren sind. Doch es findet sich, wie wir später sehen werden, auch schon die indirekte Botschaft, dass diese Mächte trotzdem gefährlich werden können, wenn man sich ihnen bedenkenlos aussetzt. Der Einschub von 1b-3 soll zeigen, dass niemand stolz auf seine Erkenntnis sein kann, denn wahre Gotteserkenntnis bedeutet, dass man von Gott erkannt wurde. Wenn aber der Grund der eigenen Erkenntnis ein passiver ist, dann kann man auf niemanden herabsehen, der sie nicht hat. Und diese Erkenntnis drückt sich in der Liebe aus. Eine Botschaft, die einer Christenheit sicher viel zu sagen hat, in der jeder meint die Bibel und das Christentum besser zu verstehen als der andere.
Die Verse 4-6
Nachdem Paulus von 1b-3 den Gedanken von 1a unterbrochen hatte, setzt Paulus nochmal neu an. Es geht um die Erkenntnis, dass alle Götzen und sogenannte Herren nicht wirklich Gott sind und dass es nur einen wahren Gott gibt. Hier sieht man schon, dass Paulus die Gottheit des einen wahren Gottes gegen die anderen Götter, bzw. Götzen richtet. Der Satz, dass es keinen Gott außer einem gibt, ist eine Anlehnung an das oben erwähnte Glaubensbekenntnis der Juden, das Sch’ma Israel; nicht die Götter der Heiden sind wahre Götter, sondern nur unser Gott, der die Welt allein erschaffen hat (Jesaja 44,24). Nun muss Paulus die Aussage, dass es nur einen Gott gibt, noch begründen. Dafür würde sich das Sch’ma Israel sehr gut eigenen. Doch davor fügt Paulus noch V5 ein.
In Vers 5 kommt der Hinweis, dass es tatsächlich Mächte gibt, die Götter oder Herren genannt werden und die gibt es wirklich! Warum fügt Paulus V5 noch ein, wo es ihm doch darum geht, den Sachverhalt zu belegen, dass es nur einen Gott gibt? Dazu blicken wir nochmal auf den Kontext. Oben habe ich bereits gezeigt, dass Paulus die Erkennenden später im Abschnitt (10,14-21) darauf hinweist, dass hinter den „sogenannten Göttern“ zwar keine wirklichen Götter stehen, sehr wohl aber reale, dämonische Mächte. Auch wenn er den Erkennenden in den V4-6 grundsätzlich zustimmt, weist er sie in V5 bereits darauf hin, dass hinter den Götzen nicht Nichts steht, sondern, dass es wirkliche Mächte sind. Jetzt aber begründet er die Ansicht, dass es nur einen Gott gibt.
Wer aufmerksam den Text gelesen hat, wird feststellen, dass sich V6 anders anhört als die anderen Verse. Der restliche Text um V6 ist argumentativ. In V6 wird es aber poetisch. Der Vers ist parallel angeordnet. A und a’ machen Aussagen über den Vater (einziger Gott) und den Sohn (einzige Herr). B und b’ machen jeweils schöpfungstheologische Aussagen und stellen das Verhältnis von Vater und Sohn zur Schöpfung klar. Der Vater ist der Ursprung der Schöpfung und der Zweck für das „wir“. Mit „wir“ ist hier wohl die neue Schöpfung gemeint, in der die Gläubigen leben. Das erhärtet sich in b’: alle Dinge sind durch den Herrn entstanden, er ist also der, der die Schöpfung ausgeführt hat. „Wir“ sind auch durch ihn entstanden. Das „wir“ ist in „alle Dinge“ eigentlich schon enthalten. Es ist also am sinnvollsten anzunehmen, dass das „wir“, die neue Schöpfung in Christus ist. Der Herr ist also nicht nur Schöpfer der alten Schöpfung, sondern auch der neuen. Eine Parallele dafür findet sich in Kol 1,16-18.
Es liegt hier offensichtlich eine andere Gattung vor als im Rest des Textes. Man sollte sich auch klarmachen, dass Paulus, um seine Argumentation zu stützen und ihr Autorität zu verleihen, häufiger entweder Bibelzitate (z.B. 1. Korinther 1,19) oder allgemein anerkannte Glaubensbekenntnisse (z.B. 1. Korinther 15, 3-5) zitiert.
Ein weiteres Indiz dafür, dass diese Passage nicht vollständig von Paulus stammen kann ist, dass Paulus in V5 schreibt: „wie es viele Götter gibt und viele Herren“. Vor diesem Zitat und nach V6 spielt der Titel „Herr“ keine Rolle. Es würde doch auch völlig ausreichen zu sagen, „wie es viele Götter gibt“, denn auch vor diesem Einschub wird nur über „sogenannte Götter“, nicht aber über „sogenannte Herren“ gesprochen. Plausibel ist, dass Paulus den Göttern noch „Herren“ hinzufügt, um den Einschub an das folgende Glaubensbekenntnis anzupassen. Käme das Glaubensbekenntnis von Paulus, hätte er eines schreiben können, in dem es nur um Gott geht. Doch weil das Bekenntnis nicht von ihm ist, muss er sich anpassen.
Betrachtet man die beiden Hauptsätze: „Für uns aber (ist) ein Gott, der Vater (a), und ein Herr, Jesus Christus (a’).“ und führt man sich das Sch’ma Israel vor Augen: „Der Herr unser Gott ist ein Herr“, versteht man, warum viele Exegeten hier einen Bezug sehen.1 Für das AT und das Judentum ist der einzige Herr der Gott des Volkes Israel. Hier aber wird Jesus Christus als der einzige Herr bezeichnet. Das Glaubensbekenntnis aus 1Kor 8,6 teilt die Bezeichnungen im Sch’ma Israel nun auf. Gott ist der Vater und Herr der Sohn. Im Sch’ma Israel betrifft beides offenkundig dasselbe Wesen. Der Gott Israels ist sowohl Herr als auch Gott. Hier geschieht also etwas unerhörtes. Der Sohn wird in das monotheistische Glaubensbekenntnis mit aufgenommen! Er hat in vollkommener Weise Anteil an der Gottheit des einzigen Gottes, des Vaters. Er gehört so eng zu diesem Gott, dass das Glaubensbekenntnis, dass nur für den allmächtigen Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde gilt, nun auch Jesus Christus mit umfasst.
Wenn Paulus in V5 mit den „Herren“ Götter gemeint hat, so tritt die Göttlichkeit Jesu noch deutlicher hervor. Dafür spricht, dass Paulus die „Herren“ in einem Atemzug mit den „sogenannten Göttern“ nennt, indem er sich auf die, „die Götter genannt werden“, bezieht. Er möchte ja sagen, dass hinter diesen Göttern wirkliche Mächte stehen, das drückt er mit der Parenthese „wie es viele Götter gibt und viele Herren“ aus. Mit Göttern und Herren meint er dann dieselben Mächte.
Es wird jetzt klar, dass die Aussage, dass nur der Vater Gott ist, nicht bedeutet, dass der Sohn nicht auch Gott sein kann. Sowohl die Aussage, dass allein der Vater Gott und allein Jesus Christus Herr ist, richtet sich gegen die „sogenannten Götter und […] Herren.“ Aus der Aussage „es gibt nur einen Gott“ zieht Paulus nicht die Konsequenz „deshalb kann der Sohn nicht Gott sein.“ Er benutzt diese Aussage, um daraus zu folgern: „die anderen, sogenannten Götter, können nicht echte Götter sein.“ Genauso zieht er aus der Aussage: „Herr ist allein Jesus Christus“ die Folgerung: „die anderen sogenannten Herren sind keine echten.“ Die beiden Begriffe Gott und Herr sollen nicht zwischen Sohn und Vater ausgespielt werden, sondern richten sich gegen die Mächte, die den Anspruch erheben Gott und Herr zu sein.
Damit ist die Trinität natürlich noch nicht bewiesen, denn hier fehlt noch der Heilige Geist. Aber dieser Vers bietet eine wichtige Grundlage für die Lehre der Dreieinigkeit.
Fazit
Auf den ersten Blick erscheint 1Kor 8,6 einem europäischen Leser des 21. Jahrhunderts auszusagen, dass Jesus gar nicht Gott sein kann, weil nur der Vater Gott ist. Doch bei genauerer Betrachtung wird klar, dass sich 1Kor 8,6 gegen die fremden Mächte richtet und sagen will, dass sie weder wirklich Gott noch Herr sein können, weil es davon nur einen gibt. Zu diesem Ergebnis kommt man zum einen, indem man sich den literarischen Kontext von 1Kor 8,6 anschaut, und sich zum anderen das monotheistische Verständnis des Judentums vor Augen führt und erkennt, dass der Vers einer anderen Gattung zugehört als der Rest des Abschnittes. Das führt dazu, dass man darin ein Glaubensbekenntnis erkennt, dass von Paulus zitiert und evtl. erweitert wurde. Diese Glaubensformel, dass nur der Vater Gott und der Sohn Herr sind, ist sehr wahrscheinlich in Anlehnung an das Sch’ma Israel entstanden und drückt aus, dass der Sohn von den Christen auf einer Ebene mit dem einzigen Gott gesehen wurde und sie deshalb problemlos auch das monotheistische Glaubensbekenntnis auf ihn anwenden konnten.
Ein Vers also, der auf den ersten Blick die Trinität infrage zustellen scheint, wird zu einem wichtigen Befürworter, wenn man sich ihn genauer anschaut.
Fußnoten:
- Vgl.: Thiselton: First Epistle. S.636ff. ↩︎
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