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Für uns ist ein Gott, der Vater – und der Sohn? Gedanken zu 1Kor 8,6 (Langversion).

Manche Kritiker der Trinität führen 1Kor 8,6 an, um zu zeigen, dass Jesus für das NT gar nicht Gott sein kann. Die Argumentation lautet dann: Weil nur der Vater Gott ist, kann es nicht der Sohn sein. Die Schwierigkeit, die man sich mit einer solchen Argumentation einfängt und was dieser Vers wirklich in Bezug auf Jesu Gottheit aussagt, will ich in diesem Artikel behandeln. Ich möchte allerdings keine ausführliche Auslegung der Verse 1-6 vorlegen, die sind nur des Zusammenhanges wegen aufgeführt. Der Artikel soll 1Kor 8,6 bezüglich der Frage interpretieren, was er über die Gottheit Jesu aussagt.

1Kor 8,1-6

1 Hinsichtlich des Götzenopferfleisches aber glauben wir: wir alle haben Erkenntnis. (1a)

Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe aber baut auf. (1b)

2 Wenn jemand meint etwas erkannt zu haben, der hat noch nie erkannt, wie man erkennen soll. 

3 Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt. 

4 Hinsichtlich des Essens von Götzenopferfleisch 

wissen wir, dass (es)1 keine Götzen in der Welt (gibt) und dass (es) keinen Gott (gibt) als nur einem. 

5 denn auch wenn es solche gibt, die Götter gennant werden, sei es im Himmel oder auf Erden – wie es viele Götter gibt und viele Herren – 

(ist) für uns aber ein Gott, der Vater, (a)

aus dem alle (Dinge) (sind) und wir zu ihm, (b)

und ein Herr, Jesus Christus, (a’)

durch den alle (Dinge) (sind) und wir durch ihn. (b’)

Einleitende Bemerkungen

Dass die Bibel in Sprache verfasst wurde, ist eine Bemerkung, die erst einmal banal klingt. Doch wer sich einmal darüber Gedanken gemacht, was Sprache eigentlich ist und wie sie funktioniert, für den bekommt diese Aussage ganz neue Dimensionen. Darum möchten wir uns, bevor wir mit der Interpretation von 1Kor 8,6 beginnen, einen sprachlichen Aspekt klarmachen (es liegt auch eine kürzere Version vor, die direkt zu der Interpretation kommt): 

Ein Satz kann manchmal etwas anderes bedeuten, als wörtlich dasteht. Oder um es fachsprachlich auszudrücken: Die Semantik (das „Wörtliche“) kann sich von der Pragmatik (die Absicht) unterscheiden. Und das kann es nicht nur, das macht es sogar sehr oft. 

Zunächst einmal kann dieser Unterschied auftreten, wenn Bildersprache verwendet wird: „HERR, mein Felsen und meine Bergfestung […]“ (Psalm 18,3). Bedeutet dieser Satz, dass Gott ein Fels aus Stein ist? Und wie könnte es sein, dass Gott gleichzeitig ein Fels und eine Bergfestung ist? Die meisten Leser werden erkannt haben, dass es um Bildersprache geht. Im konkreten Fall liegt eine Metapher vor. Die Absicht dieser Aussage ist nicht, Gott mit einer Bergfestung oder einem steinigen Felsen zu identifizieren, sondern ihm Eigenschaften oder Funktionen zuzuschreiben, die ein Fels und eine Bergfestung haben.

Doch es gibt noch weitere Fälle, bei denen diese Differenz von Semantik und Pragmatik zutrifft. Wenn jemand beispielsweise eine Geschichte erzählen will und mit den Worten beginnt: „Es war einmal“, dann wissen alle, die die Gattung Märchen kennen, dass der Erzähler von dem, was kommt, nicht beansprucht, dass es wirklich geschehen ist, ja es sogar bestreitet. Nähme man diesen Satz wörtlich, so sagt er genau das Gegenteil, nämlich, dass etwas tatsächlich geschehen ist. Die beabsichtigte Bedeutung dieses Satzes ist also genau das Gegenteil von dem, was der Satz wörtlich aussagt. Das legt daran, dass diese Einleitung Teil einer Gattung ist, die zwar narrativ (erzählend) ist, allerdings keinen Anspruch auf Historizität hat. 

Noch ein anderer Fall: Wenn mich am Bahnhof jemand fragt, ob ich denn wisse, wann der Zug kommt und ich einfach mit „Ja“ antworte, dürfte der Fragesteller höchst unzufrieden mit meiner Antwort sein. Ich habe ihm dann zwar auf seine Frage im wörtlichen Sinne geantwortet, aber mit dieser Frage wollte der Fragesteller nicht in erster Linie mein Wissen überprüfen, sondern eher Anteil an ihm haben. Die Frage „Wissen Sie wann der Zug fährt?“ ist wörtlich genommen zwar eine geschlossene Frage, also eine Frage, auf die man nur mit „Ja“ oder „Nein“ antworten kann, von der Absicht her aber eine offene, weil der Fragesteller in erster Linie wissen möchte, wann der Zug fährt und nicht, ob ich es weiß. Ähnlich verhält es sich, wenn ich am Esstisch gefragt werde, ob ich denn den Saft reichen könne. Hier wird nicht nach meiner Fähigkeit gefragt, sondern auf höfliche Weise der Wunsch ausgedrückt, dass der Bittende den Saft von mir haben will. Um diese Art von Differenz in der Bedeutung zu verstehen, benötigt es oft Kenntnisse über die Kultur, in der diese Frage oder diese Aussage ausgedrückt wird. Sprache kann eben nur innerhalb der Kultur verstanden werden, in der sie gesprochen wird. 

Einen Hinweis darauf, dass der Vers nicht wie von Trinitäts-Kritikern verstanden werden kann, ist folgender: Wenn aus dem Satz: „Für uns (ist) nur ein Gott, der Vater“ folgt, dass der Sohn nicht Gott sein kann, so muss auch aus der Aussage: „und ein Herr, Jesus Christus“ gefolgert werden, dass der Vater und damit Gott nicht Herr sein kann. Das wäre absurd, denn auch Jesus sagt in Mk 12,29, indem er 5.Mose 6,4 (das sogenannte „Sch’ma Israel“) zitiert: […] ἆκουε, Ἰσραήλ, κύριος ὁ θεὸς ἡμων κύριος εἷς ἐστιν (Ákoue, Israḯl, kýrios ho theós hēmṓn kýrios heís estin.)  „Der Herr unser Gott ist ein2 Herr“. Das ist das Monotheismusbekenntnis des Judentums (dazu gleich mehr). Hier wird schon deutlich, welches Problem sich die Trinitätskritiker einhandelt. 

Zum Kontext 

Begriffs- und Motivgeschichte

Wie eben beschrieben, gehört zum Kontext eines Verses auch die Kultur. Hierzu zuerst ein paar Begriffs- und Motiverklärungen:

Εἰδωλόθυτον (Eidōlóthyton): „Götzenopferfleisch“. Eidōlóthyton bezeichnet das Fleisch, das von heidnischen Opfern stammt.3 Ein Jude durfte es grundsätzlich nicht essen. Oft wurde das Fleisch, das vom Opfern übrig blieb, im Kontext von Feiern in Tempeln von Gottheiten gegessen. Es konnte allerdings auch auf dem Markt verkauft werden.4

Jüdischer Monotheismus: Hier nur soviel dazu: Der jüdische Monotheismus war in der (vor-)christlichen Zeit nach NT Wright kein numerischer.5 Das heißt, es ging Juden nicht darum zu sagen, dass die eine Gottheit genau eine Person oder Hypostase war. Es gibt zahlreiche Beispiele, bei denen im Judentum der Gedanke aufkam, dass das göttliche Wesen eine Pluralität aufweisen könnte. Monotheismus wurde verstanden als Lehre gegen die heidnischen Gottesvorstellungen (wir werden sehen, dass 1Kor 8,6 genau dieses Verständnis von Monotheismus auch hat). Wer sich also ein göttliches Wesen vorstellt, das nur eine Person sein kann, hat damit ein Gottesverständnis, das zur Zeit der Verfassung des 1. Korintherbriefes wohl kaum jemand hatte (und das sehr anthropomorph ist). 

Κύριος (Kýrios):„Herr“. Kýrios konnte eine Bezeichnung für Götter und Kaiser sein.6  Dadurch wird ein Element der Macht in den Gottesbegriff mitgeliefert. Besonders orientalische Gottheiten wurden Kýrios genannt. Es war also eine Bezeichnung für die Überlegenheit der Götter über die Wirklichkeit.

Nicht weiter verwunderlich ist also, dass in der griechischen Bibel, der Septuaginta (LXX), der Gottesnahme JHWH durch Kýrios ersetzt wurde. Allerdings ist der Gott Israels nach jüdischem Verständnis der einzige Herr, der über die ganze Wirklichkeit herrscht. Demnach gibt es für Juden eigentlich nur einen wirklichen Herrn, nämlich ihren Gott.

Im NT wird dieser Titel auf Jesus übertragen, auch, indem Bibelstellen aus dem AT auf Jesus überragen werden, in denen mit Kýrios eindeutig JHWH gemeint ist (z.B. Röm 10,13)7. Kýrios bedeute demnach: dass Jesus „derjenige [war], der das gegenwärtig und sichtbar macht, was das Alte Testament über JHWH gesagt hatte.“ 8

Literarischer Kontext

Kapitel 8-11

Die Verse 4-6 sind nicht Gegenstand des eigentlichen Themas von Kapitel 8-10. Dieses Thema behandelt ein offensichtliches Problem in der korinthischen Gemeinde; einige Christen meinten durch die Erkenntnis, dass es nur einen wahren Gott gibt, nun auch an Mahlzeiten in Götzentempeln teilnehmen zu dürfen. Es gab aber auch andere Christen, wahrscheinlich waren es Judenchristen, die durch ihre Prägung weder Götzenopferfleisch essen, geschweige denn an Mahlzeiten in Götzentempeln, teilnehmen konnten. Paulus nimmt in Kapitel 8 erst einmal an (wir werden gleich sehen warum), dass es in Ordnung ist, in solchen Tempeln zu speisen. Allerdings weist er auf die Geschwister hin, die ein Problem damit haben und ein schlechtes Gewissen bekämen, wenn sie es auch täten. Wenn man durch das eigene Verhalten diese Geschwister aber dazu bringt, etwas zu tun, was gegen ihr Gewissen spricht, hat man nicht aus Liebe gehandelt, sondern sich selbst und die eigene Freiheit für wichtiger gehalten als den Bruder oder die Schwester. 

In Kapitel 9 stellt Paulus sich als Beispiel dar. Er ist jedem ein Sklave geworden, um dem Evangelium zu dienen; die Korinther sollen ihm darin folgen. Daraufhin spricht er eine Warnung aus, damit diejenigen, die meinen Erkenntnis zu haben, nicht fallen, wie das Volk Israel (10,1-13). 

Bevor er nochmal an die Erkennenden appelliert, dass sie um des Evangeliums Willen ihre Freiheit zurückstellen sollen (10,23-33), warnt Paulus sie vor Gemeinschaften in Götzentempeln (14-22). Die sogenannten Götter dort sind zwar keine echten Götter, aber Dämonen. Aus der Tatsache, dass es nur einen Gott gibt, folgt also nicht, dass die sogenannten Götter harmlos sind. 

Um die Gemeinschaft mit den anderen Glaubenden und Christus nicht zu gefährden, sollte man nicht in Götzentempeln speisen, denn man kann nicht mit Dämonen und Christus gleichzeitig Gemeinschaf haben. 

In Kapitel 8 hatte Paulus ja noch angenommen, dass es in Ordnung ist in Götzentempeln zu essen, nicht aber weil das seine Überzeugung war, sondern um zu sagen: selbst wenn es in Ordnung wäre dort zu speisen; wenn es deinem Bruder Schaden brächte, solltest du es nicht tun. 

Nun wollen wir uns die Verse 1-6 genauer anschauen:

Die Verse 1-6 bringen den Auftakt zu dem oben geschilderten Argument. Paulus beginnt in Vers 1a mit einem Thema, das er unterbricht und in Vers 4 wieder aufnimmt. Dieses Argument soll zeigen, dass es tatsächlich nur einen Gott gibt und die anderen Mächte weder wirkliche Götter, noch Herren sind. Doch es findet sich, wie wir später sehen werden, auch schon die indirekte Botschaft, dass diese Mächte trotzdem gefährlich werden können, wenn man sich ihnen bedenkenlos aussetzt. Der Einschub von 1b-3 soll zeigen, dass niemand stolz auf seine Erkenntnis sein kann, denn wahre Gotteserkenntnis bedeutet, dass man von Gott erkannt wurde. Wenn aber der Grund der eigenen Erkenntnis ein passiver ist, dann kann man auf niemanden herabsehen, der sie nicht hat. Und diese Erkenntnis drückt sich in der Liebe aus. Eine Botschaft, die einer Christenheit sicher viel zu sagen hat, in der jeder meint die Bibel und das Christentum besser zu verstehen als der andere. 

Nun aber zum eigentlichen Teil:

Die Verse 4-6

Nachdem Paulus von 1b-3 den Gedanken von 1a unterbrochen hatte, setzt Paulus nochmal neu an. Es geht um die Erkenntnis, dass alle Götzen und sogenannte Herren nicht wirklich Gott sind und dass es nur einen wahren Gott gibt. Hier sieht man schon, dass Paulus die Gottheit des einen wahren Gottes gegen die anderen Götter, bzw. Götzen richtet. Der Satz, dass es keinen Gott außer einem gibt, ist eine Anlehnung an das oben erwähnte Glaubensbekenntnis der Juden, das Sch’ma Israel; nicht die Götter der Heiden sind wahre Götter, sondern nur unser Gott, der die Welt allein erschaffen hat (Jesaja 44,24). Nun muss Paulus die Aussage, dass es nur einen Gott gibt, noch begründen. Dafür würde sich das Sch’ma Israel sehr gut eigenen. Doch davor fügt Paulus noch V5 ein.

In Vers 5 kommt der Hinweis, dass es tatsächlich Mächte gibt, die Götter oder Herren genannt werden und die gibt es wirklich! Warum fügt Paulus V5 noch ein, wo es ihm doch darum geht, den Sachverhalt zu belegen, dass es nur einen Gott gibt? Dazu blicken wir nochmal auf den Kontext. Oben habe ich bereits gezeigt, dass Paulus die Erkennenden später im Abschnitt (10,14-21) darauf hinweist, dass hinter den „sogenannten Göttern“ zwar keine wirklichen Götter stehen, sehr wohl aber reale, dämonische Mächte. Auch wenn er den Erkennenden in den V4-6 grundsätzlich zustimmt, weist er sie in V5 bereits darauf hin, dass hinter den Götzen nicht Nichts steht, sondern, dass es wirkliche Mächte sind. Jetzt aber begründet er die Ansicht, dass es nur einen Gott gibt. 

Wer aufmerksam den Text gelesen hat, wird feststellen, dass sich V6 anders anhört als die anderen Verse. Der restliche Text um V6 ist argumentativ. In V6 wird es aber poetisch. Der Vers ist parallel angeordnet. A und a’ machen Aussagen über den Vater (einziger Gott) und den Sohn (einzige Herr). B und b’ machen jeweils schöpfungstheologische Aussagen und stellen das Verhältnis von Vater und Sohn zur Schöpfung klar. Der Vater ist der Ursprung der Schöpfung und der Zweck für das „wir“. Mit „wir“ ist hier wohl die neue Schöpfung gemeint, in der die Gläubigen leben. Das erhärtet sich in b’: alle Dinge sind durch den Herrn entstanden, er ist also der, der die Schöpfung ausgeführt hat. „Wir“ sind auch durch ihn entstanden. Das „wir“ ist in „alle Dinge“ eigentlich schon enthalten. Es ist also am sinnvollsten anzunehmen, dass das „wir“, die neue Schöpfung in Christus ist. Der Herr ist also nicht nur Schöpfer der alten Schöpfung, sondern auch der neuen. Eine Parallele dafür findet sich in Kol 1,16-18. 

Es liegt hier offensichtlich eine andere Gattung vor als im Rest des Textes. Man sollte sich auch klarmachen, dass Paulus, um seine Argumentation zu stützen und ihr Autorität zu verleihen, häufiger entweder Bibelzitate (z.B. 1. Korinther 1,19) oder allgemein anerkannte Glaubensbekenntnisse (z.B. 1. Korinther 15, 3-5) zitiert.

Ein weiteres Indiz dafür, dass diese Passage nicht vollständig von Paulus stammen kann ist, dass Paulus in V5 schreibt: „wie es viele Götter gibt und viele Herren“. Vor diesem Zitat und nach V6 spielt der Titel „Herr“ keine Rolle. Es würde doch auch völlig ausreichen zu sagen, „wie es viele Götter gibt“, denn auch vor diesem Einschub wird nur über „sogenannte Götter“, nicht aber über „sogenannte Herren“ gesprochen. Plausibel ist, dass Paulus den Göttern noch „Herren“ hinzufügt, um den Einschub an das folgende Glaubensbekenntnis anzupassen. Käme das Glaubensbekenntnis von Paulus, hätte er eines schreiben können, in dem es nur um Gott geht. Doch weil das Bekenntnis nicht von ihm ist, muss er sich anpassen. 

Betrachtet man die beiden Hauptsätze: „Für uns aber (ist) ein Gott, der Vater (a), und ein Herr, Jesus Christus (a’).“ und führt man sich das Sch’ma Israel vor Augen: „Der Herr unser Gott ist ein Herr“, versteht man, warum viele Exegeten hier einen Bezug sehen.9 Für das AT und das Judentum ist der einzige Herr der Gott des Volkes Israel. Hier aber wird Jesus Christus als der einzige Herr bezeichnet. Das Glaubensbekenntnis aus 1Kor 8,6 teilt die Bezeichnungen im Sch’ma Israel nun auf. Gott ist der Vater und Herr der Sohn. Im Sch’ma Israel betrifft beides offenkundig dasselbe Wesen. Der Gott Israels ist sowohl Herr als auch Gott. Hier geschieht also etwas unerhörtes. Der Sohn wird in das monotheistische Glaubensbekenntnis mit aufgenommen! Er hat in vollkommener Weise Anteil an der Gottheit des einzigen Gottes, des Vaters. Er gehört so eng zu diesem Gott, dass das Glaubensbekenntnis, dass nur für den allmächtigen Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde gilt, nun auch Jesus Christus mit umfasst. 

Wenn Paulus in V5 mit den „Herren“ Götter gemeint hat, so tritt die Göttlichkeit Jesu noch deutlicher hervor. Dafür spricht, dass Paulus die „Herren“ in einem Atemzug mit den „sogenannten Göttern“ nennt, indem er sich auf die, „die Götter genannt werden“, bezieht. Er möchte ja sagen, dass hinter diesen Göttern wirkliche Mächte stehen, das drückt er mit der Parenthese „wie es viele Götter gibt und viele Herren“ aus. Mit Göttern und Herren meint er dann dieselben Mächte.

Es wird jetzt klar, dass die Aussage, dass nur der Vater Gott ist, nicht bedeutet, dass der Sohn nicht auch Gott sein kann. Sowohl die Aussage, dass allein der Vater Gott und allein Jesus Christus Herr ist, richtet sich gegen die „sogenannten Götter und […] Herren.“ Aus der Aussage „es gibt nur einen Gott“ zieht Paulus nicht die Konsequenz „deshalb kann der Sohn nicht Gott sein.“ Er benutzt diese Aussage, um daraus zu folgern: „die anderen, sogenannten Götter, können nicht echte Götter sein.“  Genauso zieht er aus der Aussage: „Herr ist allein Jesus Christus“ die Folgerung: „die anderen sogenannten Herren sind keine echten.“ Die beiden Begriffe Gott und Herr sollen nicht zwischen Sohn und Vater ausgespielt werden, sondern richten sich gegen die Mächte, die den Anspruch erheben Gott und Herr zu sein. 

Damit ist die Trinität natürlich noch nicht bewiesen, denn hier fehlt noch der Heilige Geist. Aber dieser Vers bietet eine wichtige Grundlage für die Lehre der Dreieinigkeit. 

Fazit

Auf den ersten Blick erscheint 1Kor 8,6 einem europäischen Leser des 21. Jahrhunderts auszusagen, dass Jesus gar nicht Gott sein kann, weil nur der Vater Gott ist. Doch bei genauerer Betrachtung wird klar, dass sich 1Kor 8,6 gegen die fremden Mächte richtet und sagen will, dass sie weder wirklich Gott noch Herr sein können, weil es davon nur einen gibt. Zu diesem Ergebnis kommt man zum einen, indem man sich den literarischen Kontext von 1Kor 8,6 anschaut, und sich zum anderen das monotheistische Verständnis des Judentums vor Augen führt und erkennt, dass der Vers einer anderen Gattung zugehört als der Rest des Abschnittes. Das führt dazu, dass man darin ein Glaubensbekenntnis erkennt, dass von Paulus zitiert und evtl. erweitert wurde. Diese Glaubensformel, dass nur der Vater Gott und der Sohn Herr sind, ist sehr wahrscheinlich in Anlehnung an das Sch’ma Israel entstanden und drückt aus, dass der Sohn von den Christen auf einer Ebene mit dem einzigen Gott gesehen wurde und sie deshalb problemlos auch das monotheistische Glaubensbekenntnis auf ihn anwenden konnten. 

Ein Vers also, der auf den ersten Blick die Trinität infrage zustellen scheint, wird zu einem wichtigen Befürworter, wenn man sich ihn genauer anschaut. 

Quellen

  • Arzt-Grabner Peter u.a. (Hgg): 1. Korinther. Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament (Band 2), Göttingen, 2006.
  • Thiselton Anthony C.: The first Epistle to the Corinthians. A Commentary on the Greek Text, Grand Rapids, 2000.
  • Wright Nicholas Thomas: Die Auferstehung des Sohnes Gottes. Marburg an der Lahn, 2014; The Resurrection of the Son of God. London, 2003.
  • Wright Nicholas Thomas: Das Neue Testament und das Volk Gottes. Marburg an der Lahn, 2011; The New Testament und the People of God. London, 2003.
  • Wright Nicholas Thomas: Paulus für heute. Der 1.Korintherbrief, Gießen, 2020; Paul for everyone, 1 Corinthians. London, 2004.
  • Kittel Gerhard u.a. (Hgg): „Art.Εἰδωλόθυτον“, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament 2 (2019), 375f. 
  • Kittel Gerhard u.a. (Hgg): „Art.Κύριος“, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament 3 (2019), 1038-1095. 

Fußnoten

  1. Die Wörter, die Klammern stehen, sind so im griechischen nicht vorhanden, aber für die deutsche Grammatik notwendig. ↩︎
  2. Hier ist nicht der unbestimmte Artikel gemeint, sondern ein Zahlwort. Man könnte auch übersetzen mit: „Der Herr, unser Gott, ist einzig Herr.“ Möglich wäre aber auch: „Der Herr, unser Gott, der Herr ist einer.“ Fakt ist aber, dass Gott Herr genannt wurde.  ↩︎
  3. Kittel: Εἰδωλόθυτον. S.375 f.  ↩︎
  4. Wright: 1. Korintherbrief. S.123 ↩︎
  5. Wright: Volk Gottes. S.330.  ↩︎
  6. Kittel: Κύριος. S.1046-1045. ↩︎
  7. Wright: Auferstehung. S.95. ↩︎
  8. A.a.O. 702.  ↩︎
  9. Vgl.: Thiselton: First Epistle. S.636ff. ↩︎

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