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Kritik an Karl Barths Offenbarungsdenken

Die Frage nach der Gottesoffenbarung (sprich: was kann man von Gott wissen?) war zentral für die Theologie von Karl Barth. Diese Frage war der entscheidende Knackpunkt für den Bruch mit der liberalen Theologie seiner Zeit. Dieser Artikel soll sein Offenbarungsdenken kurz darstellen und anschließend fünf Kritikpunkte liefern.

Das Offenbarungsverständnis von Karl Barth

  1. Offenbarung ist Gottes eigenes Handeln. Karl Barth ging in seiner Theologie immer von Gott aus – bloß nicht vom Menschen! Offenbarung geht nicht aus menschlicher Erkenntnis oder aus natürlicher Theologie hervor, sondern ist ausschließlich ein Akt Gottes. „Gott offenbart sich als Herr. Er offenbart sich selbst. Er offenbart sich durch sich selbst.“1
  2. Offenbarung hat eine dreifache Gestalt. Karl Barth unterscheidet zwischen Jesus Christus als der Offenbarung Gottes,2 der Heiligen Schrift als Zeugnis der Offenbarung3 und der Verkündigung als Vermittlung der Offenbarung.4 Trotz dieser dreifachen Gestalt genießt Christus aber eine Vorrangstellung.
  3. Christus ist die einzige Offenbarung. Karl Barth versteht Jesus Christus als die einzige Offenbarung Gottes, das einzige Wort Gottes. Die Heilige Schrift kann dieses eine wahre Wort Gottes nur bezeugen: „Die Heilige Schrift ist Zeugnis der göttlichen Offenbarung, nicht diese selbst.“5 Die Natur und Kultur können nichts über Gott sagen. Barth wählt einen radikal christologischen (vielleicht auch “christomonistischen” [s.u.]) Ansatz. Eng damit verbunden ist seine Ablehnung von natürlicher Theologie.
  4. Keine natürliche Theologie. In seiner Schrift „Nein! Antwort an Emil Brunner“ macht Karl Barth deutlich, dass er jede Form natürlicher Theologie ablehnt. Natürliche Theologie ist der Versuch, dass man Gott durch die Vernunft oder die Natur erkennen kann. Er schreibt dort: „Die Offenbarung hebt sich gerade dadurch von aller Religion ab, dass sie sich nicht aus der menschlichen Natur, sondern allein aus Gott selbst ergibt.“6 Barth negiert natürliche Gotteserkenntnis auf radikalste Art und Weise.

Fünf Kritikpunkte:

Ich finde Karl Barths Offenbarungsverständnis insgesamt sehr sympathisch. Vor allem als „Evangelikaler“ kann ich seiner Theologie, die vom Handeln Gottes ausgeht und die Christus als das entscheidende Zentrum hat, sehr viel abgewinnen. Sein theozentrischer Erkenntnisansatz ist nachvollziehbar und stimmt im Großen und Ganzen mit dem Zeugnis der Heiligen Schrift überein. Es gibt allerdings auch einige Aspekte, die ich kritisch sehe oder wo ich zumindest Fragen habe. Fünf möchte ich hier kurz nennen, wobei es sicherlich noch mehr gäbe.

1. Noetische Engführung

Für Karl Barth ist die Frage nach der Erkennbarkeit Gottes die zentrale Angelegenheit. Meines Erachtens ist dies jedoch eine noetische Engführung, das heißt, sie bauscht die epistemologische Frage nach Gott unsachgemäß auf. Weder in den biblischen Schriften7 noch in der längsten Zeit der Theologiegeschichte gab es großes Interesse für die Frage: „Können wir Gott erkennen? Und wenn ja, wie?“ Erst die Philosophiegeschichte der letzten 300-400 Jahre (angestoßen durch den Rationalismus sowie durch Immanuel Kant) hat die Frage nach der Erkennbarkeit Gottes verstärkt gestellt.8 Damit ist noch nicht die Irrelevanz der Frage nach der Gotteserkenntnis postuliert, aber zumindest eine Relativierung im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Theologie. Um es kurz zu fassen: Barths Theologie wird rationalistisch, weil er die Frage nach der Gotteserkenntnis zum alles bestimmenden Dogma macht.

2. Exegetische Fragwürdigkeiten

Dieser zweite Punkt ist als Fortführung des ersten Punktes zu verstehen. Obwohl die Bibel kein Interesse am „noetischen Gottesproblem“ hat, gibt es einige Bibelstellen, die eine natürliche Theologie beinhalten, bzw. von allgemeiner Offenbarung sprechen. Hier drei Beispiele aus dem Neuen Testament:

weil das von Gott Erkennbare unter ihnen offenbar ist, denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn sein unsichtbares Wesen, sowohl seine ewige Kraft als auch seine Göttlichkeit, wird seit Erschaffung der Welt in dem Gemachten wahrgenommen und geschaut, damit sie ohne Entschuldigung seien; weil sie Gott kannten, ihn aber weder als Gott verherrlichten noch ihm Dank darbrachten, sondern in ihren Überlegungen in Torheit verfielen und ihr unverständiges Herz verfinstert wurde.

Röm 1,19-21

dass sie Gott suchen, ob sie ihn vielleicht tastend fühlen und finden möchten, obwohl er ja nicht fern ist von jedem von uns. Denn in ihm leben und weben und sind wir, wie auch einige eurer Dichter gesagt haben: Denn wir sind auch sein Geschlecht.

Apg 17,27-28

und sprachen: Männer, warum tut ihr dies? Auch wir sind Menschen von gleichen Empfindungen wie ihr und verkündigen euch, dass ihr euch von diesen nichtigen Götzen bekehren sollt zu dem lebendigen Gott, der den Himmel und die Erde und das Meer gemacht hat und alles, was in ihnen ist. Er ließ in den vergangenen Geschlechtern alle Nationen in ihren eigenen Wegen gehen, obwohl er sich doch nicht unbezeugt gelassen hat, indem er Gutes tat und euch vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gab und eure Herzen mit Speise und Fröhlichkeit erfüllte.

Apg 14,15-18

Hier wird deutlich, dass es dem Neuen Testament nicht um ein noetisches Erkenntnisproblem geht. Im Gegenteil: Allen Menschen (auch den Heiden, um die es in allen drei Bibelstellen geht!) ist Gott bekannt. Es gibt also keine grundsätzliche ontologische Gottesferne. Das Problem für Paulus ist stattdessen die Sünde, nämlich, dass die Menschen den bekannten Gott nicht geehrt und ihm nicht gedankt haben (Röm 1,21).

3. Kantianischer Dualismus

Karl Barth ist mit seiner Theologie letztlich bei Immanuel Kant zur Schule gegangen: er übernahm nämlich Kants strenge Trennung zwischen Transzendenz und Immanenz. Es könne keine unmittelbare Gotteserkenntnis geben, weil Gottes Transzendenz uns (in unserer Immanenz) nicht zugänglich ist. Dieser epistemologische Dualismus zwischen Gott und Mensch, zwischen dem Absoluten und dem Bedingten, zwischen „Himmel und Erde“ war typisch für Kant und daher auch für Barth.

Hier liegt übrigens auch der Grund, warum Barth apologetische Bemühen kategorisch ablehnt. Apologetik führe nicht zu Gott, weil sie vernunftbasiert ist. Barth versucht diesen kantianischen Dualismus durch das Offenbarungsgeschehen in Jesus Christus zu überwinden, scheitert aber letztlich. Der Kantianische Dualismus findet sich in dieser Radikalität nicht in der Bibel.

4. Kontinuität der Schöpfung

Gott hat die Welt geschaffen. Er ist zwar nicht immanent in der Beziehung zur Schöpfung, doch liegt insofern eine Kontinuität vor, als dass Spuren seines schöpferischen Handelns noch erkennbar sind (so die Bibel, siehe oben Punkt 2). Auch wenn der menschliche Verstand und die menschliche Sinneswahrnehmung durch die Sünde korrumpiert sind, muss man von verbleibenden Minimal-Kontinuität der Schöpfung ausgehen (über das Ausmaß und die Qualität dieser Kontinuität lässt sich streiten). Barth vernachlässigt diese Kontinuität, wenn er sagt, dass man nirgendwo außerhalb von Christus Offenbarung finden kann.

Kleiner Exkurs: Wenn ich von Kontinuität rede, möchte ich nicht sagen, dass der Mensch aus eigener Willens-, Vernunft- oder Sinneskraft Gott in der Schöpfung erkennen kann. Die Kontinuität in der Schöpfung ist Teil der göttlichen Offenbarung. Nur weil Gott durch die Schöpfung redet, kann der Mensch darauf antworten. Problematisch ist hier die Fokussierung Barths auf Christus als einzige Offenbarungsquelle, womit wir zum nächsten und letzten Kritikpunkt kommen.

5. Christomonismus

Barth versteht Jesus Christus als die schlechthinnige Offenbarung. Es gebe keine anderen mittelbaren oder unmittelbaren Offenbarungen neben ihm. Nur in Christus habe Gott sich gezeigt. „Vermeintliche Offenbarungen“ wie bspw. die Reden und Taten Jesu, die Bibel, die Predigt, die Sakramente, das Kirchenamt, individuelle Glaubenserfahrung etc. seien nur Zeichen dieser Offenbarung und besitzen als solche lediglich einen Hinweischarakter.9

Grundsätzlich ist der christologische Fokus von Barth sympathisch, aber nicht in dieser Radikalität. In der Bibel wird Christus zwar als Offenbarung Gottes und Inhalt des Glaubens verstanden, aber nicht ausschließlich. Wie oben bereits gezeigt (2. Exegetische Fragwürdigkeiten), gibt es laut Bibel mindestens in der Schöpfung die Möglichkeit zur Gotteserkenntnis. Wenn Barth hier also eine Verengung auf Christus vornimmt, ist das zwar sympathisch, aber nicht bibelgemäß.


Fußnoten:

  1. Barth, Kirchliche Dogmatik I/1, S.295. ↩︎
  2. ebd. I/2, S.3. ↩︎
  3. ebd. I/2, S. 533. ↩︎
  4. ebd. I/1, S. 136. ↩︎
  5. ebd. I/2, S. 533. ↩︎
  6. Barth, Nein! Antwort an Emil Brunner (1934), S. 19. ↩︎
  7. Weber, Dogmatik I, 231. ↩︎
  8. Ebd. 187. „Der Begriff [Offenbarung] ist im gleichen Maße gewichtiger geworden, wie die mit ihm gemeinte Sache zweifelhafter wurde … [er] ist zum Indiz dafür geworden, dass die Theologie nicht mehr aus der Wirklichkeit der Offenbarung lebt.“ ↩︎
  9. Barth, Das christliche Verständnis von der Offenbarung 1935/36, 270-279. ↩︎

Bildquelle: KEYSTONE/IMAGNO/Franz Hubmann

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