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Bonhoeffer: Billige Gnade – teure Gnade

Im Jahr 1937 veröffentlichte Dietrich Bonhoeffer sein Werk Nachfolge, in dem er sich mit einem grundlegenden Problem der evangelischen Kirche seiner Zeit auseinandersetzte: dem Verständnis von Gnade und Nachfolge. Bonhoeffer prägte dabei den Gegensatz von „billiger“ und „teurer“ Gnade. Die ersten beiden Sätze des ersten Kapitels, die vielleicht zu den bekanntesten theologischen Sätzen des 20. Jahrhunderts gehören, fassen sein Anliegen zusammen: „Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure Gnade.“ Was genau meint Bonhoeffer, wenn er von billiger und teurer Gnade redet? Dieser Artikel soll Bonhoeffers Argumentation im ersten Kapitel („Die teure Gnade“) nachzeichnen und kurz zusammenfassen.

Billige Gnade

Billige Gnade ist nach Bonhoeffer eine Gnade, die von der Nachfolge getrennt wird, eine Gnade, die keinen Preis und keine Kosten kennt. Sie ist nur „Lehre, Prinzip, System, Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit“ und verliert dadurch ihre transformative Kraft. Statt Sünder zu rechtfertigen, wird die Sünde selbst gerechtfertigt. In der Praxis zeigt sich dies in der Predigt von Vergebung ohne Buße, der Taufe ohne Gemeindezucht, dem Abendmahl ohne Bekenntnis und der Absolution ohne persönliche Beichte. Diese Form der Gnade führt zu einer banalen Bedeckung der Sünden, ohne, dass der Sünder selbst erneuert wird. Sie wird zur billigen Vertröstung und letztlich zur Leugnung von Jesus Christus, dem lebendigen Wort Gottes. Ein Glaube, der die Gnade zwar akzeptiert, aber die Gebote ablehnt, verliert seine Wurzeln, weil er nicht mehr Christus nachfolgt.

Teure Gnade

Im Gegensatz dazu ist teure Gnade das Evangelium in Reinform. Sie ist teuer, weil sie in die Nachfolge ruft, und Gnade, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft. Diese Gnade fordert Hingabe und die Bereitschaft, das Joch Jesu zu tragen – ein Joch, das letztlich jedoch leicht ist, weil Jesus Christus es mitträgt. Paradoxerweise kostet teure Gnade dem Menschen sein Leben, weil sie es ihm schenkt. Teure Gnade ist keine abstrakte Idee, sondern eine konkrete Herausforderung, die zur Veränderung des Lebens aufruft. Sie bedeutet nicht nur Vergebung, sondern auch Erneuerung und den Ruf, die Gebote Gottes zu halten. Das ist also teure Gnade: sie verbindet Gnade und Nachfolge als eine unauflösliche Einheit miteinander.

Siehe auch  Am Anfang war das Wort: Eine theologische und linguistische Untersuchung von Johannes 1:1

Das Mönchtum und Martin Luther

Bonhoeffer unternimmt im Verlauf seines Kapitels einen kurzen kirchengeschichtlichen Abriss. Dabei stellt er dar, wie billige und teure Gnade im Mönchtum und bei Martin Luther zum Vorschein kamen.

Die Mönche der alten Kirche und des Mittelalters hatten tatsächlich verstanden, dass Gnade teuer ist und dass sie die Nachfolge immer miteinschließt. Allerdings relativierte die katholische Kirche diesen Lebensstil dadurch, dass sie ihn als nur einen möglichen Lebensstil unter vielen betrachtete. Die Mönche zogen sich – und das kritisiert Bonhoeffer an ihnen – aus der Welt zurück, sodass Nachfolge und die Idee der teuren Gnade auf ein Nischendasein reduziert wurde. Die Mönche gaben ungewollt „der Verweltlichung der Kirche die letzte Rechtfertigung.“ Die Kirche konnte ihren „leichten“ Weg mit Verweis auf die Option des „schweren“ mönchischen Weges rechtfertigen.

Martin Luther begann sein geistliches Leben als Mönch. Sein entscheidender Beitrag, der ihn vom Mönchtum abgrenzte, bestand nun darin, dass er die Nachfolge aus dem Kloster wieder in die Welt trug. „Sein Weg aus dem Kloster zurück in die Welt bedeutete den schärfsten Angriff, der seit dem Urchristentum auf die Welt geführt worden war.“ Für Luther musste der Glaube mitten im Alltag gelebt werden. So entdeckte Luther die teure Gnade und verschärfte den Ruf der Nachfolge bis ins Unendliche.

Bonhoeffers Gegenwart

Bonhoeffer sieht in der zeitgenössischen evangelischen Kirche, dass sich die Akzentsetzung vom lutherischen Gnadenverständnis entscheidend verschoben hat – ins Negative. Die Gnade wird zur selbstverständlichen Voraussetzung des christlichen Lebens und damit zur billigen Gnade. Dadurch entsteht eine Haltung, die Sünde als legitim betrachtet. Sünde (nicht der Sünder) wird gerechtfertigt, sodass letztlich die gesamte Welt christlich wird, während „das Christentum unter dieser Gnade in nie dagewesener Weise zur Welt geworden ist.“ Diese Entwicklung hat der evangelischen Kirche – so Bonhoeffer – enorm geschadet. Viele Christen folgen nicht mehr wirklich nach, weil die Kirche billige Gnade verkündet und diese Gnade stellt keine Ansprüche an ein Christenleben auf.

Siehe auch  Bonhoeffer: Die Nachfolge und das Kreuz

Bonhoeffer schreibt zum Ende des ersten Kapitels, dass „Gnade und Nachfolge wieder in ihrem rechten Verhältnis zueinander“ verstanden werden müssen. Genau darum hat er „Nachfolge“ geschrieben. Das Buch lohnt sich für jeden, der nicht nur einen theologischen Klassiker des 20. Jahrhunderts lesen will, sondern ein Buch, dass den eigenen Glauben herausfordert. Seine Kritik an der Trennung von Gnade und Nachfolge bleibt angesichts moderner Tendenzen, den Glauben zu individualisieren und von der Nachfolge zu entkoppeln, weiterhin hochaktuell.

Gekauft werden kann das Buch z.B. bei Thalia: https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1001063701

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