Die Bedeutung der „Gerechtigkeit Gottes“ in den Schriften des Paulus ist umstritten und hat eine wesentliche Rolle in unserem Verständnis seiner Erlösungslehre gespielt. Wir beginnen mit einer Auflistung der zentralen Texte:
Denn in ihm [dem Evangelium] wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben (Röm. 1,17).
Wenn aber unsere Ungerechtigkeit die Gerechtigkeit Gottes hervorhebt, was sollen wir sagen? Ich rede nach menschlicher Weise: Ist Gott ungerecht, wenn er Zorn ausgießt? (Röm. 3,5).
Aber jetzt ist die Gerechtigkeit Gottes ohne Gesetz offenbart worden – bezeugt durch das Gesetz und die Propheten –, das heißt, die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus, für alle, die glauben, denn es gibt keinen Unterschied (Röm. 3,21-22).
Gott hat ihn [Jesus] als Sühneopfer durch den Glauben an sein Blut vorgestellt, um seine Gerechtigkeit zu zeigen, weil Gott in seiner Geduld die zuvor begangenen Sünden übersehen hat. Gott hat ihn vorgestellt, um seine Gerechtigkeit zu zeigen zu dieser Zeit, damit er gerecht ist und den gerecht erklärt, der den Glauben an Jesus hat (Röm. 3,25-26).
Weil sie die Gerechtigkeit Gottes nicht erkannten und versuchten, ihre eigene Gerechtigkeit zu errichten, haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen (Röm. 10,3).
Von ihm [Gott] aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gegebene Weisheit geworden ist – unsere Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung (1 Kor. 1,30).
Der [Gott] hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir die Gerechtigkeit Gottes in ihm werden (2 Kor. 5,21).
Und in ihm gefunden zu werden, nicht mit einer eigenen Gerechtigkeit aus dem Gesetz, sondern mit der durch den Glauben an Christus – der Gerechtigkeit von Gott, die auf dem Glauben beruht (Phil. 3,9).
Um die Gerechtigkeit Gottes zu verstehen, müssen wir den alttestamentlichen Hintergrund untersuchen, da dieser eine entscheidende Rolle dabei spielt, wie Paulus den Begriff verwendet. Auch hier ist es hilfreich, die zentralen Texte zu nennen:
„HERR, bei dir suche ich Zuflucht; lass mich nie zuschanden werden. Erlöse mich durch deine Gerechtigkeit (Ps. 31,1).
Verbreite deine treue Liebe über die, die dich kennen, und deine Gerechtigkeit über die Aufrichtigen im Herzen (Ps. 36,10).
Himmel, tropft von oben, und Wolken sollen Gerechtigkeit regnen lassen. Die Erde öffne sich, dass Erlösung sprieße, und Gerechtigkeit mit ihr aufwache. Ich, der HERR, habe es geschaffen (Jes. 45,8).
Hilf mir in deiner Gerechtigkeit; rette und erlöse mich, neig dein Ohr mir zu und rette mich (Ps. 71,2).
Ich bringe meine Gerechtigkeit nahe; sie ist nicht fern, und meine Erlösung wird nicht zögern. Ich werde Erlösung nach Zion bringen, meinen Glanz nach Israel (Jes. 46,13).“
Weitere Texte könnten hinzugefügt werden (Ps 40,10; 88,11–12; 98,2–3; 143,1; Jes 51,4–8). Im hebräischen Parallelismus erkennen wir die enge Verbindung zwischen Gottes Errettung und seiner Gerechtigkeit. In den oben genannten Beispielen bezieht sich Gottes Gerechtigkeit auf seine rettende Gerechtigkeit. Diese rettende Gerechtigkeit Gottes wird in mehreren Texten hervorgehoben, die von seinen „gerechten Taten“ sprechen (Ri 5,11; 1Sam 12,7; Ps 103,6; Dan 9,16; Mi 6,5), in denen er eingreift und Israel durch seine Gnade rettet.
Bemerkenswert ist hier die enge Verknüpfung von Gerechtigkeit und Errettung, da die meisten deutschsprachigen Leser Gerechtigkeit eher im juristischen Sinn verstehen als im Sinn von „Errettung“ . Andererseits dürfen wir nicht den Fehler machen, Gerechtigkeit und Errettung in den oben genannten Versen gleichzusetzen. Vielmehr können wir sagen, dass die Rettung seines Volkes Israel, gerecht ist.
Bei Paulus sehen wir, dass er häufig betont, dass Gerechtigkeit durch den Glauben kommt. Er spricht von der „Gerechtigkeit durch den Glauben“ (Röm 3,22), der „Gerechtigkeit des Glaubens“ (Röm 4,13) und der „Gerechtigkeit aus Glauben“ (Röm 9,30; vgl. auch Röm 4,11; 10,4.6.10; Gal 5,5; Phil 3,9). Gleichzeitig schließt Paulus das Gesetz oder Werke als Weg zur Erlangung der Gerechtigkeit aus (Röm 3,21; 4,6; 9,31; 10,5; Gal 2,21; 3,21; Phil 3,9).
Eine der bedeutendsten Formulierungen in der Theologie des Paulus ist die „Gerechtigkeit Gottes“. Dieser Ausdruck erscheint in einigen der zentralsten soteriologischen Passagen in den Schriften des Paulus. Hier sind die entscheidenden Texte:
„Denn in ihm [dem Evangelium] wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben (Röm. 1,17).
Wenn aber unsere Ungerechtigkeit die Gerechtigkeit Gottes hervorhebt, was sollen wir sagen? Ich spreche nach menschlicher Weise: Ist Gott ungerecht, wenn er Zorn ausgießt? (Röm. 3,5).
Aber jetzt ist die Gerechtigkeit Gottes ohne Gesetz offenbart worden – bezeugt durch das Gesetz und die Propheten –, das heißt, die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus, für alle, die glauben, denn es gibt keinen Unterschied (Röm. 3,21–22).
Gott hat ihn [Jesus] als Sühneopfer durch den Glauben an sein Blut vorgestellt, um seine Gerechtigkeit zu zeigen, weil Gott in seiner Geduld die zuvor begangenen Sünden übersehen hat. Gott hat ihn vorgestellt, um seine Gerechtigkeit zu zeigen zu dieser Zeit, damit er gerecht ist und den gerecht erklärt, der den Glauben an Jesus hat (Röm. 3,25–26).
Weil sie die Gerechtigkeit Gottes nicht anerkannten und versuchten, ihre eigene Gerechtigkeit zu errichten, haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen (Röm. 10,3).
Von ihm [Gott] aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gegebene Weisheit geworden ist – unsere Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung (1 Kor. 1,30).
Der [Gott] hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir die Gerechtigkeit Gottes in ihm werden (2 Kor. 5,21).
Und in ihm gefunden zu werden, nicht mit einer eigenen Gerechtigkeit aus dem Gesetz, sondern mit der durch den Glauben an Christus – der Gerechtigkeit von Gott, die auf dem Glauben beruht (Phil. 3,9).“
Einige Theologen argumentieren, dass die Gerechtigkeit Gottes seine Bundestreue bezeichnet, während andere meinen, dass der Begriff eher transformativ als forensisch zu verstehen sei. Ich werde jedoch darlegen, dass die Gerechtigkeit Gottes forensisch ist – dass sie sich also auf das Geschenk Gottes bezieht, nämlich unseren Status des „im Recht Seins“ vor ihm. Mehrere Argumentationslinien stützen diese Sichtweise.
Erstens gehört uns die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben (Röm 1,17; 3,21–22; 10,3; Phil 3,9). Besonders in Römer 5,17 wird gesagt, dass die Gerechtigkeit Gottes ein Geschenk ist, das uns gegeben wird. Dasselbe Thema begegnet uns in 1. Korinther 1,30, wo die Gerechtigkeit als etwas beschrieben wird, das von Gott kommt. Ebenso sehen wir in 2. Korinther 5,21, dass Gläubige durch den Tod Christi am Kreuz die Gerechtigkeit Gottes empfangen.
Die Parallelen zwischen Philipper 3 und Römer 10 zeigen deutlich, dass die Gerechtigkeit Gottes eine geschenkte Gerechtigkeit ist. Beide Texte behandeln dasselbe Thema: In Philipper 3 berichtet Paulus von seinem Versuch, durch das Gesetz Gerechtigkeit zu erlangen, und in Römer 10 beschreibt er Israels Versuch, dasselbe zu tun. Israel versuchte, „ihre eigene Gerechtigkeit“ durch die Einhaltung des Gesetzes aufzurichten (Röm 10,3), und Paulus versuchte, seine eigene Gerechtigkeit auf Grundlage seines Gesetzesgehorsams zu gewinnen (Phil 3,6.9). In beiden Texten kontrastiert Paulus die Gerechtigkeit durch das Gesetz mit der Gerechtigkeit aus Glauben (Röm 10,4–8; Phil 3,9).
Wir haben also gute Gründe anzunehmen, dass die „Gerechtigkeit Gottes“ in Römer 10,3 dasselbe bedeutet wie die „Gerechtigkeit von Gott“ in Philipper 3,9. In Philipper 3 ist klar ersichtlich, dass Gerechtigkeit ein Geschenk an Sünder ist – eine richterliche Erklärung, dass diejenigen, die das Gesetz übertreten haben, vor Gott als gerecht gelten, wenn sie ihr Vertrauen auf Christus setzen. Paulus betont in Philipper 3 ausdrücklich, dass diese Gerechtigkeit von Gott geschenkt wird. Daher sollte die „Gerechtigkeit Gottes“ in Römer 10 nicht anders verstanden werden als die Gerechtigkeit in Philipper 3.
Das bedeutet, dass die Gerechtigkeit Gottes in Römer 10,3 höchstwahrscheinlich eine von Gott geschenkte Gerechtigkeit bezeichnet – eine Gerechtigkeit, die Gott den Glaubenden verleiht. Sie wird nicht durch das Halten des Gesetzes erlangt, sondern ist ein Geschenk für diejenigen, die ihr Vertrauen auf Gott setzen. Es ist daher äußerst wahrscheinlich, dass die „Gerechtigkeit Gottes“ in Römer 1,17 und 3,21–22 dieselbe Bedeutung hat wie in Römer 10 und Philipper 3. Alle diese Texte lehren, dass Gerechtigkeit ein Geschenk Gottes ist, das Gläubigen verliehen wird.
Die Formulierung „Gerechtigkeit Gottes“ kann sich auch auf eine Eigenschaft Gottes beziehen. In Römer 3,5 und 3,25–26 liegt der Schwerpunkt auf Gottes Gerechtigkeit im Gericht. Gottes Gerechtigkeit wird offenbar, wenn er die Welt am letzten Tag richtet (Röm 3,5). Ebenso zeigt Gott seine Gerechtigkeit – seine Heiligkeit und Gerechtigkeit –, als sein Zorn durch den Tod Jesu am Kreuz gestillt wurde (Röm 3,25–26). Am Kreuz Jesu Christi begegnen sich die richtende und die rettende Gerechtigkeit Gottes (Röm 3,21–26). Gott wird sowohl als Retter als auch als Richter offenbart – als gnädig und heilig zugleich.
Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium sichtbar, weil darin sowohl die Liebe als auch die Heiligkeit Gottes enthüllt werden. Dass die Gerechtigkeit Gottes das Gericht einschließt, wird durch Römer 2,5 bestätigt: „Aber wegen deiner Verstocktheit und deines unbußfertigen Herzens häufst du dir selbst Zorn auf für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes (dikaiokrisias).“ Dass die Gerechtigkeit Gottes auch Heiligkeit und Gerechtigkeit umfasst, zeigt sich in der Bezugnahme auf die „Sühne“ oder den „Gnadenthron“ (hilastērion, Röm 3,25), wo Gott sowohl die Sünden gesühnt (expiatio) als auch seinen Zorn gestillt hat (propitiatio). Das bedeutet, dass unsere Sünden sowohl getilgt wurden (Sühne) als auch Gottes gerechter Zorn über die Sünde am Kreuz gestillt wurde.
Wenn Gottes Zorn am Kreuz gestillt wurde, dann wurden seine Gerechtigkeit und Heiligkeit offenbart. Die Sünden der Welt werden nicht einfach übergangen oder „unter den Teppich gekehrt“. Stattdessen hat Jesus Christus die Strafe auf sich genommen, die wir verdient hätten.
Die Rechtfertigung des Gottlosen ist somit auch die Rechtfertigung oder Verteidigung Gottes selbst, denn sie bestätigt seine Heiligkeit und Gerechtigkeit, während sie zugleich seine Barmherzigkeit und Liebe offenbart. Die Gerechtigkeit Gottes zeigt sich im Gericht, doch Paulus legt den Schwerpunkt auf Gottes rettende Gerechtigkeit, wenn er den Ausdruck „Gerechtigkeit Gottes“ verwendet.
Selbst wenn der Text die rettende Gerechtigkeit Gottes bezeichnet – das Geschenk, das er den Menschen gibt –, bleibt die Gerechtigkeit Gottes zugleich eine Eigenschaft Gottes. Mit anderen Worten: Sie ist sowohl ein Genitiv der Herkunft („Gerechtigkeit von Gott“) als auch ein Genitiv der Beschreibung („Gottes Gerechtigkeit“). Das Geschenk, das Gott den Menschen gibt, ist seine eigene Gerechtigkeit, sein eigener Charakter. Die Gerechtigkeit Gottes in Jesus Christus wird den Gläubigen angerechnet. Am Kreuz Jesu Christi werden somit sowohl die rettende als auch die richtende Gerechtigkeit Gottes offenbart.
Weiterführende Literatur
- Brian Vickers, Jesus’ Blood and Righteousness
- Brian Vickers, Justification by Grace through Faith
- Charles Hodge, Justification
- John Murray, Justification
- John Piper, The Future of Justification: A Response to N. T. Wright
- N. T. Wright, Justification: God’s Plan and Paul’s Vision
- N. T. Wright, What Saint Paul Really Said
- Lee Irons, The Righteousness of God
- Peter Stuhlmacher, Revisiting Paul’s Doctrine of Justification
- Stephen Westerholm, Justification Reconsidered
- Thomas R. Schreiner, Faith Alone
Hinweis zur Lizenz und Übersetzung:
Dies ist eine Übersetzung des Originalwerks von Thomas Schreiner. Die Veröffentlichung erfolgt unter der freien Lizenz CC BY-SA 4.0. Das bedeutet, dass der Text unter den gleichen Bedingungen weiterverwendet werden darf, sofern die ursprüngliche Quelle genannt und die Lizenz beibehalten wird. Die Veröffentlichung dieser Übersetzung bedeutet jedoch nicht, dass der Autor sie ausdrücklich billigt oder unterstützt.