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Bonhoeffer: Einfältiger Gehorsam

Christen haben Jesus Christus als Richtschnur ihres Denkens und Handelns. Sie folgen ihm nach. Was aber, wenn dieser Jesus plötzlich sagt: „Verkauft eure Habe und gebt Almosen!“ (Lk 12,33). Bedeutet es, dass Christen ihre Häuser und Autos verkaufen sollen, um das Geld den Armen zu spenden? Wie sieht in solchen Fällen Gehorsam gegenüber den Geboten Jesu Christi aus? Das sind hermeneutische Fragen: sie betreffen also die Art und Weise wie wir etwas – in diesem Fall die Bibel – verstehen.

Bonhoeffer widmet in seinem Buch „Nachfolge“ das dritte Kapitel diesen hermeneutischen Fragen. Im ersten Kapitel („Die teure Gnade“) hat er gezeigt, dass Gnade und Nachfolge unauflöslich zusammengehören. Das zweite Kapitel („Der Ruf in die Nachfolge“) betont die Wichtigkeit des Gehorsams für das Zustandekommen echter Nachfolge. Im dritten Kapitel („Der einfältige Gehorsam“) vertieft Bonhoeffer den Aspekt des Gehorsams, indem er die Frage stellt, ob man den Geboten Jesu immer radikale Folge leisten sollte. Dieser Artikel ist eine Kurzzusammenfassung des dritten Kapitels.

Bonhoeffer unterscheidet zwischen einem „einfältigen“ und einem „paradoxen“ Verständnis der Gebote. Widmen wir uns zuerst dem, was er mit „paradoxem Verständnis“ beschreibt.

Das „paradoxe Verständnis“

Das „paradoxe Verständnis“ nimmt das Gebot „Verkauft eure Habe und gebt Almosen“ (Lk 12,33) und sagt: Es geht nicht darum, dass man tatsächlich seinen Besitz verkauft, sondern darum, dass man sein Herz nicht an den Besitz hängt. Oder es nimmt das Gebot „Sorgt euch nicht“ (Mt 6,25) und sagt: Es geht nicht darum, dass wir nicht mehr für unsere Angehörigen sorgen und arbeiten sollen, sondern darum, dass unser Herz von diesen Sorgen nicht eingenommen wird. Bonhoeffer nennt dieses Verständnis „paradox“, weil es dem augenscheinlichen Gebot Jesu zuwiderlaufend ist. Anhänger dieses Verständnisses wollen betonen – so Bonhoeffer –, dass die Gebote nicht gesetzlichen Gehorsam, sondern den Glauben fördern sollen. Gebote, die das Sichtbare betreffen, werden verinnerlicht. Konkrete Gebote werden zum Allgemeinen hin abstrahiert. Es erfolgt die „Aufhebung des einfältigen, wörtlichen Gehorsams.“

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Das „einfältige Verständnis“

Der „einfältige Gehorsam“ hingegen vollzieht ein wörtliches Verständnis der Gebote Jesu. „Einfältig“ bedeutet für Bonhoeffer nicht naives oder gedankenloses Handeln, sondern das ungeteilte Vertrauen in Gott und eine Klarheit und Gradlinigkeit in Bezug auf die Gebote Jesu. Konkrete Gebote Jesu werden auch als konkrete Gebote hingenommen. Es geht nicht um abstrakte Prinzipien, sondern um praktische Schritte: „Folge mir nach“, „Verkaufe, was du hast“ oder „Liebe deinen Nächsten“.

Sowohl das eine als auch das andere

Wie soll Gehorsam gegen Jesu Gebote also ausgelebt werden? Allgemein-paradox oder konkret-einfältig? Bonhoeffer sagt: Sowohl als auch. Das „einfältige Verständnis“ ist notwendig, weil ansonsten der Gehorsam flöten geht und damit billige Gnade entsteht. Gebote Jesu, die uns in ihrer Radikalität nicht passen, dürfen nicht sofort vergeistlicht werden, denn ansonsten verfügt der Mensch selbst über die Gebote und schafft sich eine allgemeine Gnadenlehre als hermeneutisches Ideal.

Andererseits hat aber auch das „paradoxe Verständnis“ seine Berechtigung, denn das Ziel der Gebote Jesu Christi und seines Rufs in die Nachfolge ist tatsächlich der Glaube. Einfältiger Glaube wäre laut Bonhoeffer hermeneutisch missverstanden, wenn man alles, was Jesus in der Bibel gesagt hat, stur in der Gegenwart anwendet. Selbst eine wörtliche Befolgung der Gebote kann nämlich aus einem menschlich erdachten Ideal heraus passieren. Freiwillige Armut beispielsweise kann pure Selbstgefälligkeit sein. Das wäre keine Nachfolge. Dennoch gilt: Nur wer mit dem einfältigen Verständnis der Gebote ernst gemacht hat, darf – so Bonhoeffer – Bibeltexte „paradox“ lesen. „Das paradoxe Verständnis der Gebote hat sein christliches Recht, aber es darf niemals dazu führen, dass es das einfältige Verständnis der Gebote aufhebt.“

Fazit

Bonhoeffer möchte den einfältigen, wörtlichen Gehorsam stark machen. Ihm ist wichtig, dass man die Gebote Jesu nicht sofort als allgemeine Prinzipien verinnerlicht und dadurch in ihrer Härte relativiert, sondern, dass man sie einfach tut. Im Grunde ist das nichts anderes als ein Aufruf zu radikalem Gehorsam in der Christusnachfolge. Konkrete Aufforderungen Jesu wie „Verkauft alles“ oder „Sorgt euch nicht“ sollten wir zuerst als solche Gebote zu uns sprechen lassen. Jesus nachzufolgen hat in der Tat mit Selbstverleugnung, Selbstaufgabe und Selbstvergessenheit zu tun.

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Trotzdem ist das nicht das letzte Wort, das macht Bonhoeffer sehr klar. Ein Gehorsam, der jedes Gebot an die damaligen Menschen ungebrochen auf uns überträgt, schießt über das Ziel hinaus. Bonhoeffer will mit seinem Konzept vom „einfältigen Gehorsam“ der billigen Gnade vorbeugen; er will aber nicht, dass dieses Konzept bis auf Äußerste durchstrapaziert wird.

Bonhoeffer zeigt mit seinem Buch „Nachfolge“ , dass christlicher Glaube und einfältiger Gehorsam zusammengehören. Das Buch lohnt sich für jeden, der nicht nur einen theologischen Klassiker des 20. Jahrhunderts lesen will, sondern auch ein Buch, dass den eigenen Glauben herausfordert.

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